Dr. Csongor HERKE: Die Vorgerichtsstellung im ungarischen Recht[1]

 

            Das Gesetz über das ungarische Strafverfahren (fortan: uStPO) kennt zur Zeit fünf Sonderverfahren: das Strafverfahren gegenüber jugendlichen Straftätern, das Privatklageverfahren, das Militärstrafverfahren, die Vorgerichtsstellung und den Strafbefehl[2]. Der rechtspolitische Grund für diese Verfahren mag in den abweichenden Lebensverhältnissen der Täter und im abweichenden materiellen Recht (siehe Jugendliche, Militärangehörige) liegen, aber auch im Ziel der weiteren Beschleunigung, Vereinfachung des Verfahrens. Die Sonderverfahren enthalten im Vergleich zu dem allgemeinen Verfahren spezielle Verfahrensregeln. Die Vorschriften im XII-XVII. Abschnitt uStPO sind mutatis mutandis geltend, sie bieten also im Verhältnis zum traditionellen Verfahren zusätzliche Garantien oder im Gegenteil: sie können auch ganze Paragraphen des ordentlichen Verfahrens weglassen (ein Beispiel dafür ist das Ausbleiben der Ermittlung zumeist im Privatklageverfahren oder das Unterlassen der ganzen Hauptverhandlung im Strafbefehlverfahren). Die einzelnen Sonderverfahren zeitigen nach WALTOS somit bald ein „angereichertes Verfahren” (procedure enriche, beispielsweise das Verfahren gegenüber jugendlichen Straftätern), bald ermöglichen sie im Gegensatz hierzu ein „reduziertes Verfahren” (procedure reduite, wie bei der Vorgerichtsstellung, dem Strafbefehl), aber das besondere Verfahren bzw. die in einem solchen gefällte Entscheidung kann mit dem traditionellen Verfahren auch „gleichwertig” (procedure equivalente, s. das Militärstrafverfahren) sein[3].

            Hauptziel der Vorgerichtsstellung als Sonderverfahren ist, das Strafverfahren weitgehend zu vereinfachen und zu beschleunigen. Um dies zu gewährleisten, legt das Gesetz eine knapp bemessene und streng einzuhaltende Frist fest, innerhalb der die Vorgerichtsstellung durchzuführen ist, anderenfalls verlegt sich die Sache auf das ordentliche — und somit langwierige — Verfahren.

Die Voraussetzungen der Vorgerichtsstellung

            Gemäß § 346 uStPO kann der Beschuldigte wegen einer unter die Zuständigkeit des örtlichen Gerichtes oder der Militärstrafgerichtsbarkeit fallenden Straftat, für die das Gesetz mit einer nicht über 5 Jahre hinausgehenden Freiheitsstrafe androht, innerhalb von 8 Tagen nach dem Begehen der Straftat vor Gericht gestellt werden, wenn die Beurteilung der Sache einfach ist, die Beweise zur Verfügung stehen und der Täter in flagranti ergriffen worden ist oder wenn er das Verbrechen eingestanden hat.

            Die Vorgerichtsstellung hat also — wie ersichtlich — sechs Voraussetzungen, die sich in drei Hauptgruppen gliedern lassen:

a) Voraussetzungen, deren Nichtvorhandensein im eingeleiteten Verfahren eine absolute Verletzung der Verfahrensnormen bewirkt:

            — die Androhung einer Freiheitsstrafe bis zu höchstens fünf  Jahren,

            — die Vorgerichtsstellung innerhalb von acht Tagen nach Begehung der Straftat;

b) Alternative, aber ein Ermessen ausschließende (objektive) Voraussetzungen:

            — Straftaten die in die Zuständigkeit des örtlichen Gerichtes oder zur Militärgerichtsbarkeit gehören,

            — der Täter wurde in flagranti ergriffen oder er hat die Begehung der Tat eingestanden;

c) schließlich zwei, auf Ermessen der Behörde beruhende (subjektive) Voraussetzungen:

            — die Beurteilung der Sache ist einfach,

            — die Beweise stehen zur Verfügung.

 

            ad a) Zur ersten Gruppe gehören diejenigen zwei Voraussetzungen, bei deren Nichtvorliegen die durchgeführte Vorgerichtsstellung eine absolute Verletzung der Verfahrensnormen verwirklicht, weswegen das Gericht in zweiter Instanz das erstinstanzliche Urteil ohne Ermessen außer Kraft zu setzen und ein neues (bereits nach den allgemeinen Vorschriften durchzuführendes) Verfahren anzuordnen hat. Die genannten zwei Voraussetzungen: die Straftat muß mit einer Freiheitsstrafe bis zu höchstens fünf Jahren angedroht sein und die Vorgerichtsstellung hat innerhalb von acht Tagen nach der Begehung zu erfolgen. Hinsichtlich der Androhung von höchstens fünf Jahren Freiheitsstrafe ist bei Verbrechenskonkurrenz der Strafsatz der einzelnen Straftaten zu berücksichtigen (und nicht das zu erwartende Strafmaß der Konkurrenzstrafe). Wenn also der Beschuldigte beispielsweise zwei Verbrechen begangen hat und beide mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren angedroht sind, dann kann es zu ihren gesamten Beurteilung im Rahmen eines Verfahrens der Vorgerichtsstellung kommen, obwohl im Hinblick auf den Konkurrenzcharakter die Strafe bis zu fünf Jahren um die Hälfte erhöht werden kann (so daß sich die Strafandrohung im gegebenen Fall auf sieben und ein halbes Jahr beläuft). Aus diesem Grund kann es vorkommen, daß die bei der Vorgerichtsstellung zugemessene Freiheitsstrafe über fünf Jahre hinausgeht, obwohl der Beschuldigte gemäß zwingender Norm nur bei Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe bis höchstens fünf Jahren angedroht sind, gemäß § 346 uStPO im Sonderverfahren vor Gericht gestellt werden kann.

            Im wesentlichen gilt das Gleiche für den Fall der Nachtragsanklage (Abänderung bzw. Erweiterung der Anklage). Der Staatsanwalt ist nämlich berechtigt, die Anklage auch bei Vorgerichtsstellung abzuändern oder zu erweitern, jedoch nur in dem Fall, wenn für alle bzw. für die neuen in der erweiterten (abgeänderten) Anklage enthaltenen Straftaten sämtliche Voraussetzungen der Vorgerichtsstellung vorliegen.

