Péter Szilágyi

Die ungarische Rechtsphilosophie nach dem zweiten Weltkrieg. Der sozialistische Normativismus.

 

 

 

 


In den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg in Ungarn ist eine Koalitionsregierung zustandegekommen. In dieser Regierung nahmen die Kommunisten, die Sozialdemokraten, die Kleinwirtpartei und die Bauernpartei teil. Diese demokratische Regierung dauerte bis 1948, dann haben die Kommunisten die Macht übernommen und das Einparteisystem sowjetischer Art ist zustandegekommen. 1948 war das Jahr der Wende. Diese politische Entwicklung bestimmte in grossem Masse auch die Lage und der Wandel der ungarischen Rechtsphilosophie. In der Koalitionszeit erschienen noch die neuen Arbeiten der Rechtsphilosophen der Vorkriegszeit (Moór, Barna Horváth und István Bibó). Von Moór wurde eine Kleinmonographie veröffentlicht: Die Probleme der Rechtsphilosophie (1946), und ein Buch mit dem Titel Zwischen gestern und morgen, das seine in diesen Jahren geschriebene Abhandlungen beinhaltete; von Horváth erschienen einige Beiträge, darunter der wichtigste war sein Beitrag Demokratie und Recht. Sie haben schon über die wissenschaftliche Tätigkeit von Moór und Horváth gehören, so möchte ich jetzt einige Worte nur über Bibó sagen.

       Bibó István (1911-1979) war der Schüler von Horváth, er begann seine wissenschaftliche Tätigkeit als Rechtsphilosoph und Völkerrechtler, habilitierte 1940 bei Horváth. Er wurde aber in dieser Zeit schon Politikwissenschaftler, und als ein solcher wurde er eine berühmte und hervorragende Figur des ungarischen geistigen Lebens. Seine wissenschaftliche Tätigkeit hatte in dieser Zeit ihre Glanzperiode. Bibó hatte später für sich selbst eine Grabinschrift geschrieben, die lautete: Er lebte 1945-1948. Er beschäftigte sich in dieser Zeit unter anderem mit der Lage, mit dem Elend der ost-mitteleuropäischen Kleinstaaten, mit der Krise der ungarischen Demokratie. Sein wichtigstes Werk aus dieser Zeit ist seine akademische Antrittsvorlesung, Die Gewaltenteilung damals und heute. In diesem Beitrag entwickelte er das heraus, dass die Gewaltwenteilung als eine gesellschaftliche – politische Technik auch auf die Bereiche angewandt werden sollen, wo die Gefahr der Machtkonzentration auftritt. Als solche Bereiche erwähnte er die staatliche Wirtschaft, die Kultur und Propaganda (die Massenkommunikation – könnten wir heute sagen) und die Technokratie. Gleich nach dem Krieg sind natürlich auch solche rechtswissenschaftliche und rechtsphilosophische (richtiger: rechtstheorethische) Beiträge – vor allem Übersetzungen – hervorgekommen, die den Marxismus sowjetischer Art, den von Wyschinski im Geist Stalins interpretierte Marxismus darstellt haben. Diese rechtstheoretische Auffassung trat zuerst nur die eine der Rechtsphilosophien auf, aber schon damals leugnete sie nicht, dass sie perspektivisch auf Ausschliessllichkeit Anspruch erhebt. Die Kritik an die bürgerliche, an die sogenannte bourgeois Rechtsphilosophie wurde immer gröber, jene Rechtwissenschaftler, die sich dem neuen Kurs nicht angepasst haben, wurden durch administrativen Massnahmen von den Universitäten entfernt. So nach dem Jahre der Wende wurde die mit Namen Wyschinski geprägte stalinistische und vulgarmarxistische Rechtswissenschaft, der sogenannte sozialistische Normativismus ausschliesslich, noch dazu, fast bis Ende der fünfziger Jahren in seiner rein und hart stalinistischen Form.

