Balogh István
Zwei Konzeptionen der
(postklassischen) modernen Gesellschaft: Zu der
Diskussion von Habermas und Rawls*
Einführung: Aktualität des
Konsenses. Im März 1995 startet der unmittelbare Gedankenaustausch von Jürgen
Habermas und John Rawls - Ausarbeiter der zwei wesentlichsten politischen
Theorien vom Jahrhundertende. Damals erscheint die Diskussion auslösende Studie
von Habermas in The Journal of Philosophy und noch in der gleichen Nummer wird
die Antwortstudie von Rawls veröffentlicht.[1]
Auf diese Antwort folgt in Habermas' nächsten Band, in der „Die Einbeziehung
des Anderen, die Gegenantwort. Wir könnten also den Eindruck haben, es genüge
anhand der Diskussion diese drei Studien miteinander zu vergleichen. Mit gutem
Grund wollen wir aber uns damit nicht zufrieden geben. Die Diskussionspartner
haben nämlich einen weiten Weg zu dem Punkt gehabt, um ihre Ansichten[2]
konfrontieren zu können, so ging dieser
"Begegnung" in beiden Fällen
eine Wende, oder mindestens eine wesentliche Änderung des theoretischen Standpunktes voraus. Die
zwei - voneinander unabhängig durchgeführten - theoretischen Wandlungen haben
in der Annäherung einen gemeinsames Element politiktheoretischen Charakters:
der Anspruch und Versuch der theoretischen Grundlegung des Konsenses auf der
Basis moderner politischer Demokratien,
die in das postklassische Alter
eintreten, einerseits auf der theoretischen Basis des kommunikativen Handelns,
andererseits mit der Nützung der Möglichkeiten durch den "Kantischen Konstruktivismus"
gewährte Modellschöpfung. Anschauungen mit unterschiedlichen Interessen und
Werten im Hintergrund, die Konsensmöglichkeit von unterschiedlichen
Auffassungen und Anschauungen, die theoretischen Probleme, ihre Begründung und
derer institutionelle Rahmenbildung zeigen nicht nur die Vorgeschichte, sondern
auch den unmittelbaren Gegenstand der Diskussion von Habermas und Rawls, genau
wie der Versuch dieser Problemlösung den Stil und Charakter dieses
Ideenaustausches bestimmt.
All die Faktoren setzen - und erweitern
gleichzeitig - automatisch den Rahmen und die Gliederung der angeführten
Diskussion fest. Demnach werden wir zuerst über die dem Dialog vorausgehende
Wende und Änderungen berichten.(I), darauf
folgt die Diskussion, die
Hauptthemen, Unterschiedlichkeit und
Verhältnis der Standpunkte, weiterhin die Darlegung der Argumente(II.). Zum
Schluß haben wir auf Verknüpfungen der Disussion und der Standpunkte der
Kontrahenten auf einem weiteren
theoretischen Horizont hinzuweisen (III).
Den Gegenstand der Diskussion betrachtend geht es
hier um die Verbindung, um die Möglichkeit einer Verbindung von Moral, Politik
und Recht unter den Verhältnissen des modernen
Rechtsstaates, wenn weder das politische Institutionssystem, noch die
kulturelle Tradition - innerhalb dessen unter besonderer Berücksichtigung die wichtigsten Prinzipien die sich uf den Staat beziehen -
ermöglichen, daß die Stellungnahme zwischen Interessen- und Wertekonflikte und
die sich daran knüpfenden Entscheidungen auf Willkür begründet werden. Die
Bestrebung nach einer vollkomenen Diskussion, die hier auftauchenden
praktischen-politischen und mit dem historischen Wandel und mit der
theoretischen Tradition
zusammenhängende, verschiedene Disziplinen umfassend zu überblicken,
würde die Rahmen unserer Studie sprengen. So werden wir folgerungsweise in erster
Linie die Themenkreise berühren, die -
ohne sie in Ganzheit zu erfassen - am besten die klarsten Umrisse der
Grundlagen dieser speziellen gesellschaftstheoretischen Annäherung zeigen.
1.Annäherungen
„Da, ich dieses Projekt bewundere, seine Intention teile und die
wesentlichen Ergebnisse für richtig halte, bleibt der Diskussion, den ich zur
Sprache bringen soll, in den engen Grenzen eines Familienstreits. Meine Zweifel
bechränken sich darauf, ob Rawls seine wichtigen und – wie ich meine –
zutreffende normativen Intuitionen stets auf die überzeugendste Weise zur
Geltung bringt".[3] Es ist von
Habermas eine ziemlich ungewohnte Diskussionseinführung, besonders wenn wir uns
an den Habermas erinnern, der sich im "Positivmusstreit" äußerte,
oder aber in den 7o-er Jahren mit Luhmann eine scharfe Diskussion einleitete,
der gegenüber das Postmoderne auftritt. Hinter dem Stilwechsel verbirgt sich
lediglich nicht nur eine Sympathie zur Person des Diskussionspartners, oder die
Synthese von 1983 - Theorie des kommunikativen Handelns -, die Ausarbeitung
begleitender notwendige Zwang der
Abgrenzung von rivalen Auffassungen, bzw. die spätere Auflösung diesen
Zwanges, sondern die Klärung[4]
und Verbindung der gesellschaftstheoretischen, rechtstheoretischen und
politiktheoretischen Konzequenzen der verwirklichten Synthese, mit den
epochalen politischen Änderungen, die in der Zwischenzeit verliefen. Die
natürliche und organische Einheit dieses Denkprozesses war
"unterwegs" aus dem Aspekt des Ergebnisses weitaus nicht
selbstverständlich. Auch wenn das die implizit politischen und
politiktheoretischen Implikationen der "Theorie des kommunikativen
Handelns" die veröffentlichten Kommentare nach dem Erscheinen fast
gleich klar zeigten.[5]
Die Entfaltung dieser Implikationen und die entfaltende Rückgliederung der
ursprünglichen Konzeption verlangte eine mindestens dreifache
Forschungsrichtung. Habermas hatte als sozialtheoretische Frage die Probleme der
Modernität, als ethisch-moralische Dimension die deonthologischen Grundlegung
der moralischen Normen und hinsichtlich der
politischen Änderungen vor allem die Fragen der Krise des
Wohlfahrtsstaates und des Zusammenbruches des realen Sozialismus zu klären.
Was das Programm der gesellschaftstheoretischen
Analyse betrifft, können wir uns bei dieser Gelegenheit, nur auf Hinweise
verlassen, hervorgehoben die zwei einschlägigen großen Bände: die
zusammenfassende Studie "Der philosophische Diskurs der Moderne"-
erschienen 1985 und die Studiensammlung von 1988 unter dem Titel "
Nachmetaphysisches Denken".[6]
Aus dem Aspekt unseres gegenwärtigen Themas
verdient aber sein, die Moralfragen untersuchendes Programm, eine gründlichere
Forschung, begründet auch dadurch, daß in seinem dünnen Band zusammenfassender
Studien im Thema "Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln"
das erste Mal, wenn auch nur eine Nebenrolle spielend und in der Begleitung von
skizzenhaften kritischen Kommentaren der Name John Rawls erscheint.
In der am meisten problematische Schrift des
Bandes[7]
setzt er sich das Ziel, gegenüber der These von MacIntyre zu beweisen, daß das Projekt der Aufklärung nicht
scheiterte, nämlich unabhängig von Religion und Metaphysik für die Moral grundlegende Prinzipien auszuarbeiten. Habermas vertritt die
Meinung, daß durch die formal-pragmatische Analyse des kommunikativen Handelns die moralischen Motive der mit
Geltungsanspruch auftretenden
Teilnehmer erschließbar sind und auf dessen Grund "nimmt die Ethik, abweichend von der Erkenntnistheorie
zum Beispiel die Form der Argumentationstheorie an" und die in praktischen
Sachen entstehenden universalen
Prinzipien der argumentativen Übereinstimmung zu begründen sind.[8]
Die auf dieser Weise formalisierbaren ethischen Regeln des praktischen Diskurses
(wo überhaupt die moralischen Fragen
auftauchen) von den theoretischen und explikativen Diskurs unterschiedlich,
bestimmt Habermas zuerst auf formal-allgemeiner Ebene, dann aus diskursethischem Aspekt in
konkretisierter Form, wie folgt: "(U) Jede gültige Norm muß der Bedingung genügen, daß die
Folgen und Nebenwirkungen, die sich aus ihrer allgemeinen Befolgung für
die Befriedigung der Interessen jedes Einzelnen voraussichtlich ergeben,
von allen Betroffenen zwanglos akzeptiert werden können.” Ausgehend davon gibt
Habermas die auf diskursethische Dimension gültige Formulierung an: "(D) Jede gültige Norm müßte die Zustimmung
aller Betroffenen, wenn diese nur an einem praktischen Diskurs teilnehmen
würden, finden können.”[9]
Habermas meint,
er muß es mindestens als Hinweis angeben und den Zusammenhang seiner
Formulierung und den der beiden Grundsätze von Rawls[10]
klären - Prinzip der Unverletzbarkeit
und Vorrang der Freiheitsrechte bzw. das Prinzip der Ungleichheit- und
diesbezüglich hebt er den
Zusammenhang und einerseits die
methodische Gemeinsamkeit andererseits
den Unterschied der beiden Definitionen hervor. Demnach ist der formale
Universalisierungsgrundsatz - unter Berücksichtigung des von Rawls formulierten
methodischen Prinzips des reflektiven Equilibriums - als Rekonstruktion
alltäglicher Intuitionen aufzufassen,
die in den moralischen Konflikten des Handelns als Grundlage zur unparteilchen
Beurteilung dienen.Von diesem Punkt der Übereinstimmung aber, verzweigen sich
die Wege, da "der zweite
Schritt" in die Richtung der argumentationstheoretischen Begründung
der moralischen Prinzipien führt, wonach die Aufgabe "die allgemeine, über die Perspektive einer bestimmten Kultur
hinausreichende Geltung von U dargetan werden soll, stützt sich auf den
transzendental-pragmatischen Nachweis allgemeiner und notwendiger
Argumentationsvoraussetzungen. Diesen Argumenten kann aber der apriorische Sinn
einer transzendentalen Deduktion im Sinne der Kantischen Vernunftkritik nicht
mehr aufgebürdet werden; sie begründen ledinglich den Umstand, daß es zu
’unserer’ Art von Argumentationen keine erkennbare Alternative gibt.”[11]
Die Divergenz
der Anschauungen ist natürlich nicht auf den Zweifel an die Synthese-Leistung
des Selbsbewußtseins oder auf den Geltungsverlust des Beweises begründet auf
transzendentalen Deduktion zurückzuführen. In diesem Punkt ist das
Einverständnis vollkommen. Habermas
meint aber über diesen Punkt des Einverständnisses hinaus: den von Rawls
formulierten Anforderungen seiner Grundsätze (worauf Lawrence Kohlberg seine die moralische Entwicklung analysierenden psychologischen Untersuchungen
aufbaut und auf dessen Forschungen selbst Habermas weitgehend zürückgreift) -,
also der Anforderung des Kognitivismus, Universalismus und Formalismus - die
von ihm formulierte Diskursethik weitgehend mehr, sogar besser entspricht,
als Rawls' Theorie. Die drei Aspekte
bei Kohlberg, in denen er die moralischen Aspekte untersucht, beziehen sich
nämlich infolge der Verbindung zu Rawls auf überwiegend kognitiven ethischen
Aspekten der Kantischen Tradition.
Habermas meint aber hingegen, daß die Verbindung
des Ausgangpunktes der kommunikativen Handlungstheorie und des pragmatischen
Standpunktes der von Karl-Otto Apel vertretenen Diskurstheorie ermöglicht, die kognitiven,
universalen und formalen Aspekte im auf die Diskursethik begründeten
moralischen Grundsatzsystem
gleichzeitig und ausgeglichen geltend zu machen.[12]
Es genügt aber einen Blick auf die zwei
Konzeptionen der Grunsatzformulierung zu werfen - einerseits auf die zwei Grundsätze von Rawls und auf die
universalen und diskursethischen Prinzipien von Habermas, um einen Unterschied
anderer Art erkennen zu können. Nämlich, während aus Rawls' Prinzipien
politiktheoretische und rechtstheoretische Konsequenzen zu ziehen sind, geben
die Habermasschen diskursethischen Prinzipien keinerlei Möglichkeit
Konzequenzen dieser Art direkt zu ziehen, wenn sie auch als Ausgangspunkt
für eine weitere politiktheoretische
Analyse dienen können. Es ist also kein Zufall, daß die zu dieser Zeit entstandenen politischen Kommentare,
politiktheoretische Äußerungen von Habermas parellel mit der diskursethischen
Begründung laufen und vorläufig das Bindeglied
der beiden analytischen Richtungen fehlt.