            Für die Berechnung der Frist von acht Tagen sind die allgemeinen Vorschriften maßgebend. Demgemäß bleibt dabei der Tag, an dem das Verbrechen begangen wurde, unbeachtet. Ist aber der achte Tag ein arbeitsfreier Tag, dann kann die Strafsache an dem darauffolgenden Werktag noch im Verfahren der Vorgerichtsstellung entschieden werden.

 

            ad b) Die zweite Gruppe der Voraussetzungen besteht gleichfalls aus zwei Elementen, doch steht der Behörde jeweils eine bestimmte Wahlmöglichkeit zu.

            Einerseits muß die Straftat in die Zuständigkeit eines örtliches Gerichtes oder des Militärgerichtes fallen. Wenn sich zu Beginn der Vorgerichtsstellung oder später herausstellt, daß für die Tat nach richtiger rechtlicher Beurteilung nicht ein örtliches Gericht (oder eine Militärgerichtskammer) zuständig ist, hat das Gericht die Strafprozeßakten an den Staatsanwalt zurückzuweisen.

            Andererseits gilt es nach dem Gesetz als eine alternative Voraussetzung, daß der Täter in flagranti ergriffen worden ist oder er die Begehung des Verbrechens eingestanden hat. Eine in flagranti Ergreifung liegt vor, wenn der Täter den gesetzlichen Tatbestand der Straftat vollständig oder zum Teil in Anwesenheit eines Augenzeugen erfüllt hat oder bei Verlassen des Tatortes oder bei seiner Verfolgung erwischt wurde[4]. Es genügt also, wenn nur ein Element des Tatbestandes in Anwesenheit eines Augenzeugen erfüllt wird (z. B. bei Raub die Wegnahme der Sache vor dem Augenzeugen erfolgt, nicht aber die Gewaltanwendung). Ein Problem kann sich daraus ergeben, wenn beispielsweise der Beschuldigte zu Lasten desselben Geschädigten mehrere Diebstähle begeht. Einige Autoren[5] vertreten die Ansicht, daß wenn „der Augenzeuge eine der vom Täter zu Lasten desselben Geschädigten begangenen Diebstahlhandlungen sieht”, so genügt dies zur Vorgerichtsstellung hinsichtlich einer jeden Straftat. Meines Erachtens ist diese Meinung nur insoweit akzeptabel, als die Voraussetzungen für die Kontinuität der Handlung, also für den fortgesetzt begangenen Diebstahl, bestehen. Ist dies der Fall, so reicht eine einzige, in Anwesenheit eines Augenzeugen begangene Tat aus, anderenfalls bestehen für die anderen Straftaten nicht die Voraussetzungen der Vorgerichtsstellung.

            Auch bei Eingestehen der Begehung der Straftat können sich Auslegungsprobleme ergeben. Diese Voraussetzung erfordert nämlich nicht das sich sowohl auf  die Begehung des Verbrechens, als auch auf die Anerkennung der eigenen Schuld erstreckende, ausführliche (noch weniger eine tätige Reue aufweisende) Eingeständnis; es wird lediglich das Eingestehen der Tatbegehung verlangt. Wenn also der Beschuldigte die Begehung der Tat eingesteht, aber sich zugleich z. B. auf Notwehr beruft, so kann es prinzipiell zur Vorgerichtsstellung kommen (wobei wahrscheinlich das Kriterium der Einfachheit des Sachverhaltes fehlen wird, und so der Beschuldigte im Sonderverfahren nicht vor Gericht gestellt wird).

 

            ad c) Die Aufzählung der Voraussetzungen für die Vorgerichtsstellung wird durch zwei subjektive, auf dem Ermessen der Behörde beruhende Gründe abgeschlossen. So kann der Beschuldigte auch bei Vorliegen der oben genannten vier Voraussetzungen nur dann im Sonderverfahren vor Gericht gestellt werden, wenn die Beurteilung der Sache einfach ist und die Beweismittel zur Verfügung stehen.

            Das Kriterium der einfachen Beurteilung der Sache bezieht sich sowohl auf die faktische als auch auf die rechtliche Beurteilung. Der Sachverhalt darf also nicht kompliziert sein, er muß also durch unmittelbare Beweise (durch Aussage der Augenzeugen, z. B. bei Verkehrsdelikten gegebenenfalls durch Fotos oder Videoaufnahmen über die Begehung der Tat usw.) belegt sein. In der Rechtsfrage hingegen bedeutet die Einfachheit, daß das Gericht in der Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, der Schuld, leicht und eindeutig zu entscheiden imstande ist — es dürfen also keine die Entscheidung über die Schuld erschwerenden Umstände (Strafausschließungs- und Strafeinschränkungsgründe usw.) vorliegen.

            Die Beweise stehen zur Verfügung, wenn diese in die Verhandlung vom Staatsanwalt eingebracht werden können (z. B. Sachbeweise, Urkunden) oder die Beweisaufnahme nicht auf Schwierigkeiten stößt (z. B. die Zeugen sind ohne Schwierigkeit vor Gericht zu laden und verhörbar)[6].

            In Verbindung mit der Bereitstellung der Beweismittel können bei drei Tätergruppen besondere Umstände auftreten. Die spezielle Lage bei jugendlichen Straftätern werde ich im nachfolgenden noch ausführlich analysieren, an dieser Stelle möchte ich nur darauf verweisen, daß eine eingehende Untersuchung der Umwelt und der Persönlichkeit des Jugendlichen, die bei solchen Strafverfahren als eine unerläßliche Voraussetzung geht, in einem so rapiden und die grundlegenden Verfahrensgarantien ermangelnden Verfahren kaum sichergestellt werden kann. Bei Rückfälligen dürfte zudem die Einholung der Schriften in bezug auf eine vorangehende Verurteilung auf Schwierigkeiten stoßen, wodurch zugleich die einfache Beurteilung der Sache in Frage gestellt wird. Schließlich weist die Tätergruppe ausländischer Herkunft eine hierzu gegensätzliche Spezialität auf, zumal bei solchen Beschuldigten für einen längeren Aufenthalt in Ungarn (auch im Hinblick auf die damit verbundenen Kosten) kein Interesse besteht; bei ihnen erweist sich also die Vorgerichtsstellung ausdrücklich als angebracht, selbst wenn die Bewiesenheit der Tat unzureichend ist. Ist der Verletzte ausländischer Staatsangehöriger, so ist die Vorgerichtsstellung des Beschuldigten um so mehr begründet, als in diesem Fall die Heimreise des Verletzten eine spätere Beweisaufnahme ausdrücklich unmöglich macht.

