András Karácsony

Prozedurale Rationalität und die Möglichkeit der Gesellschaftskritik

 

 

 

 

 

 

            Als eine bemerkenswerte Entwicklung der Modernität wird von Habermas behandelt, daß sich Rationalität auf dem Gebiet der Wissenschaft, der Moral, des Rechtes nur noch in den Verfahren zeigt. Rationalität ist insofern formal geworden, daß die Vernünftigkeit bestimmter Inhalte von der Vernünftigkeit der Prozeduren abhängt. Die Umstellung von materialer auf formale, prozedurale Rationaltät, insbesondere in der Wissenschaft, läßt sogar die Philosophie nicht intakt.

            Im Themenkreis der prozeduralen Rationalität würde ich nur auf die Analysen von Alexy und Peters hinweisen.[1] Peters stellte mit einer bemerkenswerten Gründlichkeit die Mehrdeutigkeit des Begriffes “prozedurale Rationalität” dar, er betonte, daß dieser Begriff in verschiedenen theoretischen Kontexten eine divergierende Bedeutung und einen divergierenden Stellenwert hat. Peters z. B. signalisierte es genau mit dem Vergleich des “Verfahren”-Begriffes von Luhmann und von Habermas. In den von Luhmann empfohlenen theoretischen Alternativen erschien “Legitimation durch Verfahren statt Legitimation durch rationale Rechtfertigung”, bei Habermas aber “beruht Legitimität auf Rationalität, und Rationalität wiederum beruht auf Prozeduren.”[2] In dem letzteren sind also Legitimität, Rationalität, Verfahren kettenweise verbunden.

            Für die Philosophie ist nicht nur die passive Anpassung oder aber die Möglichkeit einer spektakulären Konfrontation gegeben, sondern das neuartige Selbstverständnis der Wisseschaft, die Rationalität in Verfahren zum Gegenstand ihrer Untersuchungen zu machen. Genau auf diese Reflexion drängt Habermas. Welche Beschränkungen und neue Möglichkeiten daraus für die Philosophie enstehen, erörtert Habermas in seinem Buch, in dem er die Besonderheiten des nachmetaphysischen Denkens ausführlich analysiert.[3] Doch geht es hier nicht um die Philosophie generell, viel mehr geht es hier um ein konkretes Feld von ihr, um die Gesellschaftstheorie.

            Wenn wir den von Habermas empfohlenen Weg verfolgen, ist die Gesellschaftstheorie - den Begriff “kommunikative Vernunft” in ihr Zentrum gestellt - nicht mehr fähig, den auf Grundlagen der praktischen Vernunft formulierbaren Erwartungen Folge zu leisten. “Die kommunikative Vernunft ermöglicht also eine Orientierung an Geltungsansprüchen, aber sie selbst gibt keine inhaltlich bestimmte Orientierung für die Bewältigun g praktischer Aufgabe -sie ist weder informativ noch praktisch. /.../ Normativität im Sinne der verbindlichen Orientierung des Handelns fällt nicht mit der Rationalität verständigungsorientierten Handelns in ganzen zusammen.“[4]

            Nachfolgend gehen wir einer einzigen Frage nach, und zwar der, wieweit in Jürgen Habermas’ zur Wende der 80-er und der 90-er Jahre veröffentlichten Arbeiten in erster Linie konzentrieren wir auf Faktizität und Geltung, das Prinzip der prozeduralen Rationalität das Engagement für die kritische Gesellschaftstheorie modifiziert hat. Anders formuliert: wenn wir den inhaltlich neutralen Charakter der prozeduralen, also der formalen Rationalität annehmen, ist es gleichzeitig möglich, ein bestimmtes Gesellschaftsbild zu entwerfen, das inhaltlich die Anforderungen an die moderne Gesellschaft umschreibt und somit die Möglichkeit einer gesellschaftskritischen Betrachtungsweise begründet? Und eine Frage, im engen Zusammenhang damit: bedeutet die Definition der Habermasschen prozeduralen Rationalität wirklich eine inhaltlich neutrale Auffassung der Rationalität? Meines Erachtens ist in den neuesten Forschungen von Habermas die Spannung der Neutralität und der inhaltlichen Definition stets präsent. So ist diese Spannung in erster Linie in der Prozeduralität und in ihrer Rahmenbedingung wahrzunehmen.

            Ausgehend von dem Grundgedanken der Diskursethik beantwortet Habermas Wellmers Kritik und betont das folgende: “Der diskursethische Grundsatz nimmt auf eine Prozedur, nämlich die diskursive Einlösung von normativen Geltungsansprüchen Bezug; insofern läßt sich die Diskursethik mit Recht als formal kennzeichnen. Sie gibt keine inhaltlichen Orientierungen an, sondern ein Verfahren: den praktischen Diskurs.”[5] Habermas deutetete hier mehrere Probleme an. Erstens dient das oben zitierte Verfahren nicht zum Zustandebringen bewiesener Normen, sondern bloß zu Untersuchung der Geltung von empfohlenen, hypothetischen Normen, die also auf eine normative Geltung nur aspirieren können. Gleichzeitig erleben die Verfahrensteilnehmer nicht als Hypothetiker das eigene Leben, sondern verflochten mit ihrer Identität, soweit schon als Bewiesenes. Die eigenen Normativitäten der Teilnehmer treten also nur insofern in den Diskurs ein, insofern sie nicht einfach auf Grund der Identität glaubwürdig sind, sondern in den Verfahren eine Galubwürdigkeit erlangen können, also sich rational behandeln lassen. Zweitens macht er auf die unterschiedliche Beschränktheit praktischer Diskurse aufmerksam. Zwar sieht der externe Beobachter eines Diskurses - nach Habermas – das hermeneutische Problem, daß die Anwendung der den Diskurs konstitutionierenden Regeln mit der Anwendung der Diskursregeln nicht identisch ist, berührt dieser Unterscheidung den Teilnehmer doch nicht, gerade deswegen, da er mit einem frontal verstandenen Geltungsanspruch in den Diskurs eintritt.[6] Diese Einstellung ist ja zweifelsohne parteilich, ist nicht durch den kontinuierlich präsenten hermeneutischen Zweifel, sondern durch die Überzeugung gekennzeichnet, daß wir in das Verfahren schon anerkannter, angewandter Prinzipien eintreten können, d. h. die Situation muß nicht ständig neu definiert werden. Implizit ruht diese Überzeugung natürlich auf der antropologischen Hypothese, daß der Mensch ein lernfähiges Wesen sei.