Die Konturen beginnen sich erst zwei Jahre später
in sichtbarerer Form zu entfalten, es ist bemerkenswert, daß Rawls dazu wieder
einen theoretische Impuls gibt.[13]
Den unmittelbaren Grund gab aber ein politisches Ereiginis, nämlich der zivile
Ungehorsam anhand der Stationierung von Pershing II.- Raketen. Die Bewegung des
zivilen Ungehrorsams warf für Habermas nicht nur eine ganze Reihe von
diskursethischen, politiktheoretischen und rechtstheoretischen Probleme auf, es wurde ihm dabei auch
klar, daß die Rawlssche Theorie eine direktere Alternative zur Lösung dieser
Probleme bietet. Was die erste Hälfte der Frage betrifft: vor allem taucht
"der ausserordentlich starke Legitimitätsanspruch" des
Rechtsstaates und daraus folgend die Unterscheidung zwischen
Legalität und Legitimität, weiterhin die Notwendigkeit ihrer Verbindung auf.[14]
Die moralische Dimension der Legitimität wird
dabei besonders stark betont. Also die Problematik des zivilen
Ungehorsams ist ein wichtiger Berührungspunkt von Moral, Politik und Recht und
so seine theoretische Klärung ein Prüfstein von Moral- und Rechtsinterpretation
der modernen Demokratien, weit über die Möglichkeiten und Grenzen der üblichen
und engen rechtlichen Interpretation. Zum zweiten Teil der Verbindung zu Rawls
gehört, daß Rawls in seinem Werk von 1971
schon umsichtig die damals sich entfaltende
Bewegung des zivilen Ungehorsams in den Vereinigten Staaten behandelt,
bewiesen, daß auf Grund der von ihm ausgearbeiteten Konzeption eine
koherente Antwort auf die wichtigsten theoretischen Fragen eines Phänomens der
modernen Demokratie zu geben ist . Erstens, worin sich der zivile Ungehorsam
von "der anderen Formen des Widerstandes gegenüber der Staatsgewalt", zweitens auf welchem
Grund und unter welchen Bedingungen es
in einem grundsätzlich gerechten demokratischen System der zivile Ungehorsam
berechtigt ist und drittens was die Rolle des zivilen Ungehrosams innerhalb
eines konstitutionellen Systems ist.[15]
Rawls bemüht sich einerseits in seinem nach Komplexität strebenden
Definitionsversuch die von anderen politischen Aktionen und Bewegungen
abweichenden Charakteristika des
Phänomens zu klären, andererseits hebt er hervor, daß das Problem des zivilen
Ungehorsams nur "in einem mehr oder weniger gerechten demokratischen
Staat" zum Vorschein kommt, und zwar als Initiative und Bewegung der
Bürger, die die Legitimität der Verfassung akzeptieren. Die Schwierigkeit ist
mit dem Konflikt der Pflichten verbunden. Wo hört unsere Pflicht auf, den von
der rechtsschaffenden Mehrheit verabschiedeten Gesetzen(oder den Anordnungen
einer von solcher Mehrheit unterstützten Regierung)zu folgen, da wir das Recht
haben unsere Freiheiten zu verteidigen und unsere Pflicht ist uns der
Ungerechtigkeit zu widersetzen.[16]
Habermas gibt zu: selbst er sieht in der Sache
nicht ganz klar, wie weit er mit der Rawlsschen Definition und Ausführungen
einverstanden ist und wo ihr
Meinungsunterschied beginnt. In mindestens sechs Punkten ist die Identität, oder mindestens die
Ähnlichkeit ihrer Ansichten auf jeden
Fall festzustellen. Und zwar: "Ziviler
Ungehorsam ist ein moralisch begründeter Protest, dem nicht nur private
Glaubensüberzeugungen oder Eigneinteressen zugrunde liegen dürfen; er ist ein öffentlicher
Akt, der in der Regel angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf
kalkulirt werden kann; er schließt die vosätzliche Verletzung
einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im
ganzen zu affizieren; er verlangt die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen
der Normverletzung einzusehen; die Regelverletzung, in der sich ziviler
Ungehorsam äußert, hat auscließlich symbolichen Charakter – daran ergibt
sich schon die Begrenzung auf gewaltfreie Mittel des Protestes"[17]
Der Punkt, wo die Analyse von Habermas von Rawls Standpunkt abweicht (oder eher darüber hinaus
geht), ist die Betonung der
ausserordentlich hohen Legitimitätsanspruch und Fähigkeit des modernen
Rechtsstaates, in dessen Rahmen die ausdrückliche Unterscheidung zwischen
Legalität und Legitimität und zum Schluß wie bezüglich des Letzteren, ist die
Differenzierung zwischen verfassungsmäßige Legitimität und moralisch
begründeten Legitimität des Rechtssystems."Der ziviler ungehorsam bezieht seine Würde aus diesem
hochgestrekten Legitimationsanspruch des demokratischen Rechtsstaats. Wenn
Staatsanwälte und Richter diese Würde nicht respektieren, den Regelverletzer
als Kriminellen verfolgen und mit den üblichen Strafen belegen, verfallen sie
einem autoritären Legalismus".[18]
Das alles zeigt die genaueren und klar merkbaren Umrisse des bis jetzt
"fehlenden Bindegliedes" und behält fast alle Punkte des späteren
theoretischen Programmes von Habermas: einerseits die moralische Dimension der
Legitimation des modernen Rechtsstaates, andererseits die Akzeptanz der
formalen Legalität, - hinsichtlich der Mangelhaftigkeit der Legalität in der
Begründung der Legitimität des modernen Rechtsstaates - der Anspruch die Grenzen zu überwinden, weiterhin die
Fortsetzung der mit der Theorie des kommunikativen Handelns
zusammenhängenden diskursethischen
Untersuchungen, und zuletzt der Anspruch der Begründung des Wertpluralismus (Unterschiedlichkeit der
moralischen Normen)
Im weiteren bildet die Untersuchung dessen den
Ausgangspunkt, damit der Zusammenhang von Politik, Moral und Recht erläutert
wird und gleichzeitig dient es als Grundlage zu der gesellschaftspolitischen
Analyse des Rechtes.
2 .
Legalität und Legitimität
Es ist unumgänglich zwei Fragen zu klären, bzw.
neu zu untersuchen, um an dem Programm weiterbauen zu können. Die eine Frage
betrifft den Zusammenhang von Recht und Moral und bezieht sich darauf, ob die
Unterscheidung von Legalität und Legitimität und innerhalb dessen die Betonung
der moralischen Dimension der Legitimität nicht eine moralische Ausleerung des
Rechtes bedeutete und dadurch die Annahme der von Max Weber hervorgehobenen
formalen Rationalitat des modernen Rechtes, respektive allgemein eine an die formale Rechtsauffassung
anknüpfende Werteskepsis ergebe? Die andere Frage bezieht sich auf die Chancen
der politischen Partizipation und Bedingungen und betrifft den Zusammenhang der
Identität des Individuums beziehungsweise der Öffentlichkeit: ob es für den
Staatsbürger eine Chance in der Epoche der postklassischen Moderne gibt, nicht
als Partei, Klient, sondern als Gestalter der eigenen Lebenswelt, als Mitglied
der politischen Gemeinschaft aufzutreten?
Der erste Fragenkomplex bildet das zentrale Thema
der 1986 an der Harvard vorgelesenen Vortragsreihe, die unter dem Titel "Tanner Lectures"
auch als Anhang 1992 in "Faktizität und Geltung" erschienen
ist.[19]
Habermas wählt die Webersche Rechtsauffassung als Ausgangspunkt, wonach das
moderne Recht gezwungen ist, seine Herrschaft auf die formale Wesensart des
Rechtes begründet zu legitimieren. Diese Beweisführung soll eine
"rationale" sein, ohne dabei im Sinne von Kant oder Aristoteles auf
die praktische Vernunft Bezug zu nehmen.
Nach Weber also existiert eine von der Moral
unabhängige, eigene, formale Rationalität des Rechtes.[20]
Die Nachhaltigkeit des Formalismus des Weberschen "positivistischen
Rechtsbegriffes" wird aber von mindestens vier späteren Faktoren
wesentlich in Frage gestellt. Erstens, die Unmöglichkeit im Voraus
definierte "Zielprogramme"
der Wesensart des formalen Rechtes entsprechend anzugeben, unter anderen: die Steuer- und Mietrechte, den quasi-politischen Prozeß von
Kompromissschließungen, Korporationen. In den Fällen also, wo die Flexibilisierung
des Verfahrens in die Richtung eines Rechtes
"reflexiven oder zweistufigen" Types zeigt. Zweitens,
die "Normerosion", die mit dem formalen Recht nicht in Einklang
gebracht werden kann, die "Konsens-Orientierung" sensibilisiert die
Gesetzgeber für die Akzeptanz der zu verabschiedenden Rechtsregeln, für die
verstärkende Kontrolle des Strafrechtes, für den verschärfend experimentellen
Charakter der zweckbestimmten Regelung. Drittens, die Erhaltung der
Funktion von Instituionen des Marktes und des Staates verstärkt die
Inanspruchnahme des Rechtes als Mittel, in diesem Prozeß verursacht "die
systempolitische Unterorordung die Konkurenz der Rechte". Schließlich
erwähnt Habermas als vierten Faktor die kontinuierliche Diskussion
zwischen Moralität und Positivismus innerhalb des Rechtes.[21]
In dem Gedankengang von Habermas bekommt die
sorgfältige Anführung der an die
formale rechtliche Rationalität deutenden Entformalisierungsprozesse
eine besondere Rolle, unter Berücksichtigung der Tatsache, daß er seine eigene
Rechtstheorie statt der Weberschen Konzeption der formalen Rationalität auf der
Verfahrensrationalität begründet.
Die Ausweitung der Verfahrensrationalität auf das Gebiet des Rechtes - mit dem Diskurs
und der Argumentaion verbunden, in der Theorie des kommunikativen Handelns
begründet - stellt nicht nur die Weichen für die Verknüpfung von Recht und Moral, sie enthält sogar die
gegenseitige Abgrenzung, die Möglichkeit und Notwendigkeit Trennlinien zu
ziehen. Das ist aus dem Grunde auch notwendig, da in dem rechtlich nicht
geregeltem moralischen Diskurs
sich nur die Perspektive der Teilnehmer
manifestiert, so fehlen darin die während der Entscheidung unentbehrlichen
externen und vorherigen Kriterien. Ein noch schwerwiegenderes Argument, als die
Verknüpfung von Recht und Moral und dabei die Bewahrung der bestehenden
Grenzen, daß "die
gleichzeitige Verschränkung von
Moral und Recht kommt dadurch zustande, daß in rechtsstaatlichen Ordnungen
Mittel des positiven Rechts in Anspruch genommen werden, um Argumentatioslasten
zu verteilen und Begründungswege zu institutionalisieren, die zu
moralischen Argumentationen hin
geöffnet wird. Die Moral schwebt nicht mehr, wie es die Konstruktion des
Vernunftsrechts als eines überpositiven Satzes von Normen suggeriert, über
dem Recht; sie wandert ins positive Recht ein, ohne darin aufzugehen. Die
Moralität die dem recht nicht nur gegenübersteht, sondern sich auch im Recht
selber festsetzt, ist freilich rein prozeduraler Natur; sie hat sich aler
bestimmten norminhalte entledigt und zu einem Verfahren der Begrundung und
Anwendung möglicher Norminhalte sublimiert. So können sich Verfahrensrecht und
prozeduralisierte Moral gegenseitig kontrollieren”.[22] Was die andere Seite,
nämlich die politiktheoretische Seite
der Frage betrifft, ist es klar, daß die "Prozeduralisierung der
Moral" eine Öffnung an die politische Öffentlichkeit, weiterhin in die Richtung der Partizipation und
Identität und der mit ihnen zusammenhängenden Fragen bedeutet.
Diese Dimension, also die Öffentlichkeit ist nicht
bloß darum so wesentlich für Habermas, da sie die Welt der Politik für die
Probleme der Moral und des Rechtes eröffnet, sondern er hält sie einerseits
seit Beginn seiner Tätigkeit für die wichtigste Institution der modernen
Demokratie,[23] die er
wiederholt erörtert, andererseits ist die Öffentlichkeit - nicht ganz
unabhängig von den oben erwähnten - in der Diskussion mit Rawls einer der
Prellpunkte zwischen den Kontrahenten[24]
Was die erste Hälfte der Frage, nämlich die
Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung betrifft, stellt Habermas nach dem
Überblick der philosophischen und gesellschaftstheoretischen Vorgeschichte
fest, das die Moderne von der sie charkterisierenden Doppeltendenz - einerseits
von der gesellschaftlichen Differenzierung, der Arbeitsteilung, andererseits
von der Auslösung der traditionellen, mythischen und religiösen Weltbildes aus
der Reproduktion der Lebenswelt - in das Gegenteil des eigenen Ausgangspunktes
umgekehrt wurde. Den Zusammenhang von Recht und Moral wiederholt behandelt,
vertritt er die Meinung, daß überall, wo die gesellschaftlichen Verhälnisse
formal geworden sind (im Bereich des Marktes, des Arbeitsplatzes oder der
Staatsverwaltung), lösen sich die rechtlichen Normen aus dem Rahmen der
moralischen Verantwortung. Habermas erwähnt die Folgen dieses Prozesses und
führt die Analyse weiter, zieht die Konsequenz: die anonymen und stereotypen
Verhaltensformen lassen kaum einen Raum für individuelle Offenbarungen.[25]
So kehrten sich individuelle Autonomie, die Bestrebung nach Individualismus in
der theoretischen Tradition, Individuum und Gesellschaft in eine polarisierte
Konfrontation um und in den praktischen Folgen kehrte sich das Individuum in
einen Klienten um. Die Auslösung aus diesen, vorher existenten Rahmen ist weder
auf der Dualität des Staates und der Gesellschaft noch auf die dementsprechend
institutionalisierenden Prinzipien zu begründen. Habermas meint: die
konstitutive Kraft des kommunikativen Handlungsmodells, bezogen an Mead - ihre
theoretische Vorgeschichte betrachtend - zeigt sich in diesem Punkt darin, daß das kommunikative Handeln die
starke intersubjektive Interpretation der Selbstbestimmung und
Selbsverwirklichung behält. Nämlich den Gedanken, daß derjenige der aus
moralischem Aspekt urteilt oder handelt und eine verantwortungsvolle
Lebensgeschichte verwirklichen will, gezwungen ist, die Zustimmung einer nicht umschriebenen kommunikativen
Gemeinschaft zu erhalten.[26]
Das sich bestimmende und verwirklichende Individuum kann sich also mit dem
demokratischen Defizit nicht zufrieden geben, das einen Prozeß von
administrativen und wirtschaftlichen Vereinigungen, ohne die Partizipation der
Staatsbürger charakterisiert. Diese Unzufriedenheit ist nicht nur eine Quelle
der kontinuierlichen Kritik der angeführten Institutionen und der Suche nach
alternativen Selbstverwirklichung, sie
führte und führt schließlich zur stufenweisen Wandlung der eingeengten rechtlichen
Interpretation des Staatsbürgers. "In der Sprache der Juristen hat freilich ’Staatsbürgerschaft’,
’citoyenneté’ oder ’citisenship’ lande Zeit nur den Sinn von
Staatsangehörigkeit oder Nationalität gehabt; erst neuerdings wird der Begriff
im Sinne eines durch Bürgerrechte umschreibenen Staatsbürgerstatus erweitert.