 

Sozialistischen Normativismus nennt man jene rechtsphilosophische Auffassung, die sich in der Sowjetunion vor allem infolge der Tätigkeit von A. J. Wyschinski ausgestaltet ist und er wurde herrschende Theorie zuerst in der Sowjetunion und später in den staatssozialistischen Ländern sowjetischen Typus.

    Der sozialistische Normativismus ist eigentlich eine positivistische Rechtsauffassung, er is eine besondere Art des Rechtspositivismus.

     Wie es bekannt ist, die rechtsphilosophische Richtungen kann man auf zwei grosse Gruppen aufteilen: auf die naturrechtlichen Auffassungen und auf den Rechtspositivismus. Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden grossen Richtungen wird in dem sogenannten Trennungsthesis formuliert: die Rechtspositivistischen Auffassungen trennen zwei Frage, die Frage, was das Recht ist, wie es ist, und die Frage, welches /wie das richtige, gerechte Recht ist. Die Naturrechtler knüpfen diese beiden Fragen zusemmen: das Recht ist nur das, was gerecht ist.

       Die Rechtspositivisten erklären also das Sein des Rechts, den rechtlichen Charakter mit irgendeinen Fakten. Auch innerhalb des Rechtspositivismus gibt es weitere Unterschiede, darunter zwei besonders sind wichtig. Der eine bezieht sich darauf, auf welche Fakten sie den Rechtsbegriff, den rechtlichen Charakter zurückführen. Auf diesem Grund kann man den etatistischen-normativistischen Rechtspositivismus und den empirischen-soziologischen Rechtspositivismus unterscheiden. Die etatistischen-normativistischen Positivisten den rechtlichen Charakter führen darauf zurück, das das Recht von einer Autorität, in der Regel von der Staat, von einem staatlichen Organ gesetzt ist. Zu dieser Gruppe des Rechtpositivismus gehören unter anderen Austin, der Gesetzespositivismus des 19. Jahrhunderts, die neukantianische Rechtstheorie, vor allem Kelsen und auch der sozialistischer Normativismus. Die Vertreter des empirischen Positivismus führen den rechtlichen Charakter entweder auf irgendwelche menschliche Verhalten (auf Raum-zeitliche Realitäten, wie sie sagen) zurück, wie die Verhalten der Richter, die Verhalten der Rechtsgenossen, oder auf psychische Erscheinungen, auf psychophysische Realitäten, wie Anerkennung, Rechtsgefühl der Rechtsgenossen, usw. Nach einigen Autoren bilden diese letztgenannte psychologische Auffassungen eine eigene Gruppe, nach einer anderen Auffassung kann man auch sie in den empirisch-soziologischen Positivismus einordnen. Meiner Meinung nach ist diese letztere Meinung treffender, denn kann man die psychische Erscheinungen, Bewusstseinszustände direkt nicht beobachten, feststellen, nur mittels der Beobachtung des Verhaltens.

       Der zweite Unterschied innerhalb des rechtspositivistischen Theorielager bezieht sich auf die Aufgabe der Rechtsphilosophie. Die radikale oder konsequente Positivisten wie Kelsen meinen so, dass die Frage nach der Richtigkeit, Gerechtigkeit des Rechts eine solche Frage sei, was man wissenschaftlich nicht behandeln und beantworten kann, weil die Antworten von Weltanschauung abhängig seien. Die sogenannten gemässigten Positivisten dagegen meinen so, dass die Rechtsphilosophie sich auch mit der Frage nach der Richtigkeit des Rechts beschäftigen soll, weil diese Frage sehr grosse praktische Bedeutung hat und auch wissenschaftlich behandelt werden kann, auch die Werturteile können rational begründet werden. Dieser Standpunkt war unter anderen von H.L.A.Hart vertreten.

      Der sozialistische Normativismus – wie wir das sehen werden – in seiner reinen Form hat die Frage nach der Richtigkeit des Rechts abgelehnt, aber einige spätere Vertreter dieser Richtung versuchten, den sozialistischen Normativismus mit der Problematik der Bewertung des Rechts, mit der Problematik des richtigen Rechts zu ergänzen. Diese Bestrebungen haben aber zu der Auflösung des sozialistischen Normativismus beitragen.