            Die parteilose Urteilsbildung, also den Universalgrundsatz der Normen erfüllende Diskursethik hat den folgenden Ausgangspunkt: “So muß jede gültige Norm der Bedingung genügen, daß die Folgen und Nebenwirkungen, die sich jeweils aus ihrer allgemeinen Befolg für die Befriedigung der Interessen eines jeden Einzelnen (voraussichtlich) ergeben, von allen Betroffenen akzeptiert (und den Auswirkungen der bekannten alternativen Regelungsmöglichkeiten vorgezogen) werden können.”[7] Dieser Grundsatz legt die Entstehungsbedingung der tatsächlichen Geltung der Normen fest. So habe ich es hervorzuheben, da Habermas in dieser seiner Studie das Bestehen, die soziale Geltung der Normen von ihrer Gültigkeit trennte. “Wir müssen zwischen der sozialen Tatsache der intersubjektiven Anerkennung und der Annerkennungswürdigkeit einer Norm unterscheiden.”[8] Es kann dafür gute Gründe geben, eine Norm nicht tatsächlich anerkennen zu müssen, obwohl ihr Geltungsanspruch diskursiv eingelöst werden könnte. Ich betone: es geht nicht um die diskursive Entstehung, sondern um die Einlösbarkeit. Auch dieser Präzisierung bewußt muß die Frage gestellt werden: worauf bezogen ist es möglich, soziale und tatsächliche Geltung zu trennen, wenn “tatsächlich” als Anerkennungswürdigkeit verstanden wird. Anhand dessen nahm Habermas darauf Bezug, daß hinter der gesellschaftlichen Geltung ein schwerzertrennbares Gemisch von Überzeugung, Sanktion, Willkür steht, das nicht unbedingt eine dauerhafte Geltung bedeutet, höchstens eine Massenloyalität in den modernen Gesellschaften. Über die faktische Geltung einer Norm kann nur die Rede sein, wenn sie von den Betroffenen rational motiviert akzeptiert wird.

            Zeichnet sich hier das Bild eines reinen formalen Verfahrens ab, oder können implizit präsente soziale und anthropologische Hypothesen wahrgenommen werden? Es ist indiskutabel, daß Habermas aus der Argumentation die Kathegorisierung jeglicher Lebensformen bzw. Gerechtigkeitsvorstellungen mit bestimmten Inhalten ausschaltet. Er wies die Utopie als falsche Anschuldigung scharf zurück. Wie es z. B. in seiner Antworstudie auf die Kritiken zu lesen ist: “Nichts macht mich nervöser als die in vielen Versionen und in den schiefsten Kontexten wiederholte Unterstellung, daß die Theorie des kommunikativen Handelns, weil sie auf die soziale Faktizität anerkannter Geltungsansprüche aufmerksam macht, eine rationalistische Gesellschaftsutopie entwerfe, mindestens suggeriere. Weder betrachte ich die vollkommen transparent gewordene Gesellschaft als ein Ideal, noch möchte ich irgendein Ideal nahelegen.”[9]

            Axel Honneth machte schon in seiner Studie von 1986 aufmerksam, daß die Idee der Prozeduralität der Diskursethik, obwohl sie die inhaltliche Neutralität betont, über implizit normative Inhalte verfügt. Worum geht es hier konkret? Wenn die Geltung einer Norm davon abhängt, ob ein Diskurs faktisch verwirklicht ist, in dem, die von der Norm Betroffenen ihr Einverständnis zum Ausdruck brachten, dann ist die Geltung der Norm definiert, hängt sie von den normativen (überhaupt nicht neutral definiert) Rahmen, die den derartigen Ablauf des Diskurses gewährleisten, ab. Einerseits vorausgesetzt, daß die in den Diskurs Eintretenden, d. h. die Teilnehmer freie und chancengleiche Subjekte sind, andererseits selbst in dem Argumentationsverfahren keinen Zwang anwenden.[10] Honneth sieht die Überbelastung des theoretischen Anspruches der Diskursethik von Habermas in folgenden:

 

“Einerseits versucht die Diskursethik, den Universalisierungsgrundsatz als eine Argumentationsregel für praktische Diskurse dadurch zu rechtfertigen, daß sie die impliziten Idealisierungen aufhellt, die jeder an einem Dialog Beteiligte intuitiv vornimmt; aus dem bewußt gemachtem Umstand, daß jeder Argumentierende unvermeidlich eine zwanglose und chancengleiche Teilnahme aller Beteiligten unterstellt, schließt sie auf die normative Geltung des Verallgemeinerungsprinzips; dies gewinnt in der Diskursethik dann die Gestalt eines Grundsatzes, der besagt, daß eine Norm nur dann Geltung beanspruchen darf, wenn alle von ihr potentiell Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses sich über ihre Geltung auch faktisch geeinigt haben. Andererseits aber nimmt die Diskursethik nun jene idealisierenden Unterstellung des Dialogs, auf die sich doch ihre Rechtfertigung des Universalisierungsgrundsatzes stützt, nicht selbst in ihre eigenen normativen Grundsätze mit auf; denn dann müßte sie doch zugleich mit der Prozedur des diskursiven Willensbildung auch die sozialstrukturellen Verhältnisse auszeichnen, die die Inkraftsetzung solcher Formen der Willensbildung überhaupt erst ermöglichen.”[11]

 

            Kurz gefaßt: der Diskurs darf von keiner Asymmetrie, weder externen noch internen Ursprungs, belastet werden, sonst könnte die freie Disskusion der Argumente nicht zur Geltung kommen. Da ein Diskurs bloß bis zu einem Grad als rational bezeichnet werden kann, solange die Möglichkeit einer kritischen Überprüfung gegeben ist. Die Diskursethik von Habermas also beinhaltet implizit bestimmte soziale Voraussetzungen des Verfahrens – die von Honneth normative Infrastruktur der Gesellschaft genannt werden -, welche Voraussetzungen eine normative Kraft besitzen, da es ohne sie ein rational motivierter Konsens nicht zustande kommen könnte. Als Ergebnis seiner Forschungen zog Honneth die Konsequenz, daß das auf den Grundlagen der Diskursethik von Habermas die Konfrontation der Argumente und die daraus gestaltete Übereinstimmung garantierendes Verfahren zu präferieren, es nicht ermöglicht, die formale Verfahrensethik und die materiale Gerechtigkeitstheorie streng zu trennen.