Nach dem Selbstverständnis des demokratischen Rechtsstaates als einer
Assiziation freier und gleicher Bürger ist die Staatsangehörigkeit an das
Prinzip der Freiwilligkweit gebunden”[27]
Diese Entwicklung schließt zwar die "kommunitaristische Lesung"
der Umkehrung der kulturellen Identität in das
des liberalen Rechtes, aber
Habermas meint die Haupttendenz eher
"primär an den in der
politischen Kultur verankerten Rechtsprinzipien und nicht an einer besonderen ethnisch-kulturellen Lebensformen im
ganzen“ zu
erkennen.[28]
Der dritte Aspekt der Frage betrifft den Wandel
der Öffentlichkeit.Wenn man das Gewicht und Vorgeschichte des Themas im Werk
von Habermas betrachtet, ist es selbstverständlich, daß er über die Entwicklung
seines Standpunktes zweimal berichtet, zuerst indirekt in der Theorie des
kommunikativen Handelns, dann direkt im Vorwort der 17. Neuauflage von Strukturwandel der Öffentlichkeit.
Das Problem, dessen Lösung in seinem Buch von 1962 "mit der theoretischen
Mitteln, die mir damals zur Verfügung standen" sich als unlösbar erwies,
aber unter den theoretischen Rahmen, ausgearbeitet während der vergangenen
Zeit, neu formulierbar ist. Die theoretische Behandlung der Demokratie
"mußte ins Zwielicht
geraten, wenn es der ’unaufgehobene Pluralismus der konkurrierenden Interessen
[…] zweifelhaft macht, ob aus ihm je ein allgemeine Interesse derart
hervorgehen kann, daß daran eine öffentliche Meinung ihren Maßtab fände."[29]
Habermas unterwirft einer kritischer Untersuchung die Idealisierung der bürgerlichen Öffentlichkeit - schon auf
Grund des kommunikativen Handelns, der kommunikativen Rationalität und auf den
Grundlagen der Doppelthese von
Lebenswelt und System, so
untersucht er einerseits auch das "abendrotische Konzept" der
Entwicklungstendenzen der konstitutiven Demokratien, andererseits skizziert er
die wichtigste Dimension der Öffentlichkeit, die nach dem theoretischen Wandel
zu entfalten ist.
Es eröffnet sich nämlich von dem diskursethischen
Ausganspunkt ausgegangen eine klarere Perspektive in den Demokratie-Begriff
über die Interessenkonflikte hinaus, auch für die Behandlung der Wert- und
Normbildungsprozesse und dabei eine viel dezidiertere Betonung der konstitutiven Kraft der Öffentlichkeit.
"Der normative Gehalt eines
Demokratiebegriffs, der auf diskursförmige Wert-und Normbildungsprozesse in
öffentlichen Kommunikationen bezogen ist, erschöpft sich freilich nicht in
geeigneten institutionellen Arrangements auf der Ebene des denokratischen
Rechtsstaates. Er weist vielmehr über die formal verfaßten
Kommunikations-und Entscheidungsprozesse hinaus." Folgerungsweise ist "Zusammenspiel der instuitutionell verfaßten
politischen Willensbildung mit den spontanen nicht-vermachten
Kommunikationsströmen einer nicht auf Beschlußfassung, sondern auf Entdeckung
und Problemlösung programmierten, in diesem Sinne nicht-organisierten
Öffentlichkeit"[30] die
Grundlage der Demokratie. Diese Demokratie-Konzeption zeigt augenscheinlich in
die Richtung des Rechtssystems
einerseits, in die Richtung der "Zivilgesellschaft" andererseits,
beziehungsweise der Verknüpfung der beiden, und führt zum Problemkreis der
Faktizität und Geltung.
3. Die Idee der
deliberativen Demokratie
Wenn wir den von
Thomas McCarthy festgelegten Zeitpunkt des theoretischen Wandels auch
bezweifeln, hat doch die Erkenntnis "rational will-formation reducible neither to the
impartial consoderation of everyone’s interest, nor to the fair negotiation of
compromises: specifically ’ethical’ deliberation"[31]
eine indiskutable Bedeutung in der weiteren Tätigkeit von Habermas. Der
zusammenfassende Terminus der deliberativen Demokratie enthält die
diskursiv-erwägende Ethik - ohne die universale Prinzipien in Anspruch zu
nehmen - der individuellen Frage von "good life", der partikulären
Lebenswelten, der Traditionen genauso, wie die in öffentlichen Diskursen
vorhandenen von vielfältigen Organisationen der Zivilgesellschaft an der Gemeinschaft der politischen Kultur
lehnende deliberative Konsensgründung. Er enthält darüber hinaus sogar die argumentativ-deliberative Durchführung
des Prozesses der Gesetzgebung. Den
Habermasschen Gedankengang in diesen Dimensionen mitzuverfolgen, auch nur die wichtigsten theoretischen
Konklusionen von Faktizität und Geltung zu erörtern, würde schon die Rahmen
dieser Studie sprengen, so beschränken
wir uns darauf, die zu Rawls nahestehenden Elemente
hervorzuheben. Auch die Tatsache begründet unsere
Verfahrensweise, daß Habermas bei der Erstellung seines Werkes schon einige
wichtige Modifikationen von Rawls berücksichtigen konnte und in dem
Zusammenhang er das erste Mal mit dem
Anspruch einer ausführlicheren Analyse gezwungen war, einige zentrale Probleme
der späteren Diskussion anzusprechen. Die Grundlagen der Konzeption und die
Struktur des theoretischen Aufbaus betreffend hebt Habermas die Zweistufigkeit
der Rawlsschen Konzeption, die nicht konsequent zu Ende geführte Zweistufigkeit
hervor. Auf der ersten Stufe erscheinen die Fragen der Stabilisierung der
"wohlgeordneten Gesellschaft", - nach amerikanischer Auffassung "liberal",
in der europäischen Tradition nach dem sozialdemokratischen Modell. Auf dieser
Ebene "der Sinn für
Gerechtigkeit mag den Wunsch begründen, gerecht zu handeln; aber dieser ist
kein automatisch wirksames Motiv wie z.B. der Wunsch, Schmerzen zu vermeiden.
Rawls stützt sich deshalb auf eine ’schwache Tehorie des Guten’, um zu zeigen,
gaß gerechte Institutionen Verhältnisse schaffen würden, unter denen es in
jedermanns wohlverstandenem Interesse liegt, die eigenen freigewählten
Lebenspläne unter den gleichen Bedingungen zu verfolgen, die auch anderen
Personen zugestanden sind, damit ihre Lebenspläne verfolgen können".[32]
Dieses Modell setzt natürlich die Existenz von gerechten Institutionen voraus. Eine
andere Frage - stetzt Habermas fort -, wie diese Institutionen gergründet
werden können. Diese Frage, beziehungsweise die Antwort darauf wird von der
philosophischen Theorie der Gerechtigkeit nicht aus pragmatischem Aspekt,
sondern aus einem auf die kulturell- politischen Voraussetzungen der Pluralität
von Wertvorstellungen reflektierend formuliert. Das führt auf die zweite Stufe
der Argumentation: "[es]
handelt sich nicht um das Problem der Anwendung einer als Gültig vorausgesetzten Theorie, sondern um das Frage,
wie das normativ-theoretisch entfaltete Konzept der wohlgeordneten Gesellschaft
im Kontext einer bestehenden politischen Kultur und Öffentlichkeit so situiert
werden kann, daß es faktisch die Zustimmung verständigungsbereiter Bürger
findet”.[33]
Das Systemproblem der Stabilität und der Konsens der Bürger sind zwei
grundsätzlich verschiedene - aber gleichzeitig auch verknüpfbare- Fragen, wenn
sie voneinader nicht sorgfältig genug unterscheidet werden, kann das weitere
Probleme verursachen. Für die wichtigsten hält Habermas einerseits die nicht
ausreichend differenzierte Behandlung
von "reflektiven Equilibrium", andererseits die Störung in der
Differenzierung
von der philosophischen Begründung der Prinzipien
der Gerechtigkeit und dem politischen
Selbstverständis der normativen Grundlagen der
Rechtsgemeinschaft und schließlich die nicht gebührende Differenzierung des Rawlsschen Prinzips von
'umfassendem Konsens'.
Die Reflexionen der Kritik ermutigen Rawls den
Schritt von "A Theory of Justice" zu "Political
Liberalism" zu tun. Habermas beschreibt das Ergebnis zusammenfassend:
"In einer pluralistischen
gesellschaft wird die Theorie der gerechtigkeit nur dann auf Akzeptanz rechnen
dürfen, wenn sie sich auf einen Konzeption beschränkt, die im strikten Sinne
nachmetaphysisch ist, nämlich vermeidet, im Streit konkurrierender Lebensformen
und Weltansauungen Pertei zu ergreifen…Nun muß eine auf moderne
Lebensverhältnisse zugeschnittene Theorie der gerechtigkeit mit einer
Mannigfaltigkeit gleichberechtigt koexistierender Lwebensformen und Lebenspläne
rechnen; über diese wird aus der perspektive verschiedener Traditionen und
Lebensgeschichten vernünftigerweise Dissens bestehen".[34]
Rawls muß also - behauptet Habermas - für die Überbrückung der Kluft zwischen
Normativität der Vernunft und der Praxis der Reforme mit der Aufgabe,
beziehungsweise Einschränkung des universalen Anspruches der Theorie zahlen,
als Folge dieser Einschränkung kann er die soziale Sphäre, das "härtere Material
des Pluralismus" , also die Wiedersprüche der Institutionen und
Handlungssysteme erreichen.
Als eine konkrete Manifestation des Wiederspruches
ist die Entstehung der zweistufigen Theorie zu beobachten: auf der ersten Stufe
behandelt Rawls die Legitimität des Rechtes, ohne dabei die Rechtsformen und
die institutionellen Dimensionen des Rechtes zu berücksichtigen. Als dessen
Folge ist die im Recht implizit vorhandene Spannung einerseits zwischen
Faktizität und Geltung, andereseits
zwischen dem Legitimitätsanspruch des Rechtes und seiner sozialen
Faktizität nicht ihrer Bedeutung entsprechend zu besprechen. "Die Wirklichkeit, die der Norm entgegensteht,
reduziert sich im zweiten, reflexiv gewendeten Schritt der Überlegung auf die
kulturellen Bedingungen für Akzeptanz der Gerechtigkeitstheorie. [Die Theorie]
bezieht sich weder auf die tätsahlich institutionalisierten
Entscheidungsprozesse noch auf gesellschatliche und politische
Entwicklungstendenzen".[35] Rawls
verbindet die Doppelheit, den Widerspruch der Freiheit und Gleichheit, mit der
im Begriff der Gerechtigkeit gemeinsam
existenten moralischen und rechtlichen Dimension und plaziert sie gleichzeitig innerhalb
der Grenzen der Politik. Habermas hingegen begründet seine
Gerechtigkeitstheorie auf die Differenzierung der Kategorien Recht und Moral.
Einerseits gliedert er die systematische Begründung, den Anspruch an
Interpretation und Anwendung in das Recht ein, so ist es in der Auffassung von
Habermas gleichzeitig ein Sytem des Wissens, des Handelns, eine Institution und
ein das Handeln regelnder Normtext. Diese Komplexität schließt die Änderung des
Rechtes nicht aus, sie setzt es sogar voraus, nämlich aus den verschiedenen
Organisationen der Zivilgesellschaft zu den "parlamentaren Komplexen"
gelangene Impulse in dem Argumentationsprozeß der Gesetzgebung geltend gemacht.
Andererseits bedeutet die Trennung von Recht und Moral keine Negierung ihrer
Beziehung, wird aber die von dem Recht
differenzierte Begründung der moralischen Norm für notwendig gehalten. Habermas
ist überzeugt, daß dieser der Abzweigungspunkt ist, wo sich die Auffassungen
bezüglich der demokratischen politischen Regime der postklassischen Moderne
trennen.
4. Von der
Gerechtigkeitstheorie bis zum Liberalismus
Wir haben noch eine wichtige Aufgabe, bevor die
Begegnungen und Abzweigungen der Standpunkte näher betrachtet werden: die in
der vergangenen Zeit stattgefundene
Wandlung in Rawls Anschauungen muß kurz angesprochen werden. Der Überblick wird
dadurch erleichtert, obwohl in den Anschauungen von Rawls verschiedene
Auffassungen formuliert werden, was die Gründe und Tiefe der stattgefundenen Wandlung betrifft, doch
sich aus unserem Thema ergebend, - wie
auch bei Habermas - werden die Selbstreflexionen des Autors in Betracht gezogen.