 

            Bei den Voraussetzungen der Vorgerichtsstellung handelt es sich um sehr strenge Kriterien. Da die Garantievorschriften im Interesse der Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens in mehrerer Hinsicht beeinträchtigt werden, ist es vonnöten, daß in dem Fall, wenn auch nur eine der genannten sechs Voraussetzungen fehlt, im allgemeinen das ordentliche Verfahren eingeleitet wird. Wie bereits erwähnt, bedeutet dies bei Nichtvorhandensein der zwei strengsten Voraussetzungen (fünf Jahre, acht Tage) unbedingt die Kassation der gefällten Entscheidung.

            Zudem ist zu unterscheiden, ob der Mangel vom Staatsanwalt nach Zusendung der Ermittlungsschriften oder vom Gericht in der Verhandlung wahrgenommen wird.

            Im ersteren Fall steht dem Staatsanwalt die Wahl zu: wenn er zur Erkenntnis gelangt, daß auch im Ergebnis der durchgeführten kurzfristigen Ermittlung hinreichende Beweise eingeholt worden sind, so kann er in einer unter Vergehen fallenden Sache nach den allgemeinen Vorschriften Anklage erheben; ist aber in der Strafsache eine weitere Ermittlung begründet, so wird er keine Anklage erheben, sondern die Schriften zur Durchführung weiterer Ermittlungen an die Ermittlungsbehörde zurückweisen (Kommentar zu § 347).

            Das Gericht kann zwischen drei Vorgehensweisen wählen. Wenn gleich zu erkennen ist, daß die Beweise für die Feststellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten nicht hinreichend sind, wird es eine Ergänzungsermittlung anordnen, wodurch die Sache in das Vorverfahren zurückgewiesen wird (Stellungnahme des Strafkollegiums des Obersten Gerichtes Nr. 161)[7]. Gegen die Anordnung der Ergänzungsermittlung kann keine Berufung eingelegt werden. Es kann vorkommen, daß die Sache im Ergebnis einer in der Gerichtsverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme durch einen in der weiteren Verhandlung erhobenen ergänzenden Beweis noch im Rahmen der Vorgerichtsstellung abgeschlossen werden kann. In diesem Fall kann das Gericht im Interesse einer weiteren Beweisaufnahme (z. B. die Vernehmung eines neuen Zeugen) die Verhandlung für höchstens acht Tage vertagen. Wenn aber in dieser neueren Verhandlung die Notwendigkeit einer weiteren Vertagung aufkommt oder die Beweismittel innerhalb von acht Tagen nicht einholbar sind, wird das Gericht die Prozeßschriften gleichfalls an den Staatsanwalt zurückschicken, und damit nimmt die Ermittlungsphase eines ordentlichen Verfahrens ihren Anfang.

Ablauf der Vorgerichtsstellung

            Zur Vorgerichtsstellung kann es nur bei einer bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug angedrohten Straftat kommen; aus diesem Grund wird in der Mehrheit der Fälle gänzlich ein Vergehensverfahren durchgeführt (zumal nach dem Gesetz Nr. XLI vom Jahre 1995 wegen mit höchstens bis zu drei Jahren Freiheitsentzug strafbarer Delikte ein Vergehensverfahren durchzuführen ist, egal ob es sich dabei um eine Straftat oder um ein Vergehen handelt). Von den den Voraussetzungen der Vorgerichtsstellung entsprechenden Straftaten kann es nur bei mit einem Freiheitsentzug von genau fünf Jahren angedrohten Straftaten vorkommen, daß die Verfahrensvorschriften für Verbrechen anzuwenden sind. Bei der Ermittlung sind jedoch gemäß § 347 Abs. 1 auch in einem solchen Fall die Vergehensregeln maßgeblich, der Vorgerichtsstellung geht also eine sehr vereinfachte, schnelle Aufklärung und Untersuchung der Sache voran. Aber selbst in Vergleich zu diesen vereinfachten Regeln (Bericht anstatt eines Protokolls, Abstandnahme von einigen Vernehmungen) ist die Ermittlung bei der Vorgerichtsstellung noch einfacher, man kann nämlich die Bekanntmachung des Akteninhalts unterlassen. Im Anschluß an die Ermittlung werden die Schriften von der Ermittlungsbehörde nicht mit einem Anklageantrag sondern mit einem Antrag zur Vorgerichtsstellung an den Staatsanwalt übersandt.

            Die in dieser Form zugestellten Schriften betrachtet der Staatsanwalt nach ihrer Entgegennahme sogleich als eine Möglichkeit zur Einleitung der Vorgerichtsstellung und prüft diese unter diesem Aspekt. Nach einer Anweisung des Generalstaatsanwaltes und des Kommentars zur uStPO ist die Initiierung der Vorgerichtsstellung bei Straftaten begründet, durch die die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit, die Sicherheit der Person und des Vermögens, gegebenenfalls die Ordnung, die Disziplin des Militärdienstes verletzt oder gefährdet wird. In den letzten fünf Jahren hat man in Pécs vorwiegend wegen rechtswidrigem Aufenthalt im Inland, wegen Trunkenheit am Steuer und wegen Diebstahls das besondere Verfahren der Vorgerichtsstellung in Anspruch genommen[8]. Es wurde aber durch die staatsanwaltliche Praxis und die Rechtsprechung in Frage gestellt, ob bei Straftaten gegen die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit die Vorgerichtsstellung gerechtfertigt ist. So läßt sich beispielsweise beim Verbrechen des groben Unfugs der Sachverhalt in kurzer Zeit nicht in angemessener Weise klären, wenn der Verdächtigte Verteidigungsgründe zur Sache vorbringt. Als besonders schwierig erweist sich die Beweisführung in den Verfahren, die wegen des Verbrechens der Gewalttat gegen eine Amtsperson durchgeführt werden.