       In dem Prozess, in dem der sozialistische Normativismus herrschend geworden ist, spielte die erste Unionskonferenz der Rechtswissenschaftler (Wort für Wort: Arbeiter der Rechtswissenschaft) in 1938 eine entscheidende Rolle. In dieser Konferenz hielt Wyschinski das Referat. Ich glaube, dass es bekannt ist, dass Wyschinski nicht nur Theoretiker, sondern auch ein Rechtspraktiker des Stalinismus war. Er war Generalstaatsanwalt der Sowjetunion unter Stalin, zwischen 1935-1939, während des grossen Terrors und er war der Staatsanwalt in den grossen politischen Prozessen wie der Buharin Prozess. Er ist 1954 gestorben. Die genannte Konferenz war in kurzer Zeit nach dem Buharin Prozess: der Prozes, der sogenannte dritte Moskauer Schauprozess war in März 1938, die Konferenz in Juli 1938.

Wyschinski in seinem Referat verurteilte die früher anerkannten sowjetischen Rechtstheoretiker wie Reisner, Stucka und Pasukanis, und er gab einen Rechtsbegriff, der den sozialistischen Normativismus charakterisierte.

      Hier möchte ich einige Worte sagen über diesen erwähnten Rechtstheoretiker.

Reisner, Stucka, Paschukanis. Sehr vereinfacht: sie waren die Vertreter des empirischen Positivismus,  Der im Referat von Wyschinski formulierte Rechtsbegriff enthaltete die wichtigsten, am besten bezeichnenden Eigenarten des sozialistischen Normativismus verdichtet, und er galt in der institutionalisierten, offiziellen Rechtstheorie der staatssozialistischen Staaten in zwei Jahrzenhten als Dogma.
[“… Definition des Rechts vertreten wurde, die heute auch bei uns von allen fortschrittlichen Juristen als die einzige wissenschaftliche anerkannt wird."]

      Dieser Begriffbestimmung lautete: "Das Recht ist die Gesamtheit der Verhaltensregeln für das menschliche Verhalten, die von der Staatsgewalt als der Macht der in der Gesellschaft herrschenden Klasse festgesetzt werden, sowie der Gewohnheiten und Regeln des Gemeinschaftslebens, die von der Staatsgewalt sanktioniert werden. Sie werden mit Hilfe des Staatsapparates zwangsweise zum Schutz, zur Stärkung und Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse und Zustände, die der herrschenden Klasse genehm und vorteilhaft sind, verwirklicht." Von dieser allgemeinen Definition des Rechts wird das Sowjetrecht durch den folgenden Zusatz abgegrenzt: "Das Sowjetrecht dient dem Schutz, der Stärkung und Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse und Zustände, die dem werktätigen Volke, den Arbeitern, den Bauern und der werktätigen Intelligenz des Sowjetlandes genehm und vorteilhaft sind." 

      Diese Definiton enthaltet drei Elemente, namentlich

a) Das Recht ist ein Normensystem;

b) das Recht geht vom Staat aus, und seine Einhaltung wird letztlich durch dessen Zwangsgewalt gewährleistet;

c) inhaltlich ist das Recht Willensausdruck der herrschenden Klasse, der durch die Produktionsverhältnisse bestimmt wird.

      Diese Elementen können wir in drei Schlagwörter zusammenfassen: Normacharakter, staatliche Charakter, Klassencharakter. Was diese Ausdrücke bedeuten, dazu werde ich später zurückkehren.

      Die urspüngliche, mit Namen von Wyschinski bezeichnete Art des sozialistischen Normativismus galt eindeutig als die Rechtstheorie des Stalinismus. Nach der Destalinisation des Khrustschow - Kurs haben der aktualpolitische Inhalt und die aktualpolitische Funktion des sozialistischen Normativismus sich verändert, etwas feiner wurden, seine theoretische Struktur, theoretische Hauptmerkmale haben sich kaum verändert. Zu diesen Hauptmerkmalen gehört vor allem seine Normativismus.