Obzwar Rawl für die Kontinuität seiner
theoretischen Position argumentiert, vertritt er die Meinung, im
"politischen Liberalismus" nichts anderes getan zu haben, als die
Grundgedanken von Theorie der Gerechtigkei
gedeutet und erörtert zu haben, beantwortet er die Kritiken nach der
Veröffentlichung des Werkes, so wird in zwei Punkten die Akzentverschiebung
anerkannt. Die eine zugegebene Änderung betrifft die Auffassung bezüglich der
Grundgüter (a), die andere die historisch - gesellschaftliche Situierung des
Gerechtigkeitsprinzipes als Billigkeit (b),
auf jeden Fall ohne das geklärt zu haben, wie weit dadurch der
ursprünglich nicht definierte "philosophische Status" der Theorie
berührt wird. Auf das Letztere müssen wir noch im Interesse der mit Habermas
geführten Diskussion - wenn auch kurz -
zurückkommen ( c) .
a.) Die Grundgüter und der
Begriff der Person. Die schärfste Kritik der Rawlsschen Auffasung über die Grundgüter und
Grundstruktur in diesem Zusammenhang, veröffentlicht in der Theorie der
Gerechtigkeit (1971) wurde von Thomas Nagel formuliert, die späteren
Kommentare und Kritiken basieren darauf.[36] Nagels Argumentation begründet sich auf der
Analyse der "ursprünglichen Situation" und versucht auszuweisen, daß
die Liste der Grundgüter, die von den Parteien, die in der Verteretung der
Bürger vorgehen, bestimmt wird, eben als Folge der Gruppierung und Rangordnung,
einen vorhergehenden Aspekt, nämlich das Gute betroffene
liberal-individualistische Auffasung enthält.[37]
Rawls antwortet auf den Einwand, daß er betont, beziehungsweise in einem
gewissen Sinne sogar den Begriff der von den Parteien in der ursprünglichen
Situation vertretenen "Person" umdeutet, und zwar auf der Weise, daß
er sie sowohl in ihrer historischen als auch in moralischen und politischen
Determiniertheit konkretisiert. Also einerseits müssen wir bei der Definition
der Grundgüter nachfragen, "welche
Dinge als soziale Bedingungen und allgemein dienliche Mittel in der Regel
notwendig sind, um Menschen in die Lage zu versetzen, ihre moralische Vermögen
auszubilden und auszuüben sowie ihre letzten Ziele zu verfolgen". Adrereseits aber
sollen wir berücksichtigen - setzt
Rawls fort - , daß "der
Begriff der moralischen Person mit bestimmten höchstrangigen Interessen ist,
durch den festgelegt wird, was im Rahmen der Modellvorstellungen als Grundgut
zählt. Daher sind diese Güter nicht als allgemein dienliche Mittel zur
Verwirklichung dessen zu verstehen, was eine umfassende empirische oder
historische Übersicht als letzte Ziele
erweisen könnte".[38] Mit anderen
Worten, einerseits das Modell der über moralische Fähigkeiten verfügenden
Person, andererseits die institutionelle Struktur der Gesellschaft ,
schließlich die zwei Modelle verbindendes Verfahren sind an eine "die sozialen Erfordernisse und normativen
Bedingungen menschlichen Lebens in einer demokratischen Gesellschaft"[39]
gut anzupassen, der die politisch- institutionelle Einrichtung der
amerikanischen Demokratie maßgebend ist.
b.) Gerechtigkeit - politisch,
nicht metaphysisch. Rawls betont, daß er die Konture des Modells der Person"/nicht/ bloß
psychologische, soziologische oder historische These"[40]
der institutionellen Struktur, beziehungsweise des zwischen den beiden Modellen
vorhandenen Verfahrens, in Richtung der Moral und weniger in die des Rechtes
offenen theoretischen Programmes aufzeichnet.
Diese politische Konzeption ist nicht bloß durch
ihre Abgrenzung gegenüber den epistemologischen
und metaphysischen Fragenstellungen zu charakterisieren, sondern - als positive
Seite dieser Abgrenzung - als eine(liberale)Theorie der Bedingungen und der
Prozedur des Konsenses. Dementsprechend, solange Rawls den ersten
Fragenkomplex durch die Deutung
des Buches von 1971 zu klären versucht, geht er in dem zweiten Fragenkomplex
mit der Ausarbeitung von neuen oder neugedeuteten Kategorien einen Schritt
weiter. Unter Berücksichtigung der später mit Habermas geführten Diskussion,
sollen wir hier die Deutung folgender Kategorien hervorheben. Erstens, die
Definition der Gesellschaft, als zwischenmenschliche Kooperation. Nach Rawls
nämlich "die Gesellschaft
[kann] als ein faire System der Kooperation verstanden werden”, zu deren Charakteristika
vor allem, daß die Kooperation unterschiedlich ist „von gesellschaftlich koordinierten Handeln, das z.B.
durch die Befehle einer zentralen Autorität gelenkt wird”, die zu der Kooperation
notwendige Gegenseitigkeit, weiterhin "einen Begriff des rationalen individuellen Vorteils
oder Guten jedes Teilnemers" voraussetzt. Auf Grund dieser Definition kann der
Bürger der modernen konstituierten Demokratie als eine Person betrachtet
werden, die "ein Leben lang
ein voll kooperiendes Mitglied der gesellschaft sein kann."[41]
Bürger, die miteinander zu kooperieren fähig und bereit sind, verfolgen
aber in den modernen Demokratien
verschiedene Wertordungen, keine von denen kann mit Geawalt geltend gemacht,
institutionalisiert werden und auf den
anderen aufoktroyiert werden. Zweitens, deswegen muß das Faktum des Pluralismus
zur Kenntnis genommen werden. In der modernen demokratischen Gesellschaft kann
das Prinzip der Gerechtigkeit nicht auf einer umfassenden moralischen,
religiösen, philosophischen oder politischen Auffassung ruhen, es kann nur als
eine diese divergenten Standpunkte gleichmäßig akzeptierende
liberale politische Konzeption artikuliert werden. Folgerungsweise, soweit die Prinzipien der Gerechtigkeit eine
moralische Deutung voraussetzen, kann
diese Deutung unter den Rahmen der traditionellen (philosophischen)
Morallehren nicht gewährt werden.
Nämlich "aus
praktisch-politischen Gründen [kann] keine algemeine moralische Lehre eine
öffentlich anerkannte Grundlage für eine Gerechtigkeitskonzeption in einem
modernen demokratischen Staat bereitstellen."[42]
Wenn aber die Kooperation zwischen den Bürgern nicht auf die Differenzierung
der Weltanschauungen, auf eine umfassende moralische oder politische
Auffassung bauen kann, gibt es nur
einen Weg und zwar die Suche nach der
Möglichkeit eines politischen Konsenses und die Behandlung der strittigen
Fragen vor der Öffentlichkeit. Drittesn also, die Alltäglichkeit von
"common sense" und dadurch ruht die vorweg mögliche Entstehung des
"übergreifenden Konsenses" nicht auf irgendeinem umfassenden
Weltbild, sondern in der politischen Kultur der modernen konstitutionierten
Demokratien und in der daran knüpfeneden Öffentlichkeit. Hier sind die Gründe
zu suchen und zu finden. Deren Prinzipien, beziehungsweise Voraussetzungen
sind: Wahl- und Partizipationsrecht für die Bürger, Schutz der
Rechtsstaatlichkeit, Akzeptanz und Befolgung der entsprechenden, rationalen
Regeln der Diskussion. Auf dieser Weise ist die politische
Gerechtigkeitskonzeption stabil, da "ausschließlich in Begriffen bestimmter grundlegender
intuitiver Gedanken formuliert, von denen angenommen wird, daß sie implizit in
der öffentlichen politischen Kultur einer demokratischen Gesellschaft enthalten
sind."[43]
Die Konzeption der im "nicht metaphysischen Sinne" apperzipierten
Gerechtigkeit als Billigkeit, bringt
Rawls für den Anfang der 9o-er Jahre den theoretischen Problemen - die
auch Änderungen zeigen - von Habermas
in mehreren Punkten näher, dadurch, daß er in der politischen Kultur der
konstitutiven demokratischen Einrichtung in erster Linie die Wichtigkeit des
Konsenses, der Öffentlichkeit und innerhalb dessen, die des Diskurses betont.
Um ein umfassendes Bild über die Rahmen und Themen des Diskurses zu gewinnen,
wenn auch nur kurz, soll doch der theoretische Status der Rawlschen Konzeption-
die ähnlicherweise sich änderte und in der erwähnten Periode auch klarer wurde,
überblickt werden.
c.) Der Konstruktivismus. Rawls widmet der
Definition des theoretischen Status seiner Konzeption in seinem Buch von 1971
nur eine geringfügige Aufmerksamkeit, obwohl ein ganzer Punkt für die
Behandlung der Frage,[44]
er betrachtet die Trennlinie zwischen der Philosophie(besonders der
Moralphilosophie) und der Gessellschaftstheorie ziemlich diffus. In
"Political Liberalism" sind die Trennungslinisen viel markanter,
obwohl Rawls auch dieses Mal keine besondere Anstrengungen unternimmt, die
Frage -die aus dem Aspekt der mit Habermas geführten Diskussion wichtig ist - explizit zu behandeln. Es ist auf jeden Fall festzustellen: wenn
auch nicht explizit, untersucht Rawls abermals den Status der theoretischen
Konstruktion aus mindestens drei Aspekten und ändert seinen früheren
Standpunkt. In drei Punkten fassen wir diese Änderung zusammen.
Erstens. Seit 198o definiert Rawls die
Beziehung seiner Theorie zu Kant nicht nur eindeutiger, er führt sogar
wesenltiche Änderungen in seiner Auffassung durch, daß er den Kantischen
Charakter seiner Theorie im
Konstruktionsverfahren definiert. In Anbetracht der Konstruktion "der
Leitgedanke ist der, mittels eines Konstruktionsverfahrens eine geeignete
Verbindung zwischen einem bestimmten Begriff der Person und obersten
Gerechtigkeitsgrundsätzen herzustellen."[45]
Folgerungsweise, obwohl die Prinzipien der Person, beziehungsweise der
Gerechtigkeit im Rahmen dieser Konstruktion mit der Konstruktion nicht inkompatibel sein kann, aber die Theorie und ihre Grundkategorien
"streng genommen offenkundig nicht Kants Auffassung sind: sie weicht in
vielen Hinsichten von seinen Texten ab." Der Kantische Charakter der
Theorie zeigt nur eine Analogie und keine Identität - setzt Rawls fort - es
geht also darum, daß es gewisse Ähnlichkeiten zwischen den Konstruktionen
gibt, besonders in der Hinsicht, wie
Rawls die Existenz eines Zusammenhanges zwischen dem Konsens der Parteien
und des intuitiven Verhaltens der
Bürger (die Entstehung des reflexiven Equilibriums) voraussetzt.[46]
Der Kantische Charakter bedeutet für
Rawls weiterhin, daß er das "zwei
Jahrhunderte" alte Problem des offensichtlichen Konflikts der Freiheit und Gleichheit unter die Lupe
nimmt, er unternimmt einen Versuch, das Problem zu lösen: die Grundsätze(die
zwei Prinzipien) müssen der zum Konsens
notwendigen Voraussetzungen der freien und gleichen Bürger, als moralischen
Personen einer demokratischen
Gesellschaft Genüge leisten.
Zweitens. Die Betonung des
Kantischen Konstruktivismus der Theorie bedeutet zugleich eine implizite Abgrenzung von dem philosophischen, und
zwar nicht bloß von erkenntnistheoretischen, sondern von allen metaphysischen (
bezüglich der Metaphysik der Moral) Auffassungen von Kant. Wie schon darauf
früher hingewiesen wurde: für Rawls bedeutet der politische Liberalismus ein
Tolerieren umfassender philosophischen, antropologischen,
religiösen, moralischen Auffassungen aller Arten, er vertritt also eine
politische Auffassung, die außerhalb dieser Grundsätze steht. Der Standpunkt
des "Kantischen Konstruktivismus" zeigt aber auch eine Distanzierung
von der analytischen philosophischen Tradition. Es kann also festgestellt werden,
daß Rawls eine zweifache Aufgabe zu lösen versucht: einerseits stellt er erneut traditionelle politische und
moralphilosophische Fragen, andererseits besteht das Novum seiner
Antwortversuchen darin, daß er mit dem philosophischen Aspekt radikal bricht.
Aus dem doppelten theoretischen Programm geht das Selbstverständis des durch
das System, die Werte und die Normen der modernen konstitutiven Demokratie der
Person, als Bürger erzogenen, rational handelnden Menschen und auf dessen Grund die Konsens- Möglichkeiten, die mit den
anderen geschaffen werden können, hervor."Die Suche nach vernünftigen Gründen für eine
Übereinkuft, die in unserem Selbstverständnis und unsere Beziehung zur
Gesellschaft wurzelt, ersetzt die Suche nach einer moralischen Wahrheit, die
als durch eine vorgängige und unabhängige (sei es natürlicher oder göttliche)
Ordnung von Gegenständen und Beziehungen festgelegt interpretiert wird, einer
Ordnung, die von unserem Selbsverstandnis abgelöst und von ihm verschieden ist."[47]
Drittens. Als a priori gegebene
Gemeinschaft der demokratischen politischen Kultur und der Begriff des diese
Prinzipien aus rationalen Gründen akzeptierenden Bürgers, das Modell "der
wohlgeordneten Gesellschaft", das reflexive Equilibrium, als Garantie der Entsprechung zwischen den
beiden - zeigt die Struktur einer gut aufgebauten zirkularen
Gesellschaftstheorie.[48]
Der Ausgangspunkt darin ist " das Generationen umfassende System der
demokratischen Gesellschaft" , das die genauer nicht definierten
historischen und strukturellen Bedingungen der Theorie gewährt. Und auf dem
anderen Punkt der zirkularen Theorie steht das Modell der institutionierten und auf den obigen
Bedingungen abgeleiteten Prinzipien gebaute wohlgeordneten Gesellschaft. Der Zirkulus ist also offen, kehrt nicht zum Ausgangspunkt ohne
Differenzierung zurück, gleichzeitig bleiben
die miteinander zusammenhängenden
Definitionen(Person, Bürger), die bestimmenden Grundsätze und Lebensziele(Gerechtigkeit, die Deutung des Guten)
innerhalb des Zirkulus, und ermöglichen für die Ausgangsbedingungen dem Modell
näher zu kommen.[49]
II.