            Obwohl die Verfahrensregeln an und für sich neutral sind, d. h. aus den Regeln selbst nicht abzuleiten ist, in welchen Inhalten die Teilnehmer dann zu einem Konsens kommen, diese Regeln können aber nur unter bestimmten kulturellen und institutionellen Bedingungen zur Geltung kommen und diese Bedingungen sind als Demokratie zu identifizieren. Die Habermassche Gesellschaftstheorie ist also soweit unbedingt normativ, daß mit der Verfahrensrationalität eine bestimmte Gesellschaft, die demokratische als Modell sichtbar wird. Das wirft die Frage der Relation von Diskursprinzip, Moralprinzip und Demokratieprinzip auf. Meiner Meinung nach wurde die Differenzierung der angeführten Prinzipien in den 80-er Jahren entstandenen Studien in den Hintergrund gestellt, beziehungsweise blieb die vorausgesetzte Beschaffenheit Sozialität hinter dem zentral gestellten Diskursprinzip ohne Reflexionen. Anfang der 90-er Jahre schätzte übrigens auch Habermas so ein, daß in seinen früheren Publikationen die Unterscheidung zwischen dem Diskursprinzip und dem Moralprinzip nicht genügend unterstrichen wurde: ”Das Diskursprinzip erklärt nur den Gesichtspunkt, unter dem Handlungsnormen überhaupt unparteilich begründet werden können, wobei ich davon ausgehe, daß das Prinzip selber in den symmetrischen Anerkennungsverhältnissen kommunikativ strukturierter Lebensformen fundiert ist. Die Einführung eines Diskursprinzips setzt bereits voraus, daß praktische Fragen überhaupt unparteilich beurteilt und rational entschieden werden können.”[12]

Betrachten wir in folgenden, ob und wie Habermas in Faktizität und Geltung diese oben aufgezeichneten Gedankengang modifizierte. Obwohl dieses Buch eine doppelte Thematik hat: es befaßt sich mit der Analyse der Bereiche; Recht und Politik (und hinausausblickend mit der Moral), das Verhältnis der beiden Forschungsbereiche ist aber asymmetrisch. Da Habermas sich nicht an und für sich für Recht und Politik interessiert, sondern für derer Charakteristika, die in einem demokratischen Rechtsstaat zwar vorhanden, aber zu vervollkomnen sind. Im Mittelpunkt der Theorie steht also die Frage des Rechtes in der modernen Gesellschaft, nur hinsichtlich dessen werden politische Zusammenhänge aufgeworfen – nämlich aus der Perspektive, inwiefern im Rahmen der demokratischen Verfahren politische Meinungs- und Willensbildung fähig sind, sich an die Rechtskonstitution zu beteiligen.

            Die Frage der Rechtsgeltung bei Habermas schließt sich an die soziale und rationale Akzeptanz an. So geht er aus der Trennung der sozialen Geltung und Legitimität aus, welche Differenz in ihrer diskursethischen Grundlegung mit den beinahe vor einem Jahrzehnt formulierten im Einklang zu sein scheint. Damals konnte man über die Differenz der sozialer Geltung (Faktizität der intersubjektiven Anerkennung) und der faktischen Geltung (Anerkennungswürdigkeit) der Normen lesen, und hier kann man über die Anwendung von all dem an die rechtlichen Normen lesen. Um entscheiden zu können, ob es hier um die Konkretisierung eines universalen Prinzips oder aber - mindestens partikulär – um seine Umformulierung geht, sollten wir gründlich die in dieser rechtstheoretischen Monographie ausgeführte Konzeption unter die Lupe nehmen.[13] Die soziale Gültigkeit der rechtlichen Normen hängt von ihrem Grad der Durchsetzung ab, also “von der faktisch zu erwartenden Akzeptanz im Kreise der Rechtsgenossen.”[14] Doch soll diese Faktizität nicht als aus der Tradition spontan gewachsene Faktizität verstanden werden, sondern als artifiziell hergestellte Faktizität aus der Drohung rechtlicher Sanktionen. Dagegen hängt die Legitimität der rechtlichen Regeln nach Habermas schließlich davon ab, ob sie in einem rationalen Gesetzgebungsverfahren entstanden sind, wenn das aber nicht der Fall war, dann wäre ihre Rechtfertigung mindestens aus pragmatischem, ethischem und moralischem Aspekt möglich gewesen. “Die Legitimität einer Regel von ihrer faktischen Durchsetzung unabhängig.”[15] Dieser Gedanke erläutert uns, daß Habermas auf irgendeiner Weise die (also als Gemisch von Zwang und Freiheit entstandene) rechtliche Realität, d. h. die Faktizität ausdrücklich davon trennt, was von dem legitimen Recht zu erwarten ist. Die Frage ist aber weiterhin offen: ob sich das ideal Erforderte von Realität (das könnte ein die Gesellschaftskritik traditionell begründender utopistischer Zusand sein), oder geht es hier um ein auf der Art erfasstes Ideal, das nicht transzendent ist, sondern bestimmte Züge der Realität verallgemeinert, vervollkommnen will. In diesem letzteren Fall begegnen wir dem neuartig begründeten gesellschaftskritischen Standpunkt, da er auf der schon im aktuell Existierenden immanente Möglichkeit, die sich schon teilweise zeigte, stützt. Ich möchte schon hier darauf hinweisen, daß meines Erachtens die Gedanken von Habermas in diese Richtung gehen. Ein Beweis dafür ist in der folgenden, wohl zum Nachdenken motivierenden Bemerkung von Habermas zu entdecken.

            Nach Habermas : “allgemein hat das Rechtssystem im ganzen einen höheren Grad von Legitimität als einzelne Rechtsnormen.”[16] Mehrere Fragen werden durch diese Feststellung aufgeworfen. Erstens: wenn Legitimität gradualisiert werden kann, d. h. keine strenge Trennung (legitim oder nicht legitim) vorgenommen wird, ist die Trennung des Durchführungsgrades des rationalen Verfahrens nur nachträglich machbar, also wenn schon rückblickend – unter Berücksichtigung des Ergebnisse – nach der Verwirklichung aller Requisiten die früheren Phasen rekonstruiert werden. Die Probleme treten erst auf, wenn wir den Standpunkt der nachträglichen Rekonstruktion außer acht lassen und die Hypothese aufstellen, wenn die als Elemente des rationalen Vefahrens definierte Faktoren auftreten, dann führen sie notwendigerweise zu der Entfaltung des Verfahrens. Dann werden nämlich – das rationale Verfahren berücksichtigt – die Ereignisse teleologisiert. Von Verdacht der teleologischen Betrachtungsweise kann man nur befreit werden, wenn das rationale Verfahren selbst als Norm vorausgesetzt wird, als solches, das – wenn schon gewisse Elemente in Erscheinung getreten sind – der Durchführung würdig ist. Diese Konsequenz ist schon mit dem Standpunkt zu vereinbaren, der die reale Möglichkeit des Existierenden vorausgesetzt als Norm einen bestimmten Evolutionsprozeß in den Vordergrund stellt. Vielleicht könnten wir diese Einstellung “moderat” (“solide”) nennen, also sie ist eine gesellschaftskritische Auffasung, die in die Evolution und nicht in die Revolution eingebettet ist.