            Im Hinblick auf die kurzen Verfahrensfristen verfährt in den Sachen, bei denen die Vorgerichtsstellung in Betracht kommt, bei den meisten Staatsanwaltschaften — so auch in Pécs — der diensthabende Staatsanwalt (derselbe Staatsanwalt beschäftigt sich ansonsten auch mit der Beantragung der Anordnung der Untersuchungshaft, den Aufhebungen des Verfahrens bei gleichzeitiger schriftlicher Verwarnung und mit den Fragen der Anbietung einer Sicherung). Wenn aufgrund der durch die Ermittlungsbehörde zugestellten Schriften die Voraussetzungen für die Vorgerichtsstellung vorliegen, teilt der Staatsanwalt dem — zur wirksamen und schnellen Durchführung der Vorgerichtsstellung in Inhaftierung oder in Untersuchungshaft befindlichen — Verdächtigten mit, wegen welcher Straftat und auf der Grundlage welcher Beweise er vor Gericht gestellt wird.

            Da in dem Verfahren der Vorgerichtsstellung — wegen der weitgehenden Beeinträchtigung der Verfahrensgarantien — die Verteidigung vor Gericht obligatorisch ist, bestellt der Staatsanwalt, falls der Verdächtigte keinen Verteidiger hat, für ihn einen Verteidiger von Amtes wegen. Die Teilnahme des Verteidigers ist nach dem Kommentar von dem Zeitpunkt an verbindlich, zu dem der Staatsanwalt über die Vorgerichtsstellung entschieden hat. Dem Verteidiger wird vom Staatsanwalt die Möglichkeit zum Einblick in die Prozeßschriften und zur persönlichen Begegnung mit dem Verdächtigten gewährt. Für den Fall der Vorgerichtsstellung ist nach der uStPO die Vernehmung des Beschuldigten durch den Staatsanwalt nicht ausdrücklich vorgeschrieben, so daß auch für diesen Fall § 145 Abs. 5 u. 6 geltend ist; hiernach ist der Staatsanwalt zur Vernehmung des Beschuldigten berechtigt, im Fall der Untersuchungshaft aber verpflichtet. Diese Verpflichtung erstreckt sich nach einer Anweisung des Generalstaatsanwaltes auch auf den inhaftierten Beschuldigten[9].

            Von der Vorgerichtsstellung setzt der Staatsanwalt das Gericht unverzüglich in Kenntnis. Von der Festnahme des Beschuldigten macht er lediglich eine Aufzeichnung[10], er reicht also keinen formalen Anklageantrag ein.

            Die allgemeinen Vorschriften zur Vorbereitung der Verhandlung sind im Sonderverfahren der Vorgerichtsstellung nicht geltend, die Vorbereitung der Verhandlung wird also nicht vom Vorsitzenden der Gerichtskammer, sondern vom Staatsanwalt vorgenommen. Der Angeklagte wird durch die Anordnung des Staatsanwalts vor Gericht gestellt (unter Mitwirkung der Ermittlungsbehörde oder in anderer Weise); dem Staatsanwalts obliegt es, den Verteidiger kurzerhand (z. B. telefonisch) vor Gericht zu laden (in Anbetracht der kurzen Ladungsfrist also nicht mit einer den allgemeinen Vorschriften entsprechenden formalen Ladung). Auch für die Bereitstellung der Beweismittel hat der Staatsanwalt zu sorgen (Ladung der Zeugen auf kurzen Wege, die Zustellung der Beweisgegenstände, der Urkunden an das Gericht usw.).

            Im Zusammenhang mit den die persönliche Freiheit einschränkenden Zwangsmaßnahmen brachte das Gesetz XCII vom Jahre 1994 hinsichtlich der Vorgerichtsstellung bedeutsame Änderungen. Angesichts der Tatsache, daß das europäische Abkommen über die Menschenrechte und die Grundfreiheiten sowie die diese ergänzenden Protokolle am 5. November 1995 in Kraft getreten sind, hat dieses Gesetz unter anderem auch die Zeitdauer der Inhaftierung eingeschränkt. Solange früher die durch die Ermittlungsbehörde angeordnete Inhaftierung mit Genehmigung des Staatsanwaltes auch bis zu fünf Tagen andauern konnte, ist gemäß den Vorschriften des Gesetzes XCII von 1994 nach Ablauf der 72stündigen Inhaftierungsfrist der Beschuldigte entweder auf Anordnung des Gerichtes in Untersuchungshaft zu nehmen oder auf freien Fuß zu setzen. Vor Inkrafttreten dieses Gesetzes war bei der Vorgerichtsstellung eine Inhaftierung sogar bis zur Beendigung der ersten Verhandlung (höchstens bis zum Ablauf von acht Tagen) zulässig. Da die Vorschrift in Punkt 3 des Artikels 5 des Abkommens, nach der die inhaftierte Person unverzüglich vor Gericht zu stellen ist, in jedem Fall beachtet werden muß, unabhängig davon, ob das Gericht gegenüber dem Beschuldigten nach den Normen des allgemeinen oder eines Sonderverfahrens vorgegangen ist, darf heute bereits die Dauer der Inhaftierung auch bei Vorgerichtsstellung nicht über 72 Stunden hinausgehen.           Bei der Anordnung der Untersuchungshaft sollte man auf die Auswirkung der zur Verfügung stehenden kurzen Zeit bedacht sein. Während beim ordentlichen Verfahren den Behörden ggf. sogar einige Wochen zur Verfügung stehen, um darüber zu entscheiden, ob sie bei Vorhandensein der gesetzlich festgesetzten — allgemeinen und besonderen — Voraussetzungen eine Untersuchungshaft beantragen sollen, ist bei der Vorgerichtsstellung innerhalb der ohnehin sehr knapp bemessenen Frist von acht Tagen — gleichzeitig mit der Durchführung von anderen wichtigen Ermittlungshandlungen — zu prüfen, ob die Gründe für die Untersuchungshaft vorliegen. Ein anderes Problem, das bei der Anordnung der Untersuchungshaft auftreten kann, stellt die besondere Voraussetzung in § 92 Abs. 1 Punkt b) uStPO dar, und zwar in Verbindung mit der Gefahr der Kollusion[11]. Es stellt sich nämlich die Frage, ob sich die Gefahr der Erschwerung bzw. der Verhinderung des Verfahrens im allgemeinen auf das Strafverfahren oder lediglich auf die Vorgerichtsstellung beziehen soll. Wenn also vom Beschuldigten ein Verhalten zu erwarten ist, wodurch er zwar die Durchführung des ordentlichen Verfahrens nicht verhindert, aber die Vorgerichtsstellung unmöglich macht (z. B. dadurch, daß er innerhalb einer Woche vor der Ermittlungsbehörde nicht erscheint), so ist es umstritten, ob er allein aus diesem Grunde in Untersuchungshaft genommen werden kann. Ich bin der Ansicht, daß die Anordnung einer Untersuchungshaft nur bei Handlungen oder bei deren Gefahr zulässig ist, die zur Verhinderung sämtlicher Modalitäten des Strafverfahrens und nicht bloß der Vorgerichtsstellung geeignet sind. Es würde nämlich eine eigenartige Situation entstehen, wenn die Untersuchungshaft in einem, die Verfahrensgarantien zum Teil ermangelndem, ansonsten nur bei geringfügigen Straftaten und bei Eingeständnis der Tat anwendbaren Sonderverfahren — gleichwie durch Erweiterung ihrer Voraussetzungen — einfacher anzuordnen wäre, als im ordentlichen Verfahren. Besteht die Gefahr, daß der Beschuldigte nicht in der Gerichtsverhandlung erscheinen wird, so ist noch immer die Möglichkeit zur Anordnung einer Zwangsvorführung gegeben.