Neuere Abzweigungen
Die Habermassche Diskussionen sind jedes Mal
Diskussionen, die die Grundfragen der theoretischen Standpunkte klären, die
Trennlinien ziehen. Der gegenwärtige Gedankenaustausch mit Rawls verläuft
ähnlich. Diese Diskussion wurde für Habermas erst wichtig, als sie zu einem
Punkt gelangte, wo die Berührungspunkte bezüglich des modernen konstituierten
Rechtsstaates ihre Konture gezeigt
haben, wo es notwendig war die Begegnung und Abzweigung der Standpunkte zu
klären. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die bisherigen Ereignisse
leicht zu verfolgen sind, scheint es zweckdienlich zu sein, in einer
chronologischen Reihenfolge vorzugehen; 1) die Hauptaspekte des
Diskussionsauftaktes in der Studie von Habermas zu überblicken, 2) die Antwort
von Rawls auf die "Aufforderung" zu überschauen, 3) und schließlich
die Argumente der Gegenantwort von Habermas, den bisherigen Abschlußakt des
Gedankenaustausches zu untersuchen.
1.Das
Familienverständnis und seine Grenzen
Was den Rahmen und Ausgangspunkt der Diskussion
betrifft, meint Habermas, er muß vor allem zum Ausdruck bringen, daß die
Gemeinschaft der theoretischen
Programme festen Fuß faßt. Rawls formuliert die Fragen der gerechten
politischen Zusammenarbeit der Bürger auf die Grundlagen der zweifachen
theoretischen Distanzierung und der Intersubjektivität bauend. Nämlich: "in Frontstellung gegen den Utilitarismus aud
der einen, den Wertskeptizismus auf der anderen Seite, hat er eine
intersubjektivistische Lesart für Kants Begriff der Autonomie vorgeschlagen:
autonom handeln wir, wenn wir genau den Gesetzen gehorchen, die von allen
Betroffenen auf der Grundlage eines öffentlichen Gebrauchs ihrer Vernunft mit
guten Gründen akzeptiert werden könnten."[50]
Die Diskussion erregende Frage, einerseits wie weit Rawls in der von ihm
gewählten theoretischen Konstruktion die theoretische Position der
Intersubjektivität aufrecht erhalten kann, andererseits das gesteckte Programm
konsequent zu verwirklichen. Habermas analysiert in drei Themenkreisen: a) das
Rawlssche Modell des Urzustandes b) die Rawlssche Interpretation des
Zusammenhanges von Pluralismus und umfassendem Konsens c) die Erläuterung der
Autonomie nach Rawls.
a) Der Urzustand. Anhand des Rawlsschen
Modells des Urzustandes formuliert Habermas die auch von Nagel gestellten
Frage: ob die theoretische Konstruktion
zu Begründung der parteilosen Bewertung zwischen den verschiedenen
Auffassungen der Gerechtigkeit geeignet
ist? Das Problem wird - in der Formulierung von Habermas- von dem folgenden
Widerspruch gekennzeichnet: die Parteien müssen in dem Urzustand die
Gegenseitigkeit der von ihnen Repräsentierten in Betracht nehmen, während ihr
Einverständnis auf einer davon gänzlich abweichenden, anderen Entscheidung -
von dem rationalen Egoismus ausgehenden rationalen Entscheidung - begründen
müssen. In Kenntnis der Antwort auf das Gegenargument von Nagel beurteilt Habermas die Situation: wenn das
theoretische Modell der Grundstrukrur notwendigerweise variabel ist, um dieses
Gegenargument zu schwächen, werden die
aus dem Widerspruch entstandenen "begriffstrategischen Zwänge" auf
dem teheoretischen Bau ihre Spuren
hinterlassen, und zwar in der Auffassung bezüglich der Grundgüter. Das Problem
kommt darin zu Vorschein, daß Rawls
gezwungen ist, die Freiheitsrechte in die Grundgüter einzuordnen und dadurch in
das Distributionsparadigma aufzunehmen. Weil "da Rawls an einer Konzeption der Gerechtigkeit
festhält, wonach sich die Autonomie der Bürger durch Rechte konstituert, bringt
ihn das Distributionsparadigma in Schwierigkeiten. Rechte lassen sich nur in
der Weise ’genießen’, daß man sie ausübt. Sie können nicht an
distributive Güter assimiliert werden, ohne ihren deontoligischen Sinn preiszugeben."[51]
So kann die Einreihung der Rechte in die Güter nicht vollkommen oder ohne
Widersprüch sein. Wie auch die Argumentation der Kritik von Herbert Hart,[52]
weist Habermas darauf hin, daß Rawls bei der Differenzierung der zwei Gruppen
der Grundgüter in puncto Status des Rechtes, zwei einander ausschließende
Konsequenzen zieht. Die Grundgüter - unter ihnen die Rechte - definiert Rawls
einerseits als Lebensziel und Voraussetzung moralischer Fähigkeiten freier und
gleicher Personen, andererseits aus moralischem Aspekt konstitutive Elemente
für die instituitionellen Rahmen der wohlgeordneten Gesellschaft, das Letztere
kann ohne eine stillschweigende deontologische Differenzierung der Rechte und
Güter nicht möglich sein.
Die kritische Argumentation von Habremas fassen
wir bei diesem Punkt, wie folgt zusammenn: In seinem theoretischen Programm
setzt Rawls zum Ziele, die Rolle der Kantischen Imperativus einem Verfahren mit
mehreren Akteuren zu übertragen. Zugleich belastet er durch die Begründung des
Verfahrens auf dem Modell der rationalen Entscheidung die egozentrische
Auffassung mit der theoretischen Auseinandersetzung der Individualität, es
wirkt auf die Geltendmachung der
Intersubjetivität des Verfahrens einschränkend. Von diesem Punkt an können aber
die Auffassungen nicht mehr parallel laufen. „Rawls legt die Parteien des Urzustandes durch Informationsbeschränkung
auf eine gemeinsame Perspektive fest und neutralisiert damit von vornherein die
Vielfalt der pärtikularen Deutungsperspektiven durch einen Kunstgriff. Die
Diskursethik sieht hingegen den moralischen Gesichtspunkt im Verfahren einer
intersubjektív durchgeführten Argunemtetion verkörpert, welches die Beteiligten
zu einer idealisierten Entschrankung ihrer Deutungsperspektiven anhält."[53]
b) Pluralismus und Konsens. Ein wichtiges Element
der Habermasschen Argumentation beruht sich darauf, daß es nicht zureichend
ist, die Akzeptanz der Gerechtigkeitsprinzipien auf die Tradition oder in den
Rahmen der demokratischen Gesellschaft zu bauen, es muß bewiesen werden, daß
diese Konzeption mit gutem Grund in der Gesellschaft auf dem Pluralismus miteinander konkurierender Deutungen bauend
die Akzeptanz für sich beanspruchen kann. Dazu aber "vor allem muß der zentrale Begriff der Person, auf den
sich die Theorie letzlich stützt, so neutral sein, daß er aus der
Deutungsperspektiven verschiedener Weltanschauungen akzeptiert werden kann."[54]
Mit anderen Worten, nicht bloß das ist zu beweisen, daß das als Billigkeit
aufgefasste Gerechtigkeitsprinzip auf der Intuition des in der Kultur der
demokratischen Tradition vorhandenen Konsens begründet werden kann, sondern daß
auf diesem Prinzip unter pluralistischen Bedingungen ein umfassender Konsnens aufgebaut werden kann. Folgendes
irritiert Habermas: die Rawlssche Theorie betrachtet - wenn auch
differenzierend - die Frage der Akzeptanz seiner Theorie von Bürgern "aus
Fleisch und Blut" gleichermaßen, wie die Frage der Stabilität der
wohlgeordneten Gesellschaft. Dadurch
gerät aber die Inbetrachtnahme der Tatsache außerhalb der Theorie, daß dem
Konsens der auf dem Grund der vorgeschlagenen Konzeption der Gerechtigkeit die
Überzeugung der Bürger von dieser
Konzeption vorausgehen muß. Ohne das
wird in dem Prozeß des Vernunftgebrauches die Perspektive der sich
erschließenden Gültigkeit neben dem
funktionalen Aspekt der Untersuchung der Stabilität verloren gehen. Anders
asgedrückt: es ist unumgänglich die Gegenüberstellung von Rationalitat und
Gerechtigkeit der Gerechtigkeitsheorie und im Allgemeinen der normativen
Aussagen. Dementsprechend schreibt Rawls den Gerechtigkeitsanspruch allein den
umfassenden religiösen metaphysischen Theorien
zu, während den normativen Aussagen das rationale Prädikat zuordnet. Und
Habermas behauptet im Diskurs: der Vernunft ist sozusagen die Öffentlichkeit ihres Gebrauchs
eingeschrieben, „verstehen wir ’vernünftig’ im Sinne der praktischen Vernunft
als gleichbedeutend mit ’moralisch wahr’, d.h. als einen wahrheitsanalogen
Geltungsbegriff, der von propositionaler Wahrheit verschieden ist".[55]
So schaffen die Bürger den Konsens in dem konstitutiven Prozeß der
diskursiv-argumentativen Öffentlichkeit der normativen Aussagen, oder des
Geltungsanspruches irgendeiner Konzeption der Gerechtigkeit nicht, sondern den
intuitiv vorhandenen normativen Inhalt
ihres moralisch relevanten Handelns erkannt in einer vorgeschlagenen
Konzeption der Gerechtigkeit nehmen sie die vorgeschlagene Konzeption an,
bekräftigend dadurch die Existenz eines umfassenden Konsenses.
c) Die Autonomie. Die Verschmelzung der
Frage der Geltung und der Akzeptanz in der konstitutiven Demokratie betrifft
die politische(öffentliche) und nicht politische(private) Autonomie der Bürger
unmittelbar. Habermas stellt fest, daß
Rawls - unter besonderer Berücksichtigung der Konzeption des politischen
Liberalismus - den Ausdruck "politisch" in drei voneinander
unterschiedlichen Bedeutungen anwendet. Erstens, im Sinne "nicht
metaphysisch" hebt er die weltanschauliche Neutralität der
Gerechtigkeitskonzeption hervor. Zweitens, im üblichen Sinne bedeutet
"politisch" die öffentliche Bestätigung der Interessen innerhalb
institutioneller Rahmen und der Grundstruktur entsprechend. Drittens und
schließlich durch die spezielle Verbindung der zwei Deutungen "bildet das
Politische in dieser dritten
bedeutung einen Fundus sowohl für gemeinsame Überzeugungen der Bürger wie für
die Gesichtstspunkte der regionalen Abgrenzung eines Gegenstandbereich"[56]
Die Kritik von Habermas betrifft die Abgrenzung des Politikums durch Rawls,
nicht nur aus dem Grunde, daß es aus
normativem Aspekt die Trennungslinie zwischen Privatem und Öffentlichem zu
ziehen problematisch schiene, sondern da die Rawlssche Zweiteilung der
Identität der Bürger die Sphäre der
liberalen Freiheitsrechte und das Recht der Partizipation voneinander trennt. Hinsichtlich der Rangordnung der Prinzipien ist Rawls gezwungen, die
Sphäre der politischen Werte auf die vorpolitische Freiheitssphäre zu bauen.
Das Problem ist für Habermas theoretisch-logisch
und praktisch-politisch zugleich. In dem ersten Falle wird es fragwürdig, ob
das Programm beziehungsweise Ausgangspunkt der Intersubjektivität der
Rawlsschen Theorie aufrecht erhalten bleiben kann, wenn es bewiesen wird, daß
sich die Intersubjektivität nach der Entfaltung der impliziten Hypothese der
Theorie
als abgeleitete Kategorie erweist. Oder noch
allgemeiner formuliert: inwiefern kann
sich eine theoretische Konstruktion behaupten, gegenüber der Kritik verteidigt
werden, derer expliziter Ausgangspunkt und implizite Hypothese miteinander im
Widerspruch stehen? Die praktisch-politische Seite der Frage lautet: ob die
Bürger unter den Verhältnissen der konstitutiven demokratischen Einrichtung aus
politischer Sicht als autonom betrachtet werden können, wenn sie nicht gleich
Mitgestalter der Gesetze sind, denen sie untergeordnet sind? Auf dem Grund der
unterschiedlichen Antworten auf diese
Fragen stellt Habermas die weitere Abzweigung der zwei theoretischen
Standpunkte fest, er baut seine eigene Konzeption auf dem Begriff des Staatsbürgers, erweitert mit der Kompetenz der
Gesetzgebung einerseits und auf dem Gedanken, daß die verwirklichten Ergebnisse
durch die öffentliche und diskursive Praxis der Vernunft der Gesetzgebung nur
unter den Rahmen des positiven Rechtes zu institutionieren sind, andererseits.
2..