      Der Gebrauch des Ausdruckes Normativismus dient (in vorwiegend polemischer Akzentuierung) in der rechtstheoretischen und rechtsmethodischen Diskussion zur Bezeichnung einer Richtung des Rechtsdenkens und Rechtswissenschaft, die das Recht allein als einen gegenüber dem Tatsächlichen abgeschlossenen Komplex geltender Normen (i. S. erlassener Gesetzesregeln) begreift und die Aufgabe der Rechtswissenschaft nur darin sieht, diesen Normenkomplex unter Anwendung der Mittel der Logik zu analysieren, in seinem Aussagegehalt festzustellen, und durch Rückführung auf allgemeinere rechtslogische Begriffe und Denkfiguren zu systematisieren. Dementsprechend sei die Aufgabe der Rechtswissenschaft nur das, den Stoff des Rechts, d.h. die positiven Rechtsregeln, vermittels dieser Begriffe, Formen und Figuren logisch-systematisch zu ordnen, zu entfalten und handhabbar zu machen. Die Fragen nach der Zusammenhang von Recht und sozialer Wirklichkeit, nach dem Vorgang der Rechtsbildung und –fortbildung, nach Grund und Legitimation des Rechts wurden aus der rein normativen rechtswissenschaftlichen Betrachtung methodisch ausgeschlossen. Gleichwohl wurde eingeräumt, dass jedes Sollen letzlich nur aus einem Sein (Setzung, Willensakt) hervorgeht und die letzte Norm, die die Geltung der vorausgehender Normen legitimiert, nicht eine wirkliche, geltende, sondern nur eine vorausgesetzte, hypothetische Norm sein kann. Eine wesentliche Grundlage des Normativismus ist die Gleichsetzung von Recht und Gesetz. Gesetz und gesetzliche Regeln stellen für den Normativismus nicht den Versuch dar, Recht vollziehbar zu machen, sondern sie sind das Recht. Die Beziehung von Gesetz und Recht (ebenso von Recht und Gerechtigkeit) ist damit aus dem Gegenstandsbereich der Rechtswissenschaft ausgesondert und in den Bereich von Rechtsethik und Rechtspolitik verwiesen: Rechtswissenschaft ist normative Gesetzeswissenschaft. Ausgeklammert bleibt für den Normativismus ferner das Problem der Rechtsverwirklichung und der Vorgang der Rechtsbildung und -fortbildung. Erst und nur die fertige, bereits gesetzte und geltende’ Norm ist der Gegenstand rechtswissenschaftlicher Bearbeitung, und sie wird in dieser Bearbeitung auf sich gestellt, rein als Norm betrachtet, aus dem intentionalen Zusammenhang von Recht und Rechtsverwirklichung und sowie von Recht und sozialer Lebenswirklichkeit gelöst (wenngleich der Zusammenhang als solcher nicht geleugnet wird). Der Normativismus reduziert jede konkrete Ordnung auf Gesetzesregeln: alles Recht und alle Ordnung wird zum Inbegriff von Rechtsregeln. [Böckenförde nyomán, majdnem szószerinti. In Hist Wbuch d PhiloBd6.932-933.]