            Eine zeitweilige Zwangsheilbehandlung kommt bei der Vorgerichtsstellung nicht in Betracht, da die Feststellung der krankhaften Störung der Geistestätigkeit des Beschuldigten schon an sich die Beurteilung der Sache erschwert, wo die Vorgerichtsstellung doch eine einfache Beurteilung voraussetzt.

            Die Teilnahme des Staatsanwalts und des Verteidigers an der erstinstanzlichen Gerichtsverhandlung ist bei der Vorgerichtsstellung obligatorisch (die Abwesenheit des Verteidigers bewirkt eine absolute Verletzung der Verfahrensregeln). Nach Eröffnung der Verhandlung bringt der Staatsanwalt — da bei der Vorgerichtsstellung keine Anklageschrift vorzulegen ist — die Anklage mündlich vor, sodann überreicht er dem Richter die Schriften und die Sachbeweismittel[12]. Im Anschluß daran erfolgt die weitere Beweisaufnahme  (Vernehmung des Beschuldigten und der Zeugen usw.). Die Verhandlung kann höchstens einmal und höchstens für acht Tage vertagt werden.

            Wenn das Gericht erster Instanz die Verhandlung abgeschlossen und sich eine Rückgabe der Prozeßakten an den Staatsanwalt nicht als notwendig erwiesen hat, kann es gleich in der ersten, aber höchstens in der vertagten Verhandlung zur Verkündung des Urteils kommen. Das Urteil ist innerhalb von drei Tagen schriftlich abzufassen. Ansonsten sind zur Berufungseinlegung und zum Verfahren zweiter Instanz die Vorschriften über das ordentliche Verfahren maßgebend, allerdings werden diese durch zwei besondere Bestimmungen ergänzt.

            Zum einen: bei Ermangelung der Voraussetzungen die zu den zwei Fällen der absoluten Rechtswidrigkeit des Verfahrens führen (fünf Jahre oder acht Tage) setzt das zweitinstanzliche Gericht in einer Kammersitzung das erstinstanzliche Urteil außer Kraft und übersendet die Prozeßakten an den Staatsanwalt.

            Die zweite besondere Bestimmung bezieht sich auf das Verbot der reformatio in peius. Das Verbot der reformatio in peius kommt nämlich nicht zur Geltung, wenn das erstinstanzliche Gericht in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen der Vorgerichtsstellung die Sache im Sonderverfahren entschieden hat und deshalb das Gericht zweiter Instanz in der vorangehend dargelegten Weise das erstinstanzliche Urteil aufhebt und die Prozeßschriften dem Staatsanwalt zusendet (Stellungnahme des Strafkollegiums des Obersten Gerichtes Nr. 90). Die im Anschluß an das erstinstanzliche Verfahren aus dem Grund einer absoluten Verletzung der Verfahrensregeln erfolgte Kassation gilt also nicht als wiederholtes Verfahren, mit dem dort festgelegten Ausnahmen; in diesem Fall kommt das Verbot der reformatio in peius gar nicht zur Geltung. Es handelt sich dabei also nicht um die Wiederholung des vorangehenden Sonderverfahrens, vielmehr wird die Sache vom Gericht zum ersten mal im Rahmen eines ordentlichen Verfahrens entschieden. Wenn also gegen das im Verfahren der Vorgerichtsstellung gefällte Urteil nur zugunsten des Beschuldigten eine Berufung eingelegt wird, und sodann das zweitinstanzliche Gericht wegen Ermangelung der Voraussetzungen für die Vorgerichtsstellung das Urteil aufhebt, so kann das Gericht in dem neuen, bereits ordentlichen Verfahren für den Beschuldigten im Vergleich zur erstinstanzlichen Strafe auch eine höhere Strafe zumessen.

            Anders verhält es sich, wenn das Gericht zweiter Instanz, das aufgrund einer gegen das in dem Vorgerichtsstellung-Verfahren gefällte Urteil eingereichte Berufungseinlegung tätig wurde, das erstinstanzliche Urteil nicht wegen Ermangelung der Voraussetzungen für die Vorgerichtsstellung, sonders aus einem anderen Grund (z. B. Unbegründetheit des erstinstanzlichen Urteils, Rechtswidrigkeit des Verfahrens) aufhebt und ein neues Verfahren anordnet. In diesem Fall kommt das Verbot der reformatio in peius zur Geltung, wenngleich nach den Vorschriften über das wiederholte Verfahren und unter Beachtung der aufgeführten Ausnahmen.