Die Aspekte des Politischen
Rawls interpretiert - die Kritik von Habermas
beantwortend - den grundsätzlichen Unterschied der Standpunkte Philosophie und Politiktheorie(politischen
Philosophie) in einer schärferen Interpretation als früher, "politischer
Liberalismus bewegt sich innerhalb der Kategorie des Politischen und läßt die
Philosophie im übrigen so, wie sie ist", die Theorie von Habermas hingegen
gehört dem Kreis der umfassenden weltanschaulichen Lehren.[57]
In die Sphäre also, derer Konzeptionen zum
Gegenteil - gleich welcher Richtung sie angehören - der politische Liberalismus
streng genommen neutral ist. Rigoros gesehen, würde also der Standpunkt von
Rawls die detallierte Diskussion mit der "umfassenden Lehre" von
Habermas ausschließen, die Auseinandersetzung sollte - und könnte - sich auf
die Ausweisung der Unterschiede der theoretischen Grundsellungen, also auf die
theoretisch-logischen Fragen der Konstruktion beschränken. Eine gegliederte
Darstellung, ausführlicher als füher, gibt Rawls in seiner Antwort, a)
einerseits mit der Darlegung von "Bedingungsproblem",
andereseits mit der vom dem Begriff des umfassenden Konsenses b). Während Rawls
im Zeichen dieses Unterschiedes betont, daß
weder der Person noch der Gerechtigkeit
bezüglich seine Auffassung in
den Bereich der Philosophie überleiten
würde, schließt er doch nicht völlig den Dialog der theoretischen Positionen
aus, c) in Fragen der Deutung der Freiheitsrechte, beziehungsweise der
politischen Autonomie, oder d) in der Frage der Prozeduralität und
Substanzialität.
a.) Das Begründungsproblem. Als universale
Voraussetzung der rationalen und freien Diskussion ermöglicht die ideale Sprechsituation zugleich die
Begründung des Konsenses, der die Garantie der Gerechtigkeit und Geltung
bedeutet. Insofern ist also das Begründungsproblem die theoretische Lösung der
gesellschaftlichen Kultur, und kein Bestandteil der öffentlichen politischen
Kultur. Gegenüber dieser theoretischen Strategie von Habermas argumentierend
steht Rawls vor der doppelten und gleichzeitig zu lösenden Aufgabe der Konsensbegründung: die Trennlinien zu
ziehen, die Begründung durchzuführen - abgegerenzt auf den Bereich der Politik
. Um die Aufgabe zu lösen, arbeitet Rawls eine dreifache
Begründungsmethode, die ausführlicher
als die fühere ist, aus und das verbindet er mit zwei verschiedenen Formen des
Konsenses. Demnach soll erstens die vorherige oder "pro-tanto"
Begründung der auf politischen Werten bauenden politischen Konzeptionen
differenziert werden, währen dessen "die politische Werte so in eine Rangordnung gebracht oder
gegeneinander abgewogen werden können, daß es möglich ist, durch öffentlichen
Vernunftgebrauch allein auf ihrer Grundlage alle (oder fast alle) Fragen zu
beantworten, welche die wesentlichen Verfassungsinhalte und grundlegende
Probleme der Gerechtigkeit betreffen."[58]
Diese Weise der Begründung zeigt sich noch mehr oder weniger offen in die
Richtung der Sphäre umfassender Lehren. Zweitens ist damit die
"vollständige Begründung "
verwandt, wenn die einzelnen Bürger "als Mitglieder der Zivilgesellschaft"
auftreten, und die Begründung ihrer politischen Konzeption weiterführt,
"indem er sie in irgendeiner
Weise als wahr oder vernünftig in seine umfassende Lehre eingebettet sind".
Schließlich, drittens aus dem Aspekt des politischen Liberalismus kann
"die öffentliche Begründung durch die politische Gesellschaft" als
wichtigste betrachtet werden. "Die
öffentliche Begründung kommt es, wenn alle vernünftigen Mitglieder der
politischen Gesellschaft eine Begründung für die von ihnen geteilte politische
Konzeption geben, indem sie diese in ihre verschiedenen vernünftigen
umfassenden Lehren integrieren. Dabei berücksichtigen vernünftige Bürger
einander als Vertreter vernünftiger umfassender Lehren, die dieser politischen
Konzeption zustimmen, und eben dieses Einander-Berücksichtigen prägt die
moralische Qualität der öffetlichen Kultur einer politischen Gesellschaft".[59]
Die gemeinsame Basis, worauf die politische Gesellschaft aufbaut, wird von der
Öffentlichkeit einander akzeptierenden Bürgern geschaffen, die verschiedenen
umfassenden Lehren folgen. Die politische Gesellschaft und die politische
Konzeption der Gerechtigkeit sind nach Rawls nur dann zu begründen, wenn der,
die Differenzen der allgemeinen Lehren tolerierende, für die weltanschaulichen
Unterschiede neutral-rationale und umfassende Konsens der Bürger zustande
kommt.
b.) Konsens und Stabilität. Im Zusammenhang mit dem
Begründungsproblem hält Rawls die
Differenzierung zwei Formen des Konsenses für wichtig, einerseits den zu dem
Kreis der Alltagspolitik gehörender und im Sinne des Konsenses der Politiker,
andereseits als die Konzeption des politischen Liberalismus gedeuteten,
"vernünftigen übergreifenden Konsnes".
Was den Konsens
im Sinne der Vereinbarungen politischer Akteure(Parteien und Politiker)
betrifft, ist die Zielsetzung, Koalitionen auf Grund von verschiedenen
Interessen und Ansprüche zu schaffen. Von diesem Konsens behauptet Rawls, er sei nicht anderes, als eine
Zutagebringung des latent vorhandenen Einvertsändnisses durch Geschick, Wissen und Fähigkeiten der
politische Akteure auf Interessen beruhend. Die Frage des rationalen
umfassenden Konsenses ist hingegen, ob in der pluralistischen und
demokratischen Gesellschaft die Stabilität zu erreichen ist. Eine
zufriedenstellende Antwort kann nur gegeben werden, "wenn wir zeigen können, daß es gute Gründe für
verschiedene vernünftige Leute gibt, gemeinsam Gerechtigkeit als Fairnes [oder
eine andere vernünftige Lehre] als regulatív-wirksame politische Konzeption anzuerkennen" Wenn
nämlich "in einer
politischen Gesellschaft ein solcher vernünftiger Konsens besteht, so ist es
dies dem politischen Liberalismus zufolge die tiefste und vernünftigste
Grundlage sozialer Einheit, die wir als Bürger moderner demokratischer
Gesellschaften erreichen können".[60]
Wenn zum Beispiel die angeführte politische
Konzeption die als Billigkeit aufgefasste Gerechtigkeit ist, begründet die so entstandene Einheit die
Stabilität im nachstehendem Sinne: erstens reguliert die Konzeption der
politischen Gerechtigkeit die Grundsrtukrur der Gesellschaft, zweitens beruht
die Konzeption der politischen Gerechtigkeit auf dem umfassenden Konsens,
drittens die Fragen der den Inhalt der Verfsassung betreffenden öffentlichen
politischen Diskussion werden auf Grund der rationalsten Konzeption der
Gerechtigkeit beantwortet.
Rekapitulieren wir also: Die Kritik von Habermas
ist auf die Annahme zurückzuführen, daß Rawls
die Begründung des Konsenses in die Frage der Stabilität umkehrt. Rawls
scheint hinegegn dafür zu argumentieren, daß Habermas' Kritik aus dem Aspekt
des politischen Liberalismus von außen, von den allgemeinen Weltanschauungen,
kommt, aber durch die dritte, die öffentliche Weise der Begründung einerseits
und aufgrund des politischen Liberalismus unter den Rahmen des rationalen
Konsenses andererseits also ohne die Inanspruchnahme der
Gerechtigkeitskonzeption und der philosophischen Konzeption der Person
beantwortet werden kann.
c.) Die zweierlei Autonomie. Im Rahmen des
politischen Liberalismus faßt Rawls die
politische Autonomie -nicht moralische- in zwei Punkten zusammen. Erstens, die
Bürger erlangen volle politische Autonomie, wenn sie unter einer gerechten Verfassung
leben, die ihre Freiheit und Gleichheit sichert und wenn sie diese
Verfassung und diese Gesetze verstehen.
Und zweitens, wenn die Bürger die Verfassung und die Gesetze ungerecht oder nicht vollkommen empfinden,
müssen sich danach streben, daß die Grenzen ihrer Autonomie abgebaut werden.
In dem letzteren Fall aber - behauptet Rawls -
kann die gerechte politische Einrichtung von den Bürgern in einem Sinne als
Projekt betrachtet werden, wie das
Habermas in seiner Diskussionsschrift formuliert, ohne aber sich auf irgendwelcher allgemeinen
und zusammenfassenden weltanschaulichen
Lehre zu stützten. Was den anderen Fragenkomplex der Autonomie, nämlich
die von Habermas für wichtig gehaltene Gleichwertigkeit und gleichzeitige Entstehung der
öffentlichen und privaten Autonomie
betrifft, meint Rawls: die Differenz der zweierlei Autonomien besteht nicht in ihrer
Unterscheidung und der Wertung ihrer Zusammenhänge, sodern darin, daß Habermas,
auf den Spuren des klassischen Humanismus, dem politischen Leben gegenüber der
Konzeption des Guten ein Übergewicht gewährt. Anders formuliert: Rawls
meint in der Theorie von Habermas in
der Universalität der Sprechsituation einerseits, im Zusammenhang damit in der Übergewicht - Erscheinung der
Ausübung politischer Autonomie die Spuren des die Gesellschaft umgestaltenden Radikalismus zu erkennen.
d.) Prozedurale versus
substantielle Gerechtigkeit. Nach Rawls
Meinung könnte - rigoros genommen - nich einmal Habermas seine eigene
Auffassung rein prozedural nennen. Nicht bloß nach der Begründung "käme kein faires Resultat zustande, so hätten
wir es nicht mit einem gerechten Verfahre zu tun", sondern da in dem
Hintergrund der gesellschaftlichen Diskurstheorie die substantive Deutung der Werte steht. In erster
Annäherung sind mit dem Verfahren Werte
verbunden, wie "Unparteilichkeit
und Gleiccheit, Offenheit (keine Person und keine releveante Information wird
ausgeschlossen), Abwesenheit von Zwang und Einstimmigkeit, und die
zusammengenommen eine Diskussion hin zu verallgemenerbaren Interessen und zur
Übereinstimmung aller Beteiligten führen. Dieses Resultät ist gewiß ein
substantielles; dernn er verweist auf eine Situation, in der die
verallgemeinerbaren Interessen der Bürger erfüllt werden".[61]
Die Überbetonung der prozeduralen Aspekte des öffentlichen Vernunftgebrauchs
hat ihre Folgen: die Untersuchung der Gerechtigkeit bei Habermas kehrt oft in
die Frage der Legitimität um, die zwei Problemkreise sind mindestens nicht klar
differenziert. Es geht hier lediglich nicht darum, daß die Legitimität der
Machtausübung nicht notwendigerweise
die Verfolgung von gerechten Prinzipien bedeutet, wie es Beispiele in den traditionellen Gesellschaften und in den
modernen Demokratien gleicherweise zeigen, es geht also darum, daß Legitimität
schwächer als Gerechtigkeit ist, da die weichere Voraussetzungen der
Machtausübung bestimmt. Das
Zusammenfassen von Gerechtigkeit und Legitimität durch das Verfahren vor allem
deswegen problematisch ist, da
demokratische Entscheidungen und Gesetze nicht deshalb legitim sind, weil sie gerecht sind, sondern
weil sie in legitimer Weise in
Übereinstimmung mit anerkannten legitimen demokratischen Verfahren zustande
gekommen sind.
Folgerungsweise ist es nicht zu erwarten, daß eine
aus dem Aspekt der Legitimität entsprechend funktionierende Gesetzgebung
zugleich unbedingt auch gerecht sei. Die Möglichkeit der Kritik und der damit
verbundene Diskurs und die
Argumentation, worin Habermas die Garantie der prozeduralen Demokratie sieht,
betrachtet auch Rawls als notwendig, aber nicht genügend. Die Argumente und
Gegenargumente können bloß durch eine inhaltliche Überprüfungsinstanz miteinander verbunden werden.
3.
Demokratische Selbstgesetzgebung und negative Freiheiten
Es scheint trotz der Analyse von Habermas, die die
Gemeinsamkeiten des theoretischen Programms betonende Diskussion einleitete,
daß sich die Grundsatzdifferenzen abzeichnen. Auf der einen Seite ist das
Modell der Vorstellung im Bereich der Diskussion und Diskurs der politischen
Öffentlichkeit sich Verfassung und Gesetze schaffender von ganz oben bis ganz
unten autonomen Bürger, auf der anderen Seite das Modell der unter den
Voraussetzungen der umfassenden Konsens der politischen Kultur einer
konstitutiven Ordnung begründenden eixistierenden Bürger, diese Voraussetzungen
der Ausgestaltung der Gerechtigkeitsprinzipien entsprechend, aber die Funktion
der Institutionen als nicht befriedigend
beurteilenden Bürger. Diese beiden Modelle sind nicht bloß mit einer voneinander
differenzierenden theoretischen Tradition, die mit sich selbst auch oft in
Diskussuion gerät, verbunden, sie
tragen zugleich bezüglich des modernen konstitutiven Rechtsstaates aktuelle
Konsequenzen. Diese von den Diskussionspartnern sorgfältig erschlossene
theoretische Beziehung behandeln wir zu einem späteren Zeitpunkt, vor allem
erörtern wir von den letzteren Themenbereichen von den neuesten Argumenten der
Habermasschen Antwort jene, die Beziehung von Politik und Moral betreffen,
unter besonderer Berücksichtigung der Kritik der freistehenden
Politikkonzeption im Sinne der Gleichgültigkeit gegenüber der umfassenden
Weltanschauungen (a), dann - Habermas verfolgend- kommen wir auf die Frage der Differenzierung und Beziehung der
beobachtenden und teilnehmende Perspektive (b).
a.) Zur Kritik der freistehender
Politik.