            Die andere Frage, die duch die zitierte Feststellung aufgeworfen wird, betrifft das Verhältnis der Teile und des Ganzen. Wenn wir nämlich annehmen, daß das Ganze des Rechtssystems legitimer als die einzelnen Rechtsnormen sein kann, dann sind wir mit der Trennung des Ganzen von seinen Teilen konfrontiert. Welche Überzeugung können wir bei dem Gebrauch dieser Unterscheidung vermuten?[17] Um überhaupt von dem Ganzen und seinen Teilen sprechen zu können, setzt voraus, daß es keine absolute Trennung sei, sondern nur im bestimmten Kontext zu deuten ist, also relativ ist. In Bezug auf das Rechtssystem und der einzelnen Rechtsnormen kann das bedeuten, obwohl auf das Rechtssystem die in dem rationalen Verfahren realisierende Normkonstitution schon bezeichnend ist und so hat es einen Anspruch auf das ehrenvolle Attribut “legitim”, doch gibt es wohl im Rechtssystem selbst auf anderer Weise entstandene Normen, die von uns in der normativen Perspektive des rationalen Verfahrens nicht, oder partikulär als legitim eingeschätzt werden können. Mit dieser Gedankenrekonstruktion ist zwar die unterschiedliche Legitimität des ganzen Rechtssystems und seiner einzelnen Teile zu erklären, doch kommen wir im Endergebnis zur Zweiteilung der Menge der Rechtsnormen. Die Spannung zwischen den von Habermas als Forderung formulierten, im rationalen Verfahren entstandenen Normen und den Rechtsnormen anderen Ursprungs ist offensichtlich. Das Bewußtmachen dieser Spannung kann zwar einen evolutionären gesellschaftskritischen Standpunkt begründen, aber der Preis dafür, das Recht der modernen Gesellschaft wird dadurch quasi durgeschnitten. Die Diskurstheorie des Rechts bevorzugende Rechtsforschung kann bloß in dem Kontext ein Teil der Rechtsnormen erfassen, wenn diese nicht in rationalen Verfahren entstanden.

            Der Unterscheidung von Moral und Recht nachzugehen, würde unsere Rahmen sprengen, sonst spielt diese Unterscheidung der Habermasschen Gesellschafttheorie in dem letzen Jahrzehnt neu formuliert, eine wichtige Rolle. Nur einen einzigen in diesem Zusammenhang erörterten wesentlichen Gedanken würde ich erwähnen: die Rechtsnormen regulieren den Lebenskontext der Bürger einer konkreten Rechtsgemeinschaft und sie deuten es nicht, was für einen jeden Menschen gut sei. Die gültigen moralischen Normen sind “richtig”, die gültigen Rechtsnormen dafür “legitim”. Diese Unterscheidung von Habermas gilt konsequent in der Gesetzgebung und in der Rechtsanwendung.

 

“Die Legitimität von Rechtsnormen bemißt sich, wenn wir eine prozedurale Theorie zugrundelegen, an der Vernünftigkeit des demokratischen Verfahrens politischer Gesetzgebung. Dieses Verfahren ist, wie gezeigt, komplexer als das der moralischen Argumentation, weil sich die Legitimität der Gesetze nicht nur an der Richtigkeit moralischer Urteile bemißt, sondern unter anderem auch an der Verfügbarkeit, Triftigkeit, Relevanz und Auswahl der Informationen, an der Fruchtbarkeit der Informationsverarbeitung, an der Angemessenheit von Situationsdeutungen und Problemstellungen, an der Rationalität von Wahlentscheidungen, der Authentizität starker Wertungen, vor allem an der Fairneß von erzielten Kompromissen usw.”[18]

 

Es ist im Einklang mit einer derartigen Deutung der richterlichen Urteilsfällung, wonach die rationale Akzeptanz des Urteiles des Rechtsanwenders nicht nur von der Qualität der Argumente, sondern auch von der Struktur des Argumentations-prozesses, ob die Verfahrensrationalität durchgeführt sei, abhängt. “Das Rationalitätsproblem der Rechtssprechung besteht also darin, wie die Anwendung eines kontingent entstandenen Rechts intern konsistent vorgenommen und extern rational begründet werden kann, um gleichzeitig Rechtssicherheit und Richtigkeit zu garantieren.”[19]

            Wenn Habermas in Bezug auf normatives Urteil eindeutig sagt ”»Richtigkeit« bedeutet rationale, durch gute Gründe gestützte Akzeptabilität” dann unterstreicht er seinen wiederholt zum Ausdruck gebrachten Standpunkt, daß das prozedurale Rechtsparadigma der Gesellschaft keine Ideale aufzwingt, sondern genau wegen der konstitutiven Anwendung der Autonomieidee formal blieb.[20] Die Autonomie der Bürger ernst genommen, können nur die notwendigen Bedingungen von dem Prinzip des Verfahrensrationalität festgelegt werden, unter deren Rahmen die Bürger ihre Lebensprobleme miteinander diskutieren können, und derer Lösung gemeinsam gestalten können. “Über etwas reden ist nicht dasselbe wie dem anderen in seine Angelegenheiten hineinreden” - also Diskurs bedeutet Dialog und nicht das Zustandekommen von Asymmetrien.[21] Ein neutrales Verfahren kann implizit die präferierten Werte eines guten Lebens nicht enthalten, das Verfahren bringt es zustande, daß auf argumentativer Weise die Konkurenz unterschiedlicher Vorstellungen in Bezug auf ein gutes Leben zum Ausdruck kommt.[22] Das hier dargestellte prozedurale Rechtsparadigma bedeutet nicht “daß es »formal« im Sinne von »leer« oder »inhaltsarm« wäre.[23] Wir sollten die Inhalte beachten, die die “Formalität” der Verfahrensrationalität ermöglichen. Betrachten wir die Entstehung des legitimen Rechtes konkret.