Die speziellen Problemen bei der Vorgerichtsstellung von Jugendlichen

            Die Vorgerichtsstellung ist auch im Verfahren gegen Jugendliche nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil: sie ist ausdrücklich zu empfehlen, zumal das Hauptziel des Verfahrens gegen Jugendliche in der Spezialprävention liegt, die sich in einem schnellen und einfachen Verfahren leichter durchsetzen läßt. Obwohl die besonderen Vorschriften der uStPO keine speziellen Vorschriften in bezug auf die Jugendlichen enthalten, erscheint es doch angezeigt, auf einige Fragen ausführlicher einzugehen[13].

            Untersuchungen zur Anzahl der Strafsachen, bei denen die Vorgerichtsstellung angewandt wird, ergaben, daß der Anteil der vor Gericht gestellten Jugendlichen weit von den der erwachsenen Straftätern zurückbleibt. In den Verfahren gegen Jugendliche kommt es also in einem geringeren prozentualen Anteil zum Verfahren der Vorgerichtsstellung als in den anderen Sachen (und ähnlich wie bei den Strafverfahren gegen Nichtjugendliche zeigen auch diese letzteren Strafsachen eine abnehmende Tendenz). Nach László TEMESI ist dieser niedrigere Anteil auf objektive und subjektive Umstände zurückzuführen. So betrachtet er es als einen objektiven Faktor, daß Jugendliche häufig geringfügige Verbrechen begehen, bei denen das Verfahren auch mit einer richterlichen Verwarnung abgeschlossen werden kann. Außerdem begehen sie seltener solche Straftaten, bei denen man typischerweise der Vorgerichtsstellung den Vorrang geben kann (wie z. B. bei Verkehrs- und Devisendelikten). Als dritter objektiver Faktor ist zu erwähnen, daß bei der Verantwortlichmachung von Jugendlichen für rotten- und / oder serienweise begangene Straftaten die Voraussetzungen für die Vorgerichtsstellung (eine einfache Beurteilung der Sache, die Beweismittel stehen zur Verfügung) nicht vorliegen.

            Die subjektiven Faktoren zeigen sich in ersten Linie in der Bereitschaft der Behörden (Ermittlungsbehörde und Staatsanwaltschaft) zur Anwendung der Vorgerichtsstellung. Bei den Ermittlungsbehörden mit höheren Aufdeckungszahlen wird der Anteil der Strafsachen, bei denen Vorgerichtsstellung angeordnet wird, offensichtlich höher liegen; wo nämlich die Aufdeckung von Verbrechen sogar von durchschnittlicher Schwere Monate beansprucht, kann der Behörde die Aufdeckung und Untersuchung der Straftaten, in deren Ergebnis die Beweise in entsprechender Zahl für die Vorgerichtsstellung zur Verfügung stehen, innerhalb von acht Tagen nicht zugemutet werden. Auch bei den Staatsanwaltschaften bezweckt der Antrag zur Vorgerichtsstellung in erster Linie den Nachweis günstiger statistischer Angaben und der Anteil der Vorgerichtsstellung liegt hauptsächlich bei den kleineren Staatsanwaltschaften höher. Die Anweisung des Generalstaatsanwalts Nr. 11/1987 über die staatsanwaltlichen Ressortaufgaben zum Kinder- und Jugendschutz enthält in § 7 Abs. 4. die Vorschrift, nach der die örtliche Staatsanwaltschaft den Jugendstaatsanwalt von Strafsachen der Jugendlichen, die für die Vorgerichtsstellung geeignet erscheinen, auf kurzem Wege in Kenntnis zu setzen hat. Trotzdem initiieren die örtlichen Staatsanwaltschaften bei Jugendlichen nur sehr selten eine Vorgerichtsstellung, und deshalb ist auch der Jugendstaatsanwalt nicht in der Lage, rechtzeitig Maßnahmen zur Einleitung des Verfahrens zu treffen.

            Unter den die persönliche Freiheit einschränkenden Zwangsmaßnahmen gilt das Verbot zum Verlassen des Aufenthaltsortes als eine solche Zwangsmaßnahme, bei der sich wegen der eigenartigen Umstände der Jugendlichen eine von der der Volljährigen abweichende Praxis entwickelt hat. Das Verbot zum Verlassen des Aufenthaltsortes wird nämlich bei Jugendlichen nur sehr selten angeordnet. Der Grund dafür mag darin liegen, daß man nach den zur Zeit geltenden Vorschriften der uStPO für den Fall der Zuwiderhandlung des Verbots eine Untersuchungshaft nicht in Aussicht stellen, vielmehr dem Zuwiderhandelnden höchstens eine Ordnungsstrafe auferlegen kann. Da Jugendliche nur selten einen Verdienst oder ein Einkommen haben, wäre die Anordnung dieser Zwangsmaßnahme ihnen gegenüber eigentlich wirkungslos[14].

            Im Laufe des Verfahrens kommt dem gesetzlichen Vertreter oder dem Erziehungsberechtigten des jugendlichen Beschuldigten eine besondere Rechtsstellung zu. Während aber der gesetzliche Vertreter nur berechtigt ist, in der Verhandlung zu erscheinen — und deshalb im Falle seiner Abwesenheit die Vorgerichtsstellung durchgeführt werden kann und ihm lediglich wegen seines Berufungsrechtes das Urteil zugestellt werden muß —, ist der Erziehungsberechtigte im Verfahren in jedem Fall als Zeuge zu verhören (ansonsten begeht das Gericht eine schwere Verfahrenswidrigkeit). Die Verhandlung kann aber auch in Abwesenheit des Erziehungsberechtigten stattfinden, wenn dieser später, in der aus diesem Grunde vertagten Verhandlung, verhört werden kann.