Die Aufforderung des Pluralismus beantwortend setzt der politische Pluralismus
voraus, daß die Mitglieder der modernen Gesellschaft kein gemeinsames Ethos,
sondern eine gegenseitige Erwartung durchdringt, damit sie ihre Probleme nicht
auf der Basis der Willkür, sondern im
Rahmen der Kooperation, weiterhin auf der Basis der moralischen Überzeugungen
und Normen, die die Voraussetzungen der Kooperation bedeuten, lösen. Die Frage
ist, da in der Zeit der Moderne die "objektive" Vernunft durch die
"subjektive" Vernunft des menschlichen Geistes abgelöst worden sind,
wie die normative Sätze begründet werden können. Habermas meint, daß Rawls -
das Program der Umgehung des tarditionellen moralischen Realaismus und des
modernen Werteskeptizismus forschend - die richtig erkannte Frage der
Prozeduralität in die Frage der Theorie der rationalen Wahl umkehrt. Mit dieser
Umkehr hatte er aber die praktische Venunft auf instrumentelle Vernunft
reduzieren wollen.[62]
Die Argumentation begründet die negierende Antwort der Frage, ob es die
Prinzipien der Beziehung von Moral und Recht unter den Voraussetzungen der
modernen konstitutiven Demokratie in einem Modell, dessen Bestandteile die
Konstruktion der ursprünglichen
Situation, der Trennungsschleier der Unwissenheit, der Konsnes der
weltanschaulich neutralen Parteien sind, zu beweisen sind. Oder anders ausgedrückt,
kann die Deutung der Beziehung von Politik, Recht und Moral innerhalb der
gegenüber der Weltanschauungen neutralen, abgegerenzten Sphäre der Politik
aufrechterhalten bleiben. Die theoretische Konzeption des politischen
Liberalismus setzt nämlich - die Tatsache des Pluralismus akzeptierend - die
über moralische Fähigkeiten verfügendenen Personen, weiterhin Personen,
die eine Lebensstrategie des Guten als
Ziel gesteckt haben und fähig sind dem zu folgen, und das Modell einer von
solchen Personen annehmbaren Prinzipien begründender Grundstruktur, schließlich
die Verbindung der beiden in die Sphäre der dem weltanschaulichen Pluralismus
gegenüber neutralisierten Politik. Dadurch werden aber alle Elemente der
theoretischen Konstruktion, so auch die Moralprinzipien von dem allgemeinen, metaphysischen
Hintergrund losgelöst. Habermas hält diese Rawlssche theoretische Strategie für
widersprüchlich, obwohl die Ausgangsvoraussetzung von Rawls stichhaltig ist, die moralischen Fähigkeiten, der öffentliche
Vernunftgebrauch aber, und das sich daraus ergebende Programm der politischen
Abgrenzung der institutionierenden Prozedur nicht restlos zu Ende geführt
werden kann. Es ermöglich aber die Geltendmachung eines wichtigen Aspektes: die
genauere Differenzierung der moralischen und ethischen Dimension."Mit seiner Konstruktion eines übergreifenden
Konsenses verschiebt Rawls den Akzent vom Kantischen Begriff der Autonomie auf
so etwas wie ethisch-existentielle Selbstbestimmung: frei ist, wer die
Autorschaft für sein eigenes Leben übernimmt….Moralische Gebote müssen mit dem
Lebensentwürfen und Lebensweisen der betroffenen Person in einem inneren,
von ihr selbst nachvollziehbaren Zusammenhang stehen".[63]
b.) Teilnehmer und
Beobachtungsperspektive.
Sehen wir uns das frühere Moment des
Gedankenaustausches an, wo die Habermassche Kritik diskutiert wurde, wonach in der Rawlsschen Theorie keinen Raum
für den als Akteur auftretenden konstituierenden Bürger gibt. Dieser Kritik
gegenüber wies Rawls aus, daß für die kontinuierliche Geltendmachung der
Prinzipien der als Billigkeit aufgefassten Gerechtigkeit in dem Aufbau der
institutionellen Struktur und in der Gestaltung ihrer Funktion, auf jeden Fall
mit der Auflage, wenn die Konstituierung nicht zu den ständigen Aufgaben der
Bürger eingeordnet ist. In seiner
Gegenantwort verfeinert Habermas wesentlich seine Argumente, so eröffnet er
eine neue Dimension in der Diskussion, er formuliert also, daß Rawls infolge
der "Arbeitsteilung" einerseits zwischen der externen metaphysischen
Weltbildern und andererseits der Sphäre der freistehenden Politik "von
zwei, aber nur zwei Perspektiven ausgeht: jeder Bürger verbindet die
Perspektive eines Teilnehmers mit der
des Beobachters."[64]
Die Verbindung des Standpunktes eines Teilnehmers und eines Beobachters ist
aber auf Grund einer unabhängigen Politik der Neutralität gegenüber der Weltbilder nicht zu
verwirklichen, da in der objektivierenden
Einstellung von Beobachtern können die Bürger nicht reziprok in andere
Weltbilder eindringen. Anders: Habermas - ohne darauf explizit hinzuweisen -
bietet auf seine frühere Mead - Studie
stützend eine Lösung. Er meint, daß die theoretische Begründung der Verbindung
von Teilnehmer- und Beobachter- Standpunkte im Rahmen des Gerechtigkeitsproblems
genauso die Diskussion der induviduellen Vorstellungen und Geltung der
Konzeptionen in der Öffentlichkeit des Diskurses und Argumentationen(also die
Formulierung des Geltungsanspruches) voraussetzt, wie es vorausgesetzt wird,
daß von dem auf dieser Weise aufgefassten öffentlichen Vernunftgebrauch
abgeleitete "quasi-wahre" Konsequenzen kognitiver Art verinnerlicht
werden, persönlich gestaltet werden können.
Dieser Standpunkt steht aber in keiner Weise im
Widerspruch zu der Ansicht, daß die metaphysische Welt der allgemeinen
Weltbilder und Sphäre der Politik voneinander differenziert werden müssen, und innerhalb dieser Sphäre können und
müssen die moralisch-normativen und rechtlich-instituionellen Dimensionen der
Gerechtigkeit formuliert werden. All diese können aber nach Habermas durch
Konstruieren von Modellen auf die atomistische Auffasung des Bürgers oder
der moralischen Person beruhend bestätigen,
die Akzeptanz von instrumentalen Rationalitätstypen und
spieltheoretischen Prozeduren, bezihungsweise Verfolgung der Logik von rational
choice gutheissen.
III.
Eine (neuere) nicht abschließbare Diskussion
Die Diskussion zwischen Rawls und Habermas
ist lehrreich und wichtig, ist aber trotzdem lediglich ein Moment der
theoretischen Richtungen, die die Grundlagen der modernen Demokratie in der
Beziehung von Recht und Moral interpretieren. Diese Diskussionen
charakterisierend meint Bert van den Brink, Forscher der Universität zu Utrecht
- in der Einführung des Bandes, den er gemeinsam mit Willem van Reijen
redigiert hat -, daß die Diskussionen
die durch das neuartige Interesse von politischen Theorien ausgelöst worden
sind, zugleich esoterisch und exoterisch sind.[65]
Also der Kreis der Betroffenen und Interessenten beschränkt sich nicht auf
gelehrten Experten, sondern - da es hier um eine Reihe von Fragen geht, die uns
alle betreffen - können die Diskussion
die Leser der Tageszeitungen und Wochenzeitschriften genauso kennenlernen und
mitverfolgen, die verschiedensten Entwicklungen und Standpunkte im Zusammenhang
mit der Entwicklungen der Demokratie, des Rechtsstaates, der
Staatsbürgerschaft, der bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Kommentaren
versehen. So ist also irrtümlich und der Essenz der Sache bezüglich unwahr die
Meinung, wonach die Diskussion in der lebensfremden Gemeinschaft der
"Heiligen (Rede)-Familie"
abspielte.[66]
In der Erregung des Interesses spielten die politischen Ereignisse der
vergangenen Jahre, die des ausgehenden Jahrhunderts ebenso wie der Umstand eine
Rolle, daß die ausgezeichneten Pfleger und Richtungen der Gesellschaftstheorie,
der Rechtstheorie und Rechtsphilosophie entschlossener als früher und auf Grund
anspruchsvollerer theoretischer Standpunkte
der Diskussion von
politik-theoretischen Probleme herangingen. Nach der "internen" Klärung der
theoretischen Grundlagen und der Ausgangspunkte, als Folge der zwischenzeitlich
vorgegangenen politischen Entwicklungen
- der Zusammenbruch des realen Sozialismus und die Krise der
Wohlstansgesellschaften - erfüllten sich die früheren "rein"
theoretischen Konstruktionen nicht nur mit Lebensproblemen, sondern die
Gestalter -Teilnehmer und Lenker- der Ereignisse fühlen sich zugleich
angespornt, auch sich selbst, ihre Ziele und deren Folgen tiefer zu ergründen.
Vorerst zeichnen sich drei markante politiktheoretische Richtungen in diesem Prozeß ab: der Liberalismus, der Republikanismus und
der Kommunitarismus, die sich auch zu unseren Tagen in kontinuierlicher
Diskussion, Verbindung und hochwirksam
einander gestalten.[67]69* Anhand der Diskussion von Habermas und Rawls
möchten wir ein wichtiges Ereignis des republikanischen und liberalen
Standpunktes hervorheben, aus der Gegenüberstellung der zwei Konzeptionen
ergeben sich einige Konklusionen, zeigen uns aber bei weitem nicht die Vollständigkeit.
Vor allem geht es um die klärende Diskussion
zwischen den beiden konsenstheoretischen
Konzeptionen, bezüglich des
modernen konstituirten Rechtsstaates. Hinsichtlich der Tatsache und Möglichkeit
des gesellschaftlichen Konsenses wird die Akzeptanz der Grundwerte der
unter dessen Rahmen entsandenen
politischen Kultur als Ausgangspunkt betrachtet.
Insofern kann die institutionelle Einrichtung des
modernen Rechtsstaates - mit Rawls
Worten beschrieben - "mehr oder weniger gerecht" genannt werden. Die
wichtigsten Elemente des Konsenses zwischen den theoretischen Standpunkte,
die Erkenntnis, daß die Entsprechung zwischen der Einrichtung des konstitutiven
Rechtsstaates und deren Prinzipien nicht volkommen ist und folgerungsweise
sowol die Gestaltung der institutionellen Einrichtung, als auch die normativen
Prinzipien der Änderung theoretischen Beweises bedürfen. Schließlich
betseht Einverständnis zwischen den Diskussionspartnern darin, daß die neu
auftretenden Probleme in dem
gegenwärtigen Zeitabschnitt der modernen( von uns postklassisch genannten)
Demokratien und unter den veränderten
Umständen der Theorie - Entstehung ,
können weder die Prinzipien der Beweisung, noch die normativen Elemente der Änderung auf den früheren
theoretisch-philosophischen Grundlagen gebaut werden. Die Beurteilung und
Gestaltung der Institutionen der konstitutive Demokratie begründendenden
normativen Prinzipien können auf theoretischen Konstruktionen, gebaut auf die
Verbindung, Aufeinenderstützung , gegenseitige Durchdringung von Moral und
Recht, zum Ausdruck gebracht werden. Dementsprechend besteht ein Einverständnis
auch in der Hinsicht, daß die auf sich genommene theoretische Tradition zu
überdenken und zu erneuern ist.
Darüber hinaus zeichnen sich die Differenzen der
Standpunkte ab, aus unserem Aspekt die wichtigsten möchten wir hier anführen:
Erstens, die Deutung der politischen
Sphäre, des Politischen. Nach der Deutung von Habermas charakterisiert die republikanische Konzeption der Politik
vor allem , daß sie konstitutiv für den Vergesellschaftungsprozeß im
ganzen ist. Politik ist Schauplatz der sich im öffentlichen Diskurs klärenden
Willensbildung von gleichen und
einander gleich anerkennenden und demzufolge über moralische Fähigkeiten
verfügenden Bürger und Schauplatz der darauffolgenden Geltendmachung des
Willens. Folgerunsweise wird Politik lediglich nicht als Reflexionsform
eines sittlichen Lebenszusammenhanges
begriffen, sondern sie enthält zugleich die Selbstbestimmung und die
Möglichkeit der Selbstreflexion der Bürger.[68]
Der Konsens: ist eine Möglichkeit und
Ergebnis zugleich, der ohne die Klärung und Offenbarung der Grundlagen im
Diskursprozeß nicht entstehen kann. Aber der Rawlssche Deutung des politischen
Liberalismus nach, ist die Politik die
Entfaltung der intuitiven Grundlagen des bestehenden umfassenden Kosenses:
eienrseits die klare Formulierung und Institutionierung der Prinzipien, andereseits
die Öffentlichkeit des Konsenses.
Zweitens, besteht der Unterschied
in der Deutung des Staatsbürgers. Auf der einen Seite geht es um den
gegenseitigen Konsens des die Grundrechte der Freiheit besitzenden und seine
Lebensziele verfolgenden Bürgers und um
die Rechte so, oder so garantierenden Staates, beziehungsweise seiner
Institutionen, auf der anderen Seite wird die Partizipation an der Gestaltung
der staatlich-institutionellen Struktur des Bürgers betont. Demnach besteht ein
Grundsatzdifferenz in der Autonomie-
Deutung des Staatsbürgers. In dem einen stehen die subjektiven Rechte und
Bedürfnisse in dem Vordergrund des Interesses, bei Habermas hingegen sind die
Möglichkeiten der zwischenbürgerlichen Kommunikation im nicht formalen Sinne, beziehungsweise die Möglichkeiten der
Selbsreflexion durch die Kommunikation
erstrangig wichtig.
Drittens, kann bezüglich der Differenzen
bei der Deutung der Prozeduralität zusammenfassend festgestellt werden, daß das
Verfahren einerseits bei Rawls eine im Rahmen der theoretischen
Modellkonstruktion zur Geltung kommende rationale Wahl ist, andererseits der Manifestations-Prozeß des Konsenses, der
die Intuitionen auf die Oberfläche hilft.
So steht die Prozeduralität bei Rawls nicht im unmittelbaren
Zusammenhang mit der inhaltlichen Definition der Gerechtigkeitsprinzipes: die
Gerechtigkeit ist ein substantives Prinzip, das zu erkennen und auf dessen
Grund einen Konsens zu schließen, erreichen die Bürger, genauer gesagt die Bürger
representierende Parteien, durch das Verfahren der rationalen Wahl. In der Konzeption von Habermas sind die Ausgestaltung und Akzeptanz der
Gerechtigkeitsprinzipien der Prozeduralität des öffentlichen Diskurses und der
Argumentation unterworfen: die im kostitutiven Sinne deliberative Politik ist
auch gegenüber der Gerechtigkeitsprinzipien nicht neutral. Das
Gerechtigkeitsprinzip enthält und setzt die zu ihm führende Prozedur entsprechend gerechte und rationale Prozedur
der Argumentation voraus.