      Also: Der Normativismus hat zwei Elemente: Rechtsbegriff und Aufgabe der Rechtsphilosophie. Deer Normativismus setzt einen bestimmten Rechtsbegriff voraus, aber bedeutet mehr.  Die reinste Form dieses Normativismus war die Reine Rechtslehre von Hans Kelsen, der sozialistische Normativismus hat sich in einigen Zügen von jener unterscheidet. Der sozialistische Normativismus hat aus den Forderungen der Kelsenschen Reinheit die Ablehnung, die Zurückweisung, die Verneinung des Naturrechts und der Bewertung des Rechts ausdrücklich und entschlossen angenommen, (so gesagt: die Frage nach dem richtigen Recht ist nicht richtig – Szabó), dagegen dürfte und konnte er die theoretische Untersuchung der gesellschaftlichen Zusammenhänge des Rechts wegen seiner marxistischen Anrufen und Berufungen, wegen seiner marxistischen Verpackung erklärt nicht zurückweisen. So präsentiert er eine pseudogesellschaftliche Erklärung, deren zentrale Ausdrücke, Schlüsselbegriffe die Interesse und der Wille der Arbeiterklasse ist. Die Folge dieser pseudogesellschaftliche Erklärung war die Ablehnung der Soziologie und auch die der Rechtssoziologie als “bourgeois Pseudowissenschaften”. Wegen der Unterlassung der wirklichen und inhaltlichen Untersuchung und Analyse der seienden gesellschaftlichen Zusammenhänge und Verhältnisse kann man seinen marxistischen Charakter mit Recht bezweifeln, sogar auch die Meinung entbehrt nicht jeder Grundlage, dass der marxistischer Normativismus contradictio in adiecto ist. Ich möchte mich jetzt nicht mit der Frage beschäftigen, ob dieser Normativismus wie und weit marxistisch oder sozialistisch ist, ich bemerke nur, dass das Gebrauch des Adjektivs “sozialistisch” durch das Engagieren /die Verpflichtung seiner Vertreter für den Staatssozialismus sowjetischen Typus begründet wird.

Die weiteren Eigenschaften des sozialistischen Normativismus können wir in Schlagwörtern in folgenden zusammenfassen:

  1. Vulgärmaterialistische Ökonomismus: das Recht ist eine mechanische Folge, mechanisches Ergebnis der Wirtschaft, das Recht notwendigerweise entspricht den Produktionsverhältnisse, also die Frage nach dem richtigen Recht ist nicht richtig.
  2. Nur verbaler Materialismus und nur verbale gesellschaftliche, gesellschsaftsorientierte Betrachtung, in der Tat Unterlassung der Untersuchung der sozialen Verhältnissen, besonders im Falle des Staatssozialismus.
  3. Primitive, vereinfachte Klassenbetrachtung: fast dichotome Klassenstruktur, übermässige Betonung der Klassenkonflikten, die Darstellung der Klassenkonflikten als antagonistische Widersprüche, infolgedessen das Recht nur den Interessen der herrschenden Klasse dient, das Recht ist der Wille der herrschenden Klasse.
  4. Voluntarismus: Das sozialistische Recht als der Wille der Arbeiterklasse  oder als der Wille des Werktätigen Volkes ist der verfügbare und fast unbeschränkte Gestalter der sozialen Verhältnisse. (Die Grenze ist der gestirnte Himmel – Rákosi)
  5. Instrumentalismus: Das Recht ist das blosse Mittel der Politik. Die Folge war die Überpolitisierung des Rechts, die totale Unterordnung des Rechts der Politik.
  6. Etatismus: Die Absolutisierung des staatlichen Charakters des Rechts, das Recht ist nicht anderes als staatlicher Befehl.
  7. Die totale Formalisierung, Ausleerung der Gesetzlichkeit, die Gesetzlichkeit ist gleich mit dem Entsprechen den Gesetzen, unabhängig deren Inhalten; und gleichzeitig ihre Vulgarisierung und Fetischisierung, die starre Ablehnung jedweder richterlichen Rechtsfindung.
  8. Dogmatismus: Der Ausganspunkt der Analyse war nicht die Wirklichkeit, sondern die kanonisierten Texte von Marx, Engels, Lenin und anfangs vor allem Stalin, und man beharrt auf die offiziellen, verbindlichen Interpretationen dieser Texte.
  9. Apologetik, etwas ähnlich den Naturrechtslehren: das seiende sozialistische Recht entspricht den Produktionsverhältnissen und dem Willen der Arbeiterklasse, es ist also fehlerlos.
  10. Die vulgarisierte Erklärung der Entstehung des Rechts, entsprechend der primitiven Klassenbetrachtung.
  11. Seine Funktion ist vor allem ideologisch, nach innen apologetisch, nach aussen kritisch, gegen das bourgeois Recht und Rechtswissenschaft; sie ist zweitens bürokratisch, rechtsanwendungstechnologisch.