Die neuen Bestimmungen des Gesetzes XIX vom Jahre 1998 in Verbindung mit der Vorgerichtsstellung

            Nach der allgemeinen Begründung der am 1. Januar 2000 in Kraft tretenden uStPO hat die drastische Abänderung eines Teils der strafverfahrensrechtlichen Bestimmungen zum Ziel, daß über die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Beschuldigten den europäischen Normen entsprechend künftig in einem möglichst schnellen Verfahren entschieden wird. Im Einklang damit wurden zur Steigerung des Anteils der Vorgerichtsstellung die Voraussetzungen für dieses Sonderverfahren gemildert. So wurde die bisherige Strafandrohungsbegrenzung von fünf Jahren auf acht Jahren erhöht. Nach der allgemeiner Begründung können durch die Festsetzung dieser Höchstgrenze nunmehr auch Straftaten mit großer Gesellschaftsgefährlichkeit auf dem Wege der Vorgerichtsstellung entschieden werden, wobei man davon ausgeht, daß nicht selten auch die Beurteilung schwererer Verbrechen verhältnismäßig einfach sein kann. Den Standpunkt des Staatsanwaltes zur Einfachheit der Sache kann das Gericht auch künftig nicht überprüfen (d. h. die Sache zur Ergänzungsermittlung mit der Begründung an den Staatsanwalt zurückschicken, daß die Sache für ein Sonderverfahren zu schwierig sei).

            Für die seltene Anwendung der Vorgerichtsstellung[15] wird oft angegeben, daß acht Tage zur Durchführung der Ermittlungshandlungen und der staatsanwaltlichen Maßnahmen bei weitem nicht ausreichen. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber die zur Vorgerichtsstellung bestimmte achttägige Frist auf 15 Tage erhöht und darüber hinaus kann das Gericht nach den neuen Vorschriften die Verhandlung nicht nur ein einziges Mal, sondern sogar mehrmals vertagen.

            Unter den Voraussetzungen der Vorgerichtsstellung finden sich in der neuen uStPO nicht nur dispositive, sondern auch zwingende Vorschriften. So ist der Staatsanwalt verpflichtet, den Beschuldigten innerhalb von 15 Tagen vor Gericht zu stellen, wenn bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen (die Straftat ist mit einer Freiheitsstrafe von höchstens acht Jahren angedroht, die Beurteilung der Sache ist einfach und die Beweismittel stehen zur Verfügung) der Beschuldigte in flagranti ergriffen worden ist. In Ermangelung des Betretungsfalles ist aber — ähnlich der zur Zeit geltenden Regelung — nur bei Eingeständnis der Tat die Vorgerichtsstellung zulässig, zu deren Anordnung jedoch der Staatsanwalt nicht verpflichtet ist.

            Nach der Vorschrift der neuen uStPO dauert die vor der Vorgerichtsstellung angeordnete, dem Beschuldigten die persönliche Freiheit entziehende oder einschränkende Zwangsmaßnahme bis zur Beendigung der Verhandlung am letzten Tag der Vorgerichtsstellung. Nach der Gesetzesbegründung bedeutet diese Zwangsmaßnahme jedoch keine Ausnahme von der 72 stündigen Dauer der Inhaftierung, sondern sie bezieht sich nur auf die Dauer der Untersuchungshaft (unter Berücksichtigung der schon erwähnten mehrmaligen Vertagungsmöglichkeit). Die Inhaftierung muß aber nicht verlängert werden, sie dauert automatisch bis zur Beendigung der Gerichtsverhandlung.

            Im Zusammenhang mit der Gerichtsverhandlung ist hervorzuheben, daß nach der neuen uStPO in bezug auf die Vernehmungen im Sonderverfahren der Vorgerichtsstellung im Vergleich zur früheren Regelung keine Änderung vorgenommen wurde. Während die neue uStPO das Querfragensystem eingeführt hat (die Zeugen usw. werden vom Staatsanwalt und vom Verteidiger befragt), bezieht sich diese Regelung nicht auf die Vorgerichtsstellung, bei der für die Befragung (Vernehmung) auch weiterhin der Vorsitzende der Gerichtskammer kompetent ist. Dies ist notwendig, weil wegen der kurzen Verfahrensfristen die Verteidigung nur wenig Zeit zum Durchstudieren der Prozeßschriften hat und somit der Staatsanwalt im Querfragensystem in einer unvergleichlich günstigeren Lage wäre.

            Es ist aus den vorangehenden Darlegungen ersichtlich, daß die neue uStPO an den Voraussetzungen für die Vorgerichtsstellung zu mildern versuchte, mit dem Ziel, daß dieses bislang stiefmütterlich behandelte Sonderverfahren in Zukunft häufiger angewandt wird. Auf die Frage, ob diese Bestrebung des Gesetzgebers zum Erfolg führen wird, wird die Rechtsprechung eine — nach unseren Hoffnungen positive — Antwort geben.



[1] Die Abhandlung wurde mit Hilfe der Unterstützung der Preisausschreibung des „OTKA” (Landesfond für Wissenschaft und Forschung Nr. F 023236) angefertigt.

[2] Der Ausdruck „zur Zeit” ist deshalb angebracht, weil vom 1. Januar 2000 eine neue StPO in Kraft treten wird, die außer den obengenannten Sonderverfahren zwei neue einführen wird: das Verfahren gegenüber dem abwesenden Beschuldigten und das Verfahren mit Verzicht auf Verhandlung (das letztere bedeutet im Grunde die Übernahme des Rechtsinstituts der Absprache).

[3] Vgl. Florian TREMMEL: Büntetõ eljárásjog, Különös rész. Pécs, 1977. S. 173

[4] S. Florian TREMMEL: Büntetõ eljárásjog, Általános rész. Pécs, 1996. S. 300

[5] S. Annamária SCHÄFER: A bíróság elé állításról. ÜÉ (Anzeiger der Staatsanwaltschaft) 3/1986. S. 23

[6] Der Kommentar der uStPO vertritt einen hierzu gegensätzlichen Standpunkt, die (ggf. unmittelbare) Einholbarkeit des Beweismittels wird darin für die Vorgerichtsstellung nicht für hinreichend gehalten. In: Kommentár a büntetõeljárásról szóló 1973. évi I. törvényhez. Redigiert von JAKUCS Tamás, Budapest, 1998. § 346.