            Habermas blieb bei der Fixierung des Universalprinzips nicht stehen, sondern lokalisierte den “Enstehungsort” des legitimen Rechts in der modernen Gesellschaft.[24] Das fand er in der kommunikativen Macht. Der aus den Analysen von Hannah Arendt entfaltete Begriff der kommunikativen Macht in dem theoretischen Aufbau von Habermas bedeutet nicht die administrative Anwendung der schon existenten Macht, sondern die Entstehung dieser politischen Macht. Recht ist in dieser Situation als Medium zu deuten. Einerseits ist es für die die Verwaltungsprozesse führende Macht konstitutiv, andererseits ermöglicht das Recht die Tranformation der kommunikativen Macht zu einer administrativen Macht. So ist Recht in zweierlei Hinsicht als Medium zu verstehen. Einerseits vermittelt es zwischen zwei Mächten (der kommunikativen und der administrativen), andererseits übt es gleichmäßig die transformierende und die administrative Funktion aus.

            Hinter der kommunikativen Macht zeichnet sich das Bild der Zivilgesellschaft ab. Daß die Idee der Zivilgesellschaft in den Vordergrund getreten ist, modifizierte das liberale Modell das auf der Zweiteilung des Staates - Gesellschaft gründet. Habermas sieht nämlich drei getrennte Schwerpunkte in der modernen Gesellschaft der Jahrtausendwende: die Zivilgesellschaft, das ökonomische Handlungssystem und die öffentliche Administration. Die gesellschaftliche Solidarität verstärkende Zivilgesellschaft bedeutet die nicht-staatlichen und nicht-ökonomischen Assoziationen, d. h. die Vereinigungen, Organisationen, Bewegungen. Das Zustandekommen der Zivilgesellschaft setzt die Änderung der Assoziationsverhältnisse und der politischen Kultur voraus, den wesentlichen Schwund an Einfluß der Klassenstruktur, also die Möglichkeit, daß die Ungleichheit der sozialen Machtpositionen neutralisierbar sind. Die Zivilgesellschaft vermittelt die gesellschaftlichen Probleme des Privatlebens kondensierend und lautverstärkend für die politische Öffentlichkeit. Die Kommunikationsströme der Zivilgesellschaft und der politischen Öffentlichkeit können auf Grund eines demokratischen Verfahrens in kommunikative Macht umgesetzt werden.

            Habermas perzipiert, daß in diesem Prozeß die Massenmedien eine Schlüsselrolle haben und er formuliert einschränkend, wenn er hervorhebt, daß die Zivilgesellschaft nur “unter bestimmten Umständen” die Öffentlichkeit zu beeinflussen vermag.[25] Die gegenwärtige Erfahrung kann uns eher skeptisch machen, denn in unseren Tagen können die zivilgesellschaftlichen Gruppierungen nur schwache Signale entsenden. Hauptsächlich ist in den elektronischen Medien eine Entpolitisierung zu beobachten. In Kenntnis dieser Tatsache ist es berechtigt, die Frage zu stellen, in welchem Maße das Massenmedium die zivilgesellschaftlichen Bestrebungen modifiziert, eventuell sogar in ihren Dienst stellt? Worauf gründet Habermas seine sonst so vorsichtig formulierte Erwartung, daß die Zivilgesellschaft fähig ist, durch die Massenmedien auf das politische System Einfluß zu nehmen?

            Es ist eine absehbare Forderung, die Medienmacht zu neutralisieren, daß genau die administrative, bzw. eine andere soziale Macht sich in einen politisch-publizistischen Einfluß nicht umkehren kann. Auf Grund des durch die Soziologie der Massenkommunikation vermittelten Bildes und bestimmten normativen Erwartungen betont Habermas (1992:451- 458) die folgenden Überlegungen:

- in der komplexen modernen Gesellschaft ist auch die Öffentlichkeit ein Netzwerk, sie ist also infolge ihrer vermittelnden Funktion (von unterschiedlicher Richtung und vom unterschiedlichen Charakter) durch unterschiedliche, einander durchschnittene Gliederung charakterisiert; einige Beispiele für die mögliche Gliederung der Öffentlichkeit: auf Grund von Themen, dem Publikum, oder sie in welcher Arena der (nationaler, regionaler, kommunaler) Kultur auftritt;

- diese komplexe Situation setzt diverse Selektionsprozesse in Bewegung, die kontinuierlich die interne Machtstruktur der Medien umgestalten;

- die Forderung der Selbstregulierung kommt zum Vorschein, dem die Herausgestaltung professioneller Standards, Formulierung von ethischen Kodizes dienen;

- und letztens: das Medium ist einer Rechtsregelung unterworfen und diese Normativität ist aus dem Aspekt der Neutralisierung der Medienmacht grundsätzlich.[26]

            Diese Feststellungen zeigen ein vielversprechendes Bild mit Rücksicht darauf, daß die Massenmedien von der politisch-ökonomischen Elite unabhängig werden können und so ihr Einfluß eingeschränkt werden kann, das heißt die Autonomie der Medien verwirklicht werden kann, doch gewährt es noch keine ausreichende Garantie dafür, daß die Medien mit der Zivilgesellschaft auch kooperieren. Unter Kooperation wird bloß verstanden, daß die Vermittlung – durch die Medien die in den zivilgesellschaftlichen Bewegungen entstandene Gewichtung – verfolgt, also nach eigenen Relevanzaspekten den zivilgesellschaftlichen Stellenwert verschiedener Bewegungen in der Öffentlichkeit nicht umordnet. Ob das alles verwirklicht wird – ist eine offene Frage.

            Also rekapitulierend: daß die bis jetzt abgehandelten Bedingungen sich ineinander fügen und in der die prozedurale Rationalität durchführenden Demokratie ein wirksames legitimes Recht zustande kommt, sollen zwei grundsätzliche Tarnsformationen erfüllt werden:

a, die in der Zivilgesellschaft auftretenden Bestrebungen sollen durch das Massenmedium zu einer kommunikativen Macht werden,

b, die kommunikative Macht soll sich über legitim gesetztes Rechts zur administrativen Macht umkehren.

            Diese Transformationen, obwohl sie eine Nacheinanderfolge voraussetzen, sind trotzdem nicht so zu linearisieren, daß die Verwirklichung der ersten Rahmenbedingung eine, ein für allemal eine endgültige und sichere Grundlage dem den nächsten Schritt gibt. Viel mehr geht es hier darum, daß Habermas mit der prozeduralen Rationalität den gesellschaftlichen Pathologien gegenüber eine funktionsfähige, kontinuierliche Regenerierungsichernde Verfahrensweise in den Mittelpunkt stellt. Ich würde die mit der Institutionierung der prozeduralen Rationalität durchgführte kontinuierliche Regenerierungsmöglichkeit betonen. Dies bedeutet nämlich die Kenntnisnahme dessen, daß auf ein und allemal unnötige Leiden in der Gesellschaft nicht besiegt werden können. Und es weist darauf hin, daß in dieser gesellschaftskritischen Betrachtungsweise die endgültige Lösung suggerierende Utopie-Vorstellung keinen Platz hat. Wie typisch für Habermas seine gesellschaftskritische Einstellung ohne einen radikalen Wendepunkt ist, zeigt seine folgende Wertung, die das auch eindeutuig festlegt: “Ich gehe davon aus, daß den Rechtssystemen, die am Ende des 20. Jahrhunderts in den sozialstaatlichen Massendemokratien entstanden sind, ein prozeduralistisches Rechtsverständnis angemessen ist.”[27] Die Forderung der Verfahrensrationalität kann sich also nicht nur auf Ideen stützen, sondern auch in der Realität den Anker werfen.