     Anfangs der fünfziger Jahren waren die den sozialistischen Normativismus vertretenen umfassenden rechtstheoretischen Werke vor allem Übersetzungen aus dem Russischen und Lehrmaterialien nach dem Muster der sowjetischen Lehrbüchern, deren Autoren György Antalffy, Pál Halász, Imre Szabó und Tibor Vas waren. Sie waren die bekannten Vertreter dieser Richtung. Der Umstand, die Lage, dass die Rechtsphilosophie ancilla politicae, Magd der Politik wurde, begünstigte nicht die grössere Monographien, wegen der häufigen politischen Veränderungen. Die kürzere Beiträge richteten sich nach den schnell wechselnden politischen Erwartungen, so haben sie sehr wenigen theoretischen Wert. Zur Lage der Rechtwissenschaft und auch der Rechtsphilosophie gehörten die mit politischen Absichten organisierten Diskussionen, die auch der Dramaturgie von Kritik und Selbstkritik nicht entbehren. Solche Diskussionen waren unter anderen über das Wirtschaftsrecht und über die konstanten Elementen des Rechts. Veranschaulicht die Atmospäre der Zeit, möchte ich das “Ergebnis der letzteren Diskussion darstellen. Es lautet so: Nach der Lehre von Stalin als der Klassencharakter des Überbaus aufhört, hört er Überbau zu sein. Weil das Recht Überbau ist, hat es Klassencharakter. Was keinen Klassencharakter hat, kann kein Recht sein. Die konstante Elemente im Recht können keinen Klassencharakter haben, also sie können nicht Recht sein. So können wir feststellen, dass im Recht keine konstante Elemente sind.


      Imre SZABÓ (1912-1991) war der am meisten anerkannte Rechtsphilosoph und der berühmteste Representant der marxistisch-lennistischen sozialistischen Normativismus während der Zeit des Staatssozialismus in Ungarn. Er unterscheidet sich von vielen seinen, ähnliche Positionen bekleidenden osteuropäischen Kollegen vorteilhaft durch breite Bildung und Sprachkenntnisse. Er ist in Beregszasz geboren, in einer Stadt, die nach dem ersten Weltkrieg zur Tschechoslowakei gehörte, heute zu Ukraine. Er studierte in Prag, in der einzigen Demokratie des ost-mitteleuropäischen Raums, dort bekam er seine breite rechtsphilosophische Bildung und so wurde er der slawischen Sprachen kundig, was ihn fähig machte, sich über die Ereignisse der sowjetischen Rechtsphilosophie und des Rechstslebens schnell zu unterrichten und geschickt zu lavieren. Besonders über seine in den sechziger und siebziger geschriebene Arbeiten kann man sagen, dass diese Werke durch ihre Kultur, durch ihr geistiges Niveau von den primitiven Beiträge, lieber /besser gesagt Broschüren der fünfziger Jahren in grossem Masse abwichen und Szabó wurde ab Mitte der sechsziger Jahren auch für die westlichen Wissenschaftler zu den beachteten Partnern gerechnet. Diese relative vorteilhafte Züge waren nicht nur seinen persönlichen Eigenschaften, sondern auch der Änderungen der politischen Lage zu danken. Doch die Kontinuität mit der Betrachtung der fünfziger Jahren fehlt nicht in seinen späteren Arbeiten. Vereinfacht können wir sagen, dass seine Rechtstheorie die eine, im Rahmen des Regimes relative konservative Rechtsphilosophie des Kadar-Regims war. Szabó war kein Reformer. Wie der Rechtstheorie von Wyschinski die Rechtsphilosophie des Stalinismus war, so war die Rechtstheorie von Szabo die des Kadar-Regims, die der konservatveren Seite des Kadar Regimes. (Die reformistische Seite des Regimes war von den jüngeren Theoretikern, vor allem von Peschka vertraten.)