[7] Der Umstand, daß die Sache in den Ermittlungsabschnitt zurückgelangt, hat nicht den Abschluß der Vorgerichtsstellung als eines Sonderverfahrens zur Folge, sondern ist auch damit verbunden, daß der „Herr der Sache” wieder der Staatsanwalt wird, wodurch auch die Aussetzung oder Aufhebung der Ermittlung durch staatsanwaltlichen Beschluß ermöglicht wird. S. BÁRD Károly - PUSZTAI László: A büntetõeljárás kézikönyve. Budapest, 1993, S. 437.

[8] Nach den Angaben der Städtischen Staatsanwaltschaft in Pécs gliederten sich die Straftaten, bei denen die Vorgerichtsstellung beantragt wurde, wie folgt:

— 1994: 19 Fälle [Trunkenheit am Steuer (9), rechtswidriger Aufenthalt im Inland (7), Diebstahl (2), willkürliche Wegnahme eines Fahrzeuges (1)];

— 1995: 20 Fälle [Trunkenheit am Steuer (2), rechtswidriger Aufenthalt im Inland (13), Diebstahl (2), willkürliche Wegnahme eines Fahrzeuges (1), Bestechung einer amtlichen Person (1), grober Unfug (1)];

— 1996: 4 Fälle [Trunkenheit am Steuer (1), rechtswidriger Aufenthalt im Inland (1), Diebstahl (1), Gewalt gegen Beamte (1)];

— 1997: 11 Fälle [Trunkenheit am Steuer (1), rechtswidriger Aufenthalt im Inland (2), Diebstahl (8)];

— 1998 (bis zum 30. September): 6 Fälle [rechtswidriger Aufenthalt im Inland (2), Diebstahl (2), Gewalt gegen eine Person mit öffentlicher Aufgabe (1), Devisenstraftat (1)].

[9] S. BÁRD Károly - KIRÁLY Tibor - KRATOCHWILL Ferenc - TREMMEL Flórián - ERDEI Árpád - CSÉKA Ervin: Magyar büntetõ eljárási jog II. Budapest, 1990, S. 314

[10] In der Aufzeichnung ist aufzuführen: der Name des Beschuldigten, der kurzgefaßte Sachverhalt der Straftat und deren Qualifizierung. Der Staatsanwalt überreicht bei Vorlage der Anklage je ein Exemplar der Aufzeichnung dem Richter und dem Verteidiger.

[11] Nach § 92 Abs. 1 Punkt b) besteht ein Grund zu der Annahme, daß der Beschuldigte, falls er auf freiem Fuß bliebe, das Verfahren vereiteln oder erschweren bzw. gefährden würde

[12] Nach der diesbezüglichen Praxis übergibt der Staatsanwalt dem Gericht die Schriften bereits mit der Aufzeichnung zusammen, damit der Richter die Möglichkeit zur Vorbereitung der Amtsgebarung und zum Überblick der Sache hat.

                Die Anweisung des Justizministers 123/1973. (IK 1974. 1.) IM regelt die gerichtliche Geschäftsgebarung und die Aktenführung der Vorgerichtsstellung wie folgt:

§ 66 Abs. 1 Nach der Übergabe der Schriften und der Sachbeweise läßt der designierte Richter die Sache in das Register eintragen. Hierauf sind die Angaben in das Verhandlungstagebuch und das Verhandlungsverzeichnis im Anschluß an die für den gegebenen Tag zu dem spätesten Zeitpunkt ausgeschriebene Sache in die Rubrik der folgenden laufenden Nummer einzutragen und mit dem Kennzeichen der Vorgerichtsstellung (Buchstabe E) anzumerken.

2. Führt der designierte Richter am Tag der Vorgerichtsstellung keine Verhandlung, so sind die Angaben beim nächsten Verhandlungstag einzutragen. In diesem Fall ist ein getrenntes Verhandlungsverzeichnis anzufertigen.

3. Die Anordnung einer Ergänzungsermittlung, die Rückgabe der Schrift an die Staatsanwaltschaft ist in der Rubrik für Bemerkungen sowie auf dem der Verwaltungskanzlei zu übergebenden Verhandlungsverzeichnis anzuführen.

4. In der Rubrik für Bemerkungen sowie auf der ersten Seite der Aktenmappe ist das Wort Vorgerichtsstellung in auffallenden Weise anzuführen. Der Mitteilungsteil des Aktendeckels ist nur dann auszufüllen, wenn die Prozeßschriften dem zweitinstanzlichen Gericht zugeleitet werden.

[13] Ausführlicher über die Vorgerichtsstellung der Jugendlichen s. TEMESI László: A fiatalkorúak vádirat nélküli bíróság elé állításának néhány kérdése. ÜÉ 1990/3.

[14] Nach der am 1. Januar 2000 in Kraft tretenden neuen uStPO kann gegen den das Verbot zum Verlassen des Aufenthaltsortes zuwiderhandelnden Beschuldigten eine Untersuchungshaft angeordnet oder ihm eine Ordnungsstrafe auferlegt werden.

[15] Der geringe Anteil der Vorgerichtsstellungen geht auch aus den statistischen Angaben des Städtischen Gerichtes in Pécs hervor:

— 1994: 2450 abgeschlossene Sachen, von diesen 4 Vorgerichtsstellungen,

— 1995: 2552 abgeschlossene Sachen, von diesen 19 Vorgerichtsstellungen,

— 1996: 2308 abgeschlossene Sachen, von diesen 1 Vorgerichtsstellung,

— 1997: 2510 abgeschlossene Sachen, von diesen 10 Vorgerichtsstellungen,

— bis zum 30. September 1998: 2450 abgeschlossene Sachen, von diesen 13 Vorgerichtsstellungen.

                Auf Landesebene belief sich 1995 dieser Anteil auf 1,9 % und der Anteil der Vorgerichtsstellungen war auch in den vorangehenden Jahren nicht besonders hoch (1994: 2,2 %; 1993: 1,8 %; 1992: 1,9 %; 1991: 2,3 %; 1990: 3,9%).



2000/2. szám tartalomjegyzéke