            Die Aufgebung der subjektphilosophischen Begriffsbildung ist ein gegen der Linearisierung wirkender grundsatztheoretischer Faktor. Die Linearisierung eines Prozesses setzt nämlich voraus, daß es Punkte gibt, die sich nicht wiederholen und so z. B. Subjekte mit inhaltlichen Merkmalen von derer Existenz/Nichtexistenz historische Wendepunkte abhängen. Die Gesellschaftstheorie von Habermas weist auf kein Subjekt von solchem substantiellen Status hin. Die Demokratie setzt eine dezentrierte Gesellschaft voraus, in der kein Teil bevorzugt wird. Die Gesellschaftstheorie, wenn überhaupt irgendwelche Substanz sucht, dann findet sie nur auf paradoxer Weise in einer Verfahrensform, die keine konkreten inhaltlichen Weisungen hat. Die demokratische Willensbildung gewinnt ihre legitimierende Kraft nicht aus sittlichen Überzeugungen, sondern aus den kommunikativen Voraussetzungen und Verfahren, die während einer Diskussion die Anführung von besseren Argumenten ermöglichen.[28] Das Demokratieprinzip ist also dem Moralprinzip nicht untergeordnet, die beiden Prinzipien stehen als Ergebnis der unterschiedlichen Spezifizierungen des allgemeinen Diskursprinzipes vor uns. “Die Diskurstheorie bricht mit einer ethischen Konzeption von staatsbürgerlicher Autonomie.”[29]

            Natürlich bedeutet das nicht eine Abwertung der staatsbürgerlichen Autonomie, viel mehr geht es darum, daß wir uns aus der Sicht der Entstehung des legitimen Rechts mit der Glaubwürdigkeit der Überzeugung einzelner Staatsbürger nicht zufrieden stellen können, es muß auch untersucht werden, wie eine Rechtsgemeinschaft und eine Rechtssprache geschaffen werden kann, in deren Rahmen überhaupt “eine Gemeinschaft als eine freiwillige Assoziation freier und gleicher Rechtsgenossen” gedeutet werden kann.[30] Die in dieser Gemeinschaft entstandenen Entscheidungen sind in erster Linie nicht infolge ihres Inhalts legitim, sondern da sie in einer Verfahrensordnung/system zustande kamen, worin Betroffenheit und “Mündigkeit” der Betroffenen in Betracht gezogen wurde. “Die demokratische Genese und nicht apriorische Rechtsprinzipien, denen das Gesetz zu entsprechen hätte, sichert dem Gesetz Gerechtigkeit.”[31] Diese inhaltliche Unbestimmtheit bedeutet natürlich keine Beliebigkeit und zwar deswegen, da es sich aus der Regelmäßigkeit der rechtlichen Argumentation selbst Beschränkungen ergeben.

            In welchem Maße Habermas die Staatsbürgerlichkeit für wichtig hält, geht aus der Charakteristik der drei grundsätzlichen Interpretationen der Demokratie (liberal, rebuplikaner und prozedural) hervor. Die eigene Interpretation, also das prozedurale Herangehen beurteilt er dem Republikanismus näher stehend, in erster Linie, weil er den politischen Diskurs, also den politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß, nicht bloß als Vermittler zwischen dem privaten Interesse und dem Staatsapparat vorstellt, sondern seine konstruktive Kraft auch ernst nahm. Daraus folgt, daß er die Funktion der Wahl nicht auf die Legitimation der politischen Macht reduzierte, er betrachtet die Wahl als ein Verfahren, in dem die Staatsbürger die politische Macht kontinuierlich konstituieren. Soweit wich er aber von Republikanismus ab, daß er die Frage der rechtsstaatlichen Verfassung wichtig hält und die Verfassung als Institutionalisierung der Kommunikationsformen und Verfahren der demokratischen Meinungs- und Willensbildung betrachtet.

            In dem prozeduralistischen Rechtsparadigma wird die private und öffentliche Autonomie der Bürger so gewährleistet, “daß jeder Rechtsakt zugleich als Beitrag zur politisch-autonomen Ausgestaltung der Grundrechte, also als Element eines auf Dauer gestellten verfassunggebende Prozesses verstanden werden kann.”[32] Diese Feststellung zeigt eindeutig die Reflexivität des Rechts. Im Recht als in einer reflexiven Ordnung kommt die Relation von Recht und Politik zum Ausdruck. Das Recht bestimmt nämlich die Verfahrensregeln, auf Grund derer Politik über Recht verfügen kann, die diskursive Struktur die Einflußbestrebungen der Politik filtert. Gleichzeitig kann ein bestimmtes politisches System, die Demokratie sich die Rahmenbedingungen der Rationalität in Verfahren sichern. Wie es Habermas formulierte: “Kein autonomes Recht ohne verwirklichte Demokratie.”[33]

            Die gesellschaftkritische Betrachtungsweise lenkt die Aufmerksamkeit auf unnötige Leiden, um sie zu vermeiden, werden Vorschläge unterbreitet. Habermas betont, daß das Prinzip der prozeduralen Rationalität keine Utopie ist. Utopie bedeutet nämlich ein Projekt einer idealen Lebensform, hier, im Gegenteil, geht es um eine diskursive Rahmenbedingung, die, ausgegangen von den Bestrebungen der Zivilgesellschaft, die kontinuierliche Einflußausübung ermöglicht, dadurch kann sich die Gesellschaft kontinuierlich erneuern. Diese neutrale Auffasung der prozeduralen Rationalität angenommen, tauchen einige Fragen auf, welche die offenen Fragen der Habermassche Theorie sind.

            Inwiefern kann der Begriff gesellschaftliche Pathologie in den zu der Durchführung des Diskursprinzipes umgestellten Gesellschaften erklärt werden? Darunter verstehe ich nicht die in einer früheren Studie von Habermas analysierte Kommunikationspathologie, sondern die Möglichkeit, daß dem Diskursprinzip entsprechend, auch als Ergebnis des normalen Kommunikationsprozesses für die Beroffenen negative Folgen auftreten können. Ob dessen Möglichkeit durch das Diskursprinzip begriffsmäßig ausgeschossen ist?