Schließlich viertens: die Differenz der
Konzeptionen kommt auch im Unterschied der theoretischen Konstruktionen zum
Vorschein. Das Modell der "idealen Sprechsituation" von Habermas
setzt die Offenbarung der Partizipationsabsicht und die Einlassung in den
Diskurs vor, die theoretische Modellkonstruktion
von Rawls hingegen, betont nicht auf
realer Ebene, steht mit dem
Beobachterstandpunkt im Einklang. Und so bleibt die Frage der Diskussion
weiterhin unbeantwortet: wo findet man und worin besteht das Engagement des
Theorieschaffenden, und ob er überhaupt ein Engagement in der Formulierung und
Lösungsversuchen der Probleme der postklassischen modernen Demokratie hat?
* Wir möchten der Fritz-Thyssen-Stiftung unseren Dank für die Förderung dieser Studie ausssprechen.
[1] Habermas, J.: Reconciliation through the Public Use of Reason: Remarks on John Rawls’s Political Liberalism. The Journal of Philosophy, XCII, March 1995, 109-131. Rawls,J.: Reply to Habermas. The Journal of Philosophy, XCII, March 1995, 132-180. Beide Studien sind 1997 Deutsch erschienen. Siehe: Blasche, S.-Hinsch, W.: (Hrsg).: Zur Idee des politischen Liberalismus: John Rawls in der Diskussion. Frankfurt/M. Suhrkamp Verlag. Der Band ist die Zusammenfassung der Bad-Homburger Konferenz mit einem ergänzenden Aufsatz von Habermas (der an den Konferenz nicht teilgenommenn hat) unter dem Titel Versöhnung durch öffentlichen Vernunftgebrauch. Seiner spätere Band Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, (Frankfurt/M. Suhrkamp 1996, S. 95-127) noch die Gegenschrift "Vernünftig" versus "Wahr" oder die Moral der Weltbilder auf Rawls Studie enthält.
[2] Habermas in 1983 steht in seinem Band über die Moral noch weit, gründlicher "die formalistische Tradition der philosophischen Ethik von Kant bis Rawls" zu analysieren, er hebt nur den beachtenswerten Umstand hervor, daß Kohlberg sich auf Rawls "Ethik im Zusammenhang mit Kant und der Naturrecht" stützt. Vgl., Habermas,J.: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt/M. Suhkamp 1983, 44., 54., 104., 129-130. So: Habermas' Interesse an Rawls ist damals noch einseitig, kommt aber immer stärker zum Ausdruck. In den Schriften von Rawls sind noch überhaupt keine Reflexionen auf Habermas auffindbar.
[3] Habermas, J.: Versöhnung durch öffentlichen Vernunftgebrauch. In: Die Einbeziehung des Anderen. Frankfurt/M. 1996, S 65.
[4] Die Chronologie der Annäherung ist bei Thomas McCarthy zu verfolgen: er verbindet die Wendepunkte nach dem ersten Abschnitt der Tätigkeit von Habermas mit den Howison-Vorlesungen, Berkeley 1988, bzw. mit der vorgetragenen Studie über Mead auf der Philosophie-Kongress in Brighton (das wurde noch in demselben Jahr in der Nachmetaphysisches Denken [Frankfurt/M. Suhrkamp] veröffentlicht). Nach McCharty der nachste Schritt von Habermas findet in der Faktizität und Geltung (Frankfurt/M. Suhrkamp 1992) statt.. (Siehe: McCarthy: Legitimacy and Diversity: Dialektical Reflections on Analitical Distinctions. In: Rechtstheorie. Habermas-Sonderheft, 27. Band, 1996, Heft 3., S. 329-366). Die Studie von McCarthy läßt aber die mit den Wendepunkten der politischen Ereginissen zusammenhängenden - überhaupt nich nur nebensächlich geschriebenen - Schriften der Serie "Kleine politische Schriften" vollständig außer Acht und dadurch die wiederholende Bestrebung von Habermas, die aus dem Aspekt seiner Verbindung zu Rawls besonders wichtig ist, die zwei Dimensionen der Analyse (die politiktheoretische und ethische) miteinander zu verbinden.
[5] Vgl: Honneth, A.: Kritik der Macht, Frankfurt/M 1985.; Bader,V.-M.: Theorie des kommuniukativen Handelns als Theorie der Legitimität, in: Das Argument 1985, H.151., S. 355-371; McCarthy,Th.: Copmplexity and Democracy, or The Seducements of Systems Theory, in: New German Critique 1985, Nr.35., S. 27-53.
[6] Von der ausführlicheren Darstellung der gesellschaftstheoretischen Programmes kann es in dieser Auseinadersetzung abgesehen werden, da wir in anderen Arbeiten die diesbezügliche theoretische Leistung von Habermas vorstellen.(siehe: Balogh I.-Karácsony A.: Deutsche Gesellschaftstheorien.Themen und Trends seit 195o bis unseren Tagen. Es befindet sich in Veröffentlichung).
[7] Habermas, J.: Diskursethik – Notizen zu einem Begründungsprogramm. In: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln. Frankfurt/M. 1983., S 53-126.
[8] Ebda. S. 54.
[9] Ebda, S. 131
[10] The first statement of the two principles reads as follows:
First: each person is to have an equal right to the most extensive basic liberty compatible with similar liberty for others.
Second: social and economic inequalities are to be arranged so that they are both (a) resonably expected to be to everyone’s advantage, and (b) attached to positions and offices open to all.” (Rawls.J.: A Theory of Justice. New York 1973 [1971]. 60.
[11] Habermas, J.: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln. S. 127.
[12] Ebda. S. 130-131.
[13] Folgerungsweise können wir die Behauptung der zitierten Studie von McCharty in diesem Punkt nicht stichhaltig annehmen, wonach die Verbindung der Dimensionen von diskurstheoretischen Grundlegungen mit den der rechtsteheoretischen, ethischen und politiktheoretischen erst 1988 passiert, besonders in der Studie Individualisierung durch Vergesellschaftung. Zu George Herbert Meads Theorie der Subjektivität. In: Nachmetaphysisches Denken, Frankfurt/M. 1988. S 187-241.
[14] Habermas, J.: Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat. In: Die Neue Unübersichtlichkeit. Frankfurt/M. 1985. S. 79-99.
[15] Rawls,J.: A Theory of Justice. New York 1972 [1971] p. 363; Habermas,J.: Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat. S. 83. Von den zeitgenössichen Rechtsdeutungen Habermas beruft sich Habermas in erster Linie auf Dreier,R.: Widerstandrecht im Rechtsstaat, Berlin 1983.
[16] Rawls, J.: A Theory of Justice. (The Definition of Civil Disobedience) . p. 363-638
[17] Habermas, J.: Ziviler Ungehorsam…S. 83-84.
[18] Ebda. S. 90-91.
[19] Habermas,J.: Recht und Moral. (Tanner Lectures 1986). In: Faktizität und Geltung. Frankfurt/M. 1992. S. 541-599.
[20] Ebda. 541.
[21] Ebda. 553-555.
[22] Ebda. 567-568.
[23] Habermas,J, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Ktegorie der Bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt/M Suhrkamp 1962.
[24] Obwohl Rawls die Wichtigkeit der Öffentlichkeit und der Partizipation betont, bringt er bezüglich der Partizipation seine Zweifel zum Ausdruck - wie seine Kritiker des Öfteren darauf hinweisen - stellt er das Prinzip der demokratischen Partizipation nicht in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Gerechtigkeit. Baynes überblickt die unterschiedlichen kritischen Überlegungen der Analysen. Siehe: Baynes,K.: The Normative Grounds of Social Criticism. Kant, Rawls, and Habermas. New York 1992., und Kis J: Die Gerechtigkeitstheorie. John Rawls ungarisch. S.3-66. Világosság 1988. N˚ 8-9
[25] Habermas, J.: Individualisierung durch Vergesellschaftung: Zu George Herbert Meads Theorie der Subjektivität. In: Nachmetaphysisches Denken. 1988. S.232
[26] Ebda. S. 233.
[27] Ebda. S. 638.
[28] Ebda. S. 658.
[29] Habermas,J.: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Vorwort zur Neuauflage 1990. Frankfurt/M 1990. S. 33.
[30] Ebd. S. 43.
[31] McCarthy,Th.: Legitimacy and Diversity: Dialectical Reflections on Analytical Distinctions. In: Krawietz,W.-Preyer,G. (Hrsg.): System der Rechte, demokratischer Rechtsstaat und Diskurstheorie des Rechts nach Jürgen Habermas. Rechtstheorie, Habermas-Sonderheft. 1996, Heft 3. S. 334-335.
[32] Hebermas, J.: Faktizität und Geltung. Frankfurt/M. 1992. S. 80-81.
[33] Ebda. S. 81.
[34] Ebda. S. 83.
[35] Ebda. S. 88-89.
[36] Nagel, Th.: Rawls on Justice. In: Daniels,N. (Ed.): Reading Rawls. New York, 1975, pp. 1-16.
[37] Nach Rawls sind die Grundgüter: 1. Grundrechte (Gedankenfreiheit, Meinungsfreiheit usw.), 2. Freizügigkeit und freie Wahl des Berufes 3. Die Verantwortung der Personen, die Positionen bekleiden, das Interesse und Befugnisse der Individuen im Auge zu behalten 4. Ein bestimmtes Maß des Einkommens und des Besitzes. 5. Sicherung der Selbstachtung. Siehe: Rawls, J.: Kantischer Konstruktivismus in der Moraltheorie. In: Die Idee des politischen Liberalismus. Frankfurt/M. 1994. S. 95.
[38] Rawls, J.: Die Idee des politischen Liberalismus, S. 95-96.
[39] Siehe, Rosenkrantz, C.F.: Der neue Rawls. In: Rechtstheorie, 1996, Heft 2. S. 189-213.
[40] Rawls, J.: Gerechtigkeit als Fairneß politisch und nicht metaphysisch. In. Die Idee des olitischen Liberalismus. S 256.
[41] Ebda. S. 266-267
[42] Ebda. S. 257-258
[43] Rawls, J.: Der Bereich des Politischen und der Gedanke eines übergreifenden Konsenses. In: Die Idee des politischen Liberalismus. S. 333-363
[44] Rawls,J.: A Theory of Justice. New York 1972 [1971] 46-53. Kennet Baynes gibt vielleicht die gründlichste Analyse der "Kantischen Wurzeln" der Rawlsschen Theorie in dem diesem Werk gewidmeten Kapitel seines Buches. Siehe: Baynes,K.: The Normative Grounds of Social Criticism. Kant, Rawls and Habermas. pp. 49-76.
[45] Rawls, J.: Kantische Konstruktivizmus in der Moraltheorie. In: Die Idee des politischen Liberalismus. S. 82.
[46] Ebda. S. 82, 140. Wir
müssen aber anerkennen, daß die Verfahrensregeln der Auswahl der obersten
Grundsätze Rawls als synthetische a
priori Regeln auffasst.
[47] Ebda. S. 85.
[48] Die Leistung bezüglich der Zirkularität und Reflexivität der Gesellschaftstheorie, weiterhin ihr Zusammenhang und Abgrenzung mit der Philosophie- und Soziologie-Theorie wird in Balogh I.-Karácsony A " Deutsche Gesellschaftstheorien. Themen und Trends seit 195o bis zu unseren Tagen" Budapest (Es wird verlegt)
[49] Diesen Aufbau der Rawlsschen Theorie nennt Oliver Gerstenberg "nicht-tautologische Zirkularität". In: Gerstenberg, O.: Bürgerrechte und deliberative Demokratie. Frankfurt/M. 1997.
[50] Habermas, J.: Versöhnung durch öffentlichen Vernunftgebrauch. In: Die Einbeziehung des Anderen. Frankfurt/M. 1996. S. 65.
[51] Ebda. S. 71
[52] Hart, H.L.A.: Rawls über Freiheit und ihren Vorrang. In: Höffe,O. (Hrsg.): John, Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Berlin 1998. S. 117-148.
[53] Habermas,J.: Versöhnung durch öffentlichen Vernunftgebrauchs. S. 74-75
[54] Ebda. S. 79.
[55] Ebda. S. 83-84.
[56] Ebda. S. 90-91.
[57] Rawls, J.: Erwiderung auf Habermas. In: Hinsch,W. (Hrsg.): Zur Idee des politischen Liberalismus. John Rawls in der Diskussion. Frankfurt/M. 1997. S. 197-198.
[58] Ebda. S. 206-207.
[59] Ebda. S. 207-208.
[60] Ebda. S. 211.
[61] Ebda. S. 241.
[62] Habermas, J.: ’Vernünftig’ versus ’wahr’ – oder die Moral der Weltbilder. In: Die Einbeziehung des Anderen. Frankfurt/M. 1996. S. 95-127.
[63] Ebda. S. 125.
[64] Ebda. S. 105.
[65] Brink, B.v.d.-Reijen, W.v. (Hrsg.): Bürgergesellschaft, Recht und Demokratie. Frankfurt/M. 1995. 7
[66] Haba, E.P.: Standoetbestimmung zeitgenösischer Rechtstheorie – Rawls, Dworkin, Habermas und andere Mitglieder der „Heiligen (Rede-) Familie In: Rechtschteorie. Habermas-Sonderheft. 1996. Heft 3. S. 277-328.
[67] Siehe: Habermas,J.: Drei normative Modelle der Demokratie. In Die Einbeziehung des Anderen. Frankfurt/M. 1996 S. 277-292. Neben der republikanischen und liberalen Konzeption benennt Habermas eine dritte, den Standpunkt des Kommunitarismus, der gleichzeitig mit den beiden oben genannten in Diskussion steht Einen guten Überblick der Diskussionen gewährt Cristian Müller: Von der Gerechtigkeitstheorie zum Politischen Liberalismus. Rawls - Libertarians – Communitarians – und wieder Rawls. In: Zeitschrift für Politik. 1995/3. S. 268-295., Wofgang Kersting: Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend. Frankfurt/M. 1997. S. 397-435., Kymlicka, W.: Politische Philosophie Heute. Frankfurt/M-New York 1996.
[68] Habermas, J.: Drei normative Modelle der Demokratie. S. 277-278