Zehn
Thesen zur Kritik von Niklas Luhmann’s Theorie
Béla
Pokol
(Aufgrund des Kapitels VI. des
Buches “Komplexe Gesellschaft. Eine der möglichen Luhmannschen Theorien”
von Béla Pokol. Logos Verlag Berlin. 2001. Zweite, erweiterte Ausgabe)
1.
Eingebettet
in der Systemebene der psychischen Systeme hat Luhmann die Menschen von der
sozialen Systeme isoliert. Infolgedessen sind solche sozialen Strukturen und
Mechanismen, welche auf die ganze Persönlichkeit der Menschen basiert werden müssten, von der Erklärung des Aufbaus der sozialen Systeme
abgeschnitten.
2.
Eine
Konsequenz davon ist die Unterbelichtung der Bedeutung der Menschengruppen in
dem sozialen Geschehen in der luhmannschen Theorie. Solche soziale Strukturen,
die die dauerhaften Spaltungen der Menschengruppen aufgrund der nationalen,
religiösen, wirtschaftlichen, kulturellen usw. Gruppierungen bedeuten, finden
keinen Platz in der Analyse von der luhmannschen Theorien. Die dauerhaften
Solidaritäten in
einer solchen Menschengruppe und die dauerhaften Gegensätze und Kämpfe zwischen den innerlich solidären, äusserlich aber feindlichen Menschengruppen erhalten keine Thematisierungen in den
luhmannschen Analysen.
3.
In der
luhmannschen Theorie werden die einzelnen sozialen Erreignisse von der
funktionalen Mechanismen bestimmt und die Effekten der Kämpfen der gegnerischen und die Solidaritäten der freundlichen Menschengruppen
auf diese Erreignisse werden annuliert. Das ist eine halbierte strukturelle
Analyse.
4.
Mit
dieser Halbierung konnte Luhmann viele solche funktionelle und institutionelle
Aspekte der Organisierung der sozialen Welt herausheben und stärker im Zentrum der Analyse stellen,
die von der traditionellen Gesellschaftstheorien nicht beobachtet werden
konnten aber für diese heuristischen Vorteile musste ein grosser Preis bezahlt
werden: Die Theorie von Luhmann musste eine halbierte Gesellschaftstheorie
bleiben.
5.
Die
Aufgabe besteht darin, in den gesellschaftstheoretischen Analysen die doppelten
Strukturen der Gesellschaft als Ausgangspunkt zu benutzen. Die dauerhaften
Strukturen bedeuten einerseits die funktionellen Mechanismen und die
institutionellen Aufbau der einzelnen funktionellen Teilsysteme und
Organisationen, andererseits die stabilen Kohäsionen und Feindlichkeiten der
Mennschengruppen, die meistens nicht innerhalb der einzelnen Teilsysteme
sondern gesamtgesellschaftlich (mehrere Teilsysteme durchgeschnitten)
organisiert sind.
6.
Vergleichend
Parsons und Marx hat David Lockwood zwei Integrationsformen - Systemintegration und soziale Integration
– unterschieden. Es ist nötig, diese Unterscheidung weiter zu fassen und als
zwei parallelen Strukturen der modernen Gesellschaften zu bestimmen:
Strukturen, die auf Spaltungen der Menschengruppen basiert sind und Strukturen,
die auf die institutionellen Mechanismen der einzelnen funktionellen
Handlungsbereichen beruhen.
7.
Ein
Beispiel für den heuristischen Vorteil des Ausgangspunkts von der doppelten
Strukturen der Gesellschaften: Es gab keinen Systemwechsel in der Ebene der
Strukturen der hierarchischen Menschengruppen in Ost-Mitteleuropa nach 1989,
denn die Gruppen der früheren Parteifunktionaren und Apparatschiks
grösstenteils die führenden Kräfte in jeden ehemaligen Ostblockstaates blieben. Aber in der Ebene der
institutionellen Strukturen der funktionellen Handlungen und der funktionellen
Organisierung der Gesellschaft gab es
ein grundlegender Systemwechsel in Richtung Marktwirtschaft und auf Wahlen
basierte Machtausübung. Ohne diese doppelte Thematisierung der
gesellschaftlichen Strukturen kann die heutige Realität in Ost-Mittel-Europe nicht begrifen werden.
8.
Aufgrund
der gesamtgesellschaftliche Solidaritäten bzw. Feindlichkeiten der einzelnen Menschengruppen gibt es
systematischen Verzehrungen innerhalb der einzelnen funktionalen Teilsysteme,
die von Luhmann nicht beobachtet werden können. Die Kämpfe der feindlichen Menschengruppen
bestimmen gesamtgesellschaftlich viele Erreignisse in den einzelnen
funktionellen Teilsysteme, z. B. die
wirtschaftlich gut ausgerüsteten Menschengruppen können mit Geld Lehrstühle,
wissenschaftlichen Stiftungen, Zeitschriften, Stipendien usw. gründen und in
der Wissenschaft können auf diese Weise
die wahr/falsch binäre
Code von anderen Selektionsgesichtspunkten in den Hintergrund geschoben werden.
Oder mit Geld können wirtschaftlich starke Menschengruppen auch in den
Massenmedienbereich starke Positionen ausbauen und mit dem Macht des Geldes
schaffen sie auch Medienmacht und dann mit der Hilfe der Massenmedien auch
politische Macht.
9.
Die
Verkettung von Geld, geistige Macht, Medienmacht, politische Macht kann erst
aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Gruppierungen der Menshcen beobachten
werden und diese Beobachtungsmöglichkeit ist annuliert mit der halbierten
strukturellen Thematisierung von der luhmannschen Theorie. Gesamtgesellschaftliche Solidaritäten und Feindlichkeiten der
Menschengruppen schneiden die Teilsysteme durch und sie bestimmen in vielen Fällen die einzelnen ’Operationen’ innerhalb diesen Teilsystemen.
10. Die Organisierung der doppelten Strukturen der sozialen Welt haben
verschiedene Schwerpunkte. Die Strukturen einigen funktionellen Teilsysteme
organisieren sich stärker
auf der Ebene der Weltgesellschft - wie
Luhmann dies betont hat - aber viele Strukturen anderer Teilsysteme sind stärker auf der Ebene der nationalen
Gesellschaften determiniert. Zum Beispiel die Geldwirtschaft oder die
Wissenschaft sind grösstenteils auf der Ebene der Weltgesellschaft organisiert
aber die politische Strukturen bauen stärker auf die nationale Ebene der Menschengruppe auf. Auf diese Weise können fortsetzende Kämpfe zwischen solchen Menschengruppen
stattfinden, die einerseits weltgesellschaftlich über die Geldmacht disponieren
können und andererseits solche, die auf der nationalen Ebene stärkere Einbettung haben. In fast jeder
europäischen und nordamerikanischen
demokratischen politischen Systemen gibt es diese Spaltung der politischen
Krafte und das bedeutet nicht nur die Kämpfe der Menschengruppen sondern auch die Rivalisierung der
verschiedenen funktionellen Strukturen. Mit der Thematisierung der doppelten
Strukturen der Gesellschaft kann einerseits die politische Kräfte (und Menschengruppe) der
Weltgesellschaft und andererseits die der nationalen Gesellschaften besser
begriffen werden.