            Diskurs ist eine wesentlich überbelastete Institution. Der immanente Konflikt ihrer Geltungsansprüche hat eine kognitive Seite: es soll die für die Betroffenen eine wünschenswerte Lösung gefunden werden und es gibt auch eine moralische Seite: die aufgetauchten Ansprüche sollten optimal befriedigt werden und die Akzeptanz der Diskursteilnehmer genießen. Beide Aspekte laufen in dem rationalen Verfahren parallel. Um ernst auf eine gemeinsame Verwirklichung des Prinzips der Maximalisierung (kognitiver Aspekt) und des Prinzips der Optimalisierung (moralischer Aspekt) hoffen zu können, setzen wir voraus, daß die Diskursteilnehmer notwendigerweise vernünftig denken und sich vernünftig benehmen.[34] Dahinter verbirgt sich ein antropologischer Optimismus, jedenfalls ein beschränkter Optimismus, beschränkt deswegen, da er nicht voraussetzt, daß die Menschen notwendigerweise das allgemein Gute finden, sondern er setzt voraus, daß Kommunikation notwendigerweise als Verständigungsprozeß interpretiert wird und die Teilnehmer sich vor den im rationalen Verfahren formulierten Argumenten beugen. Wenn diese Argumentation akzeptabel ist, dann wurde eine inhaltlich bestimmte Rahmenbedingung des formalen Verfahrens gefunden.

            Wenn Habermas die Legitimität der Rechtsnorm als konstitutive Bedingung der Rechtsgeltung definiert, sie aber an einem rationalen Verfahren verknüpft, dann ist einerseits der Anspruch an Rechtsgeltung außerhalb des Rechts begründet, andererseits aber mit der Festlegung des Diskursprinzipes schloß er das grundlegende Verfahren auf einem bestimmten Punkt ab. Deswegen können wir behaupten, daß der Geltungsanspruch außerhalb des Rechts geraten sei, da wenn jemand sich als Betroffene einordnet und meint, daß der Diskurs hinsichtlich seiner Person ausblieb, sich darauf bezogen, kann er sich nicht an das Gericht wenden.[35] Es taucht die Frage auf: wenn das die Legitimität des Rechtes schaffende rationale Verfahren auf Rechtsweg als Anspruch nicht geltend gemacht werden kann, was kann das Rechtssystem selbst mit diesem Kriterium anfangen? Die Bestrebung, das Gründungsverfahren abzuschließen – um den unendlichen Regreß zu vermeiden – ist wohl verständlich. Es macht einen vielleicht stutzig, aber es kann eine gewisse Parallele zwischen der Funktion des Diskursprinzipes von Habermas und der Grundnorm in der Rechtsauffasung von Kelsen festgestellt werden.[36] Die Grundlage der Parallele: das auf Moral, Recht, Politik zu spezifizierende Diskursprinzip tritt als eine Normsetzungsverfahren definierende Autorität in der Gesellschaftstheorie von Habermas auf, nachdem keinen Rückweg mehr gibt. Die wesentliche Differenz, daß das Diskursprinzip – im Gegensatz zur Grundnorm von Kelsen, auch nicht außer acht gelassen werden darf, ist nicht analytisch oder hypothetisch, sondern wenn wir Alexys Typologie folgen, können wir die Funktion des Diskursprinzipes untersuchend gewisse Charakteristika der normativen und empirischen Grundnorm entdecken.[37] Ob diese Dualität auflösbar ist oder aufzulösen sei – hängt davon ab, ob der Schwerpunkt der Theorie von Habermas in Bewegung gesetzt wird, ob sich die deskriptiven oder kritischen Charakteristika stärker artikulieren. Auf Grund von Faktizität und Geltung ist ein ausgeglichenes gleichzeitiges Vorhandensein der beiden zu beobachten.

            Letztens kann noch die Frage formuliert werden, inwiefern das die Reziprozität der Kommunkitaionspartner vorausetztende rationale Verfahren in die Sozialwelt integriert ist? Sollten wir lieber davon ausgehen, daß das Verfahren eine undurchdringliche Mauer für die “externen” soziale Differenzen schafft, oder sollen voraussetzen, daß auch in der “externen” Welt die Diskursteilnehmer frei und chacengleich sind. In dem ersten Fall können wir zur funktionellen Differenzierung und in dem zweiten Fall zu einem utopienahen Standpunkt gelangen. Die Gedanken von Habermas durchschneiden diese Dichotomie. In dieser Hinsicht ist seine Auffasung über die Zivilgesellschaft von grundsätzlicher Bedeutung. Nach Habermas nämlich vermag die lebensweltliche Zivilgesellschaft die aus verschiedenen sozialen Situationen entstandene Ungleichheit der Machtpositionen zu neutralisieren. Insofern sind im Prinzip der Verfahrensrationalität die Spuren der Lebenswelt zu beobachten, d. h. die normativ perzipierte Verfahrensrationalität der Lebenswelt kommt eventuell provisorisch zum Vorschein, ist aber eine empirische Realität. Genau deswegen ist das Recht eine utopisch nicht deutbare Quelle der Legitimität. Die Umstellung auf die prozedurale Rationalität im Recht ist, der Moderne ähnlich, ein unvollendetes Projekt.

            Ob die Neutralität der prozeduralen Rationalität bei Habermas auch im weiteren erhalten bleibt und damit die inspirative Spannung der inhaltlichen Normativität zwischen den Rahmenbedingungen und Voraussetzungen vorhanden sind, hängt davon ab, ob er die Möglichkeit der Gesellschaftskritik zwischen Hoffnung und Realität bewahren möchte, oder einer von den beiden die Priorität gewährt.

 

 

 

 



[1] Robert Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs: Studien zur Rechtsphilosphie, 1995, S. 94-108, Bernhard Peters, Rationalität, Recht und Gesellschaft, 1991, S. 227-271

[2] Peters (Fn.1), S. 228 f. Selbst Luhmann meinte übrigens rückblickend, daß sein Buch Legitimation durch Verfahren von der Kritik überbewertet wurde, da es darin nicht um die Theorie der “Prozedualisierung” des Rechtes, um die Anerkennung vernünftiger Geltungsansprüche ging, nur um eine Rahmenbedingung dafür, “daß sozialer Streit (selbst Streit mit hohen ökonomischen, moralischen oder politischen Implikationen ) überhaupt zu einem Ende gebracht werden kann.” Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 332 f.