     Unter den Arbeiten von Szabó zuerst sollen wir die berühmte und berüchtigte Monographie “Die bourgeois Rechtsphilosophie in Ungarn, die in 1955 veröffentlicht wurde. Das Buch zeigt typischerweise die charakteristischen Züge der Theorie von Szabó. Das Positivum des Werkes, dass es das Thema auf Grund reichen Materials, korrekt zitiert bearbeitet hat, deswegens kann man es – mit entsprechender Kritik – auch noch heute benutzen. Doch wichtiger sind die negativen Eigenschaften: seine Kritik ist vorurteilhaft und äusserlich, rechenschaftsfordernd und zurückweisend, der Massstab der Kritik ist die Entfernung, die Distanz vom Marxismus-Leninismus, was durch die Untersuchung der oft missverstandenen politischen Wirkungen der Theorien – relativ fortschrittliche oder reaktionäre Rolle – ergänzt wird, und so wird die theoretische Kritik überpolitisiert. Szabó hat keinen Versuch gemacht, die eigene Problematik der kritisierten Theorien zu verstehen, er hat den Method der immanenten Kritik nur vereinzelt verwandt. Die gesellschaftliche Veränderungen um die Jahrhundertwende hat er nur als Erscheinungen des Imperialismus verurteilt und er hat auch die neueren theoretischen Antworten imperialistisch bezeichnet. Die soziologische Rechtstheorie löse die bürgerliche Gesetzlichkeit auf, die neukantianische Rechtsphilosophie von Somlo und Moór werde dadurch reaktionär, dass sie die Aufmerksamkeit der Rechtsphilosophie und auch der Juristen vom seienden Recht auf das spekulativ auffindbare Recht, vom Sein auf das Sollen, von der Realität auf die Welt der Irrealität, vom Boden auf den Himmel richten lässt. Szabó selbst hat das Wesen, den theoretischen Inhalt und die Absicht seiner Kritik so zusammengefasst, die idealistische Auffassung vom richtigen Recht(e) ganz und gar abzulehnen, auch die Richtigkeit als philosophische Kategorie zu verwerfen, mit allen Beziehungen dieser Theorie völlig und endlich abzurechnen, so, dass die Losung des richtigen Rechts kann auch noch in einer angeblich marxistischen Interpretation nicht zurückkehren. Diese Absicht von Szabó wurde nicht erfüllt, in Mitte der sechsziger Jahre erschienen die Publikationen in Ungarn, die die Problematik des richtigen Rechts in der marxistischen Rechtstheorie behandelten. Fata sua habet libri /libelli – und so: dieses Buch wurde um 1980 zweitenmal veröffentlicht, und aus der zweiten Auflage ist nur anderthalb Seiten ausgeblieben und zwar diese Zeilen.

Ein wichtiges Buch von Szabo war “Die Auslegung der Rechtsregeln, erschien in 1960. In diesem Buch hat er seien Auffassung auf reiche Fachliteratur gestüzt erörtert. Sein Standpunkt rechtstheoretisch war ziemlich konservativ, stand näher der Theorie von subjektiver Auslegung, mit der Losung der Gesetzlichkeit, mit der Losung der Gebundenheit des Richters zum Gesetz.

     Den rechtstheoretischen Standpunkt von Szabo können wir aus der systematischen Monographie “Das sozialistsche Recht am besten erkennen. In diesem Buch hat er es übernommen, die Problematik der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie, also nicht nur die des sozialistischen Rechts in einer kürzeren, zur Universitätsunterricht geeigneter Form zu erörtern. Abweichend vom Titel, nach einer Einleitung, die heute etwas lächerlicherweise erklärt, dass auch das sozialistsche Recht Recht ist, behandelt der Autor jede allgemeine Fragen des Rechts, die nach der Konzeption des sozialistischen Normativismus den Gegenstand der Rechtstheorie bilden. So behandelt er den Begriff des Rechts, die Beschaffenheit und die Rolle der Rechtsprinzipien, die Gesetzlichkeit, das Gruppieren der Rechtssystemen, die Rechtstypen und die Formen des sozialistischen Rechts, die Rechtsquellen und die Rechtssetzung, die Fragen der Kodifikation (Er war in der Koalitionszeit in der Kodifikatiosnabteilung des Justizministeriums tätig, und so behandelt hier ausführlich auch kodifikationstechnische Fragen), die Struktur und die Arten der Rechtsnormen, die Rechtsanwendung und die Auslegung des Rechts, die Lücken und die Analogie im Recht, die Rechtsverhältnisse, die subjektive Rechte und Rechtspflichten und das System des Rechts, Aufteilung des Rechtssystems, die Rechtszweige.