[3] Jürgen Habermas, Nachmetaphysisches Denken, 1988

[4] Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S.19

[5] Jürgen Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handelns, 1983, S. 113. Alexy diagnostizierte übrigens bereits mitte der 8o-er Jahre die Charakteristika der Diskurstheorie: ”Der Vorteil der Diskurstheorie besteht darin, daß ihre Regeln als Regeln rationalen praktischen Argumentierens wesentlich leichter zu begründen sind als materiale moralische Regeln. Dafür ist der Preis zu zahlen, daß die Diskursprozedur als solche mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen vereinbar ist.” Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S.499.

[6] Habermas (Fn. 5), S. 115

[7] Habermas (Fn. 5), S. 75 f.

[8] Habermas (Fn. 5), S. 71

[9] Jürgen Habermas, Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativan Handelns, 1984, S. 499 f.

[10] Axel Honneth, Diskursethik und implizites Gerechtigkeitskonzept, in: Moralität und Sittlichkeit, hg. von W.Kuhlmann, 1986, S. 183-193

[11] aaO., 187

[12] Habermas (Fn. 4), S. 140

[13] Es ist beachtenswert, daß Habermas zu seiner Diskursprinzip-Definition (“Gültig sind genau die Handlungnormen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen können.”) hinzufügte, ”dieses Prinzip hat…gewiß einen normativen Gehalt, weil es den Sinn der Unparteilichkeit praktischer Urteile expliziert.” Habermas (Fn. 4), S. 138. Er meinte aber, daß diese inhaltliche Determiniertheit der Spezifikation des Diskurses hinsichtlich der Moral und des Rechtes vorangeht und so aus der Sicht der Spezifikation noch neutral gehalten werden kann. Es ist aber fraglich, warum die auf der Abstraktionsebene der Handlungsnormen überhaupt formulierte Charakteristika während der Anwendung an Moral und Recht verschwinden würde?

[14] aaO., 47

[15] aaO., 48

[16] aaO., 48

[17] Rekapitulieren wir: Habermas deutete im Gegensatz zu der in methaphysischer Tradition eröterten materialen Rationalität (“die Vernunft ist eine des Ganzen und seiner Teile”) im nachmethaphysischen Denken in den Vordergrund geratene Grenze der prozeduralen Rationalität an, so “kann eine vorgängige Einheit in der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen nicht mehr garantieren.” Habermas (Fn. 3) S. 42 f.

[18] Habermas (Fn. 4), S. 285 f.

[19] aaO., 244

[20] aaO., 227

[21] aaO., 381

[22] Über die Bestreitung kommunitaristischer und liberaler Einwände der Verfahrensneutralität: aaO., 374-382.

[23] aaO., 536

[24] “Seinen vollen normativen Sinn erhält das Recht nicht per se durch seine Form, auch nicht durch einen a priori gegebenen moralischen Inhalt, sondern durch ein Verfahren der Rechtsetzung, das Legitimität erzeugt.” aaO., 169). Übrigens diese Auffasung des legitimen Rechts von Habermas unterscheidet sich wesentlich von seinem früheren Herangehen, das zu beweisen zitiere ich nur einen Gedanken aus seinem Buch über die Theorie des kommunikativen Handelns: “Unter Rechtsinstitutionen verstehe ich Rechtsnormen,die durch den positivistischen Hinweis auf Verfahren nicht hinreichend legitimiert werden können. Dafür sind die Grundlagen des Verfassungsrechts, die Prinzipien des Straf- und Verfahrensrechts sowie alle Regelungen moralnaher Straftatsbestände (wie Mord, Abtreibung,Vergewaltigung usw.) typisch. Sobald in der Alltagspraxis die Geltung dieser Normen in Frage gestellt wird, reicht der Hinweis auf ihre Legalität nicht aus. /.../ Sie bedürfen einer materiellen Rechtsfertigung, weil sie zu den legitimen Ordnungen der Lebenswelt selbst gehören und zusammen mit den informellen Handlungsnormen den Hintergrund kommunikativen Handelns bilden.” Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. II. 1981, S. 536.

[25] Habermas (Fn. 4), S. 451. Aus der fast unübersichtlichen Literatur über die Funktion der Massenmedien und über ihre Rolle in der Wissenskonstitution der Gesellschaft würde ich die Aufmerksamkeit auf zwei Bücher lenken: Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 1996, K.Merten – S.J. Schmidt – S.Weischenberg (hg.), Die Wirklichkeit der Medien, 1994.

[26] Habermas (Fn. 4), S. 451-458

[27] aaO., 239

[28] Habermas orientiert den Leser darüber genau wie er anhand des Suverenitätsproblem schreibt: “Das »Selbst« der sich selbst organisierenden Rechtsgemeinschaft verschwindet in den subjektlosen Kommunikationsformen, die den Fluß der diskursiven Meinungs- und Willensbildung so regulieren, daß ihre falliblen Ergebnisse die Vermutung der Vernünftigkeit für sich haben.” aaO., 365.

[29] aaO., 339

[30] aaO., 143

[31] aaO., 232

[32] aaO., 494

[33] aaO., 599

[34] Inwieweit das die verständigungsorientierten Kommunikationen hinsichtlich der Lebenswelt durchdringt, anhand dessen kann nur auf die Zweifel von Haba hingewiesen werden, seiner Meinung nach kennzeichnet “ideale Sprechsituation” eher akademische Reden. Enrique P. Haba, Standortbestimmung zeitgenössischer Rechtstheorie – Rawls, Dworkin, Habermas und andere Mitglieder der “Heiligen (Rede-) Familie“. in: 27 Rechtstehorie /Habermas-Sonderheft, hg. von W.Krawietz/G.Preyer/, (1996) S. 313.

[35] Siehe: Gerhard Preyer, Entscheidung – Rechtsgeltung – Argumentation, in: 27 Rechtstehorie /Habermas-Sonderheft, hg. von W.Krawietz/G.Preyer/, (1996) S. 374, Luhmann (fn. 2), S. 99.

[36] “Die Grundnorm beschränkt sich darauf, eine normsetzende Autorität zu delegieren, das heißt eine Regel aufzustellen, nach der die Normen dieses Systems zu erzeugen sind. /.../ Eine Norm gehört zu einer auf einer solchen Grundnorm beruhenden Ordnung, weil sie auf die durch die Grundnorm bestimmte Weise erzeugt ist – und nicht, weil sie einen bestimmten Inhalt hat.” Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 199 f.

[37] Robert Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 1994, S. 154-197

2004/2. szám tartalomjegyzéke