      Das Recht nach Szabó ist Summe von Verhaltensregeln, die den durch die Produktionsverhältnisse objektiv bestimmten Wille der herrschenden Klasse ausdrücken, deren wirkliche Geltung durch den staatlichne Zwang gesichert wird. Der Rechtsbegriff hat nach ihm zwei Wesenselemente: die ökonomische Bestimmtheit und den Willenscharakter.

Dieser Rechtsbegriff ist ähnlich dem von Wyschinski, auch dieser Rechtsbegriff drückt den Voluntarismus der sozialistischen Normativismus aus. Dieser Voluntarismus hat zwei Dimensionen, eine theoretische und eine politische.

     Was den theoretischen Voluntarismus anbelangt, führt das zur Kommunistischen Manifest zurück, wo auch Marx und Engels sagten, dass das bürgerliche Recht der zum Gestsz erhoben Wille der Bourgeoisie sei, dessen Inhalt gegeben ist in den materiellen Lebensbedingungen dieser Klasse. Diese Formulierung war eine solche politische Losung, die die Terminologie der Rechtsphilosophie des 19. Jahrhunderts – das Recht sei allgemeiner Wille, Volkswille, der Wille der Nation, usw. – gebrauchte, was in einem politischen Dokument noch annehmbar war, aber in der Theorie schon damals problematisch war, und später noch problematischer wurde. Diese Bestimmungen gaben den theoretischen Untersuchungen ein, das Recht als eine psychologische Erscheinung heranzukommen und führten zu unergiebigen Diskussionen darüber, was bedeutet näher dieser Wille. Die Rechtsphilosophie des 20. Jahrhundert, besonders die kritische Analyse von Kelsen hat diese Auffassung, die Willenstheorie des Rechts eindeutig überholt gemacht, aber der sozialistischer Normativismus beharrte dogmatisch noch weiter auf diesem Standpunkt. Sein Dogmatismus war politisch apologetisch und konservativ (im sozialistischen Sinne), was sich besonders bei der Analyse der Allgemeinheit des Klassenwillen ausdrückte.

      Szabó betonte, dass der Klassenwille keine Summe von Individualwillen sei, so er gründe sich nicht auf die Individualwillen in psychologischem Sinne, sondern er sei ein solcher Wille, der die gemeinsamen Interessen der herrschenden Klasse in allgemeiner Form ausdrückt. Die Ausführungen von Szabó entbehren der Eindeutigkeit, er sagte auch nicht, dass es dabei keinen Wille in psychologischem Sinne geht, und er sagte auch nicht, dass es darum geht. Nach Szabó finden den Klassenwille die dazu von der Partei berufene physische Personen auf und drücken ihn aus, der Klassenwille also in diesem Sinne auch psychologisch sei, aber nicht einfach – so Szabó. Er fügte dem noch hinzu, dass dieser Wille nicht willkürlich, sondern allgemein sei, aber er schwieg darüber, was diese Allgemeinheit bedeutet.

    Die Unergiebigkeit dieser Willensaufassung und ihr besonderes Dilemma zeigt die Diskussion, die in der sechsziger Jahren zwischen den beiden jüngeren Rechtstheoretiker, Vilmos Peschka (1929- ) und Mihály Szotáczky (1928-1998) verlaufen ist. Interpretiert man den Klassenwille so, dass er nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Form allgemein ist, dann dieser Wille setzt entweder ein über den Individuen stehendes Klassenbewusstsein, die sozialistische Variation des Volksgeistes, voraus, oder eine bestimmte Quantität als das Mass der Klassenqualität. Der erstere Weg, der Weg – sagen wir jetzt so – des sozialistischen “Volksgeistes wäre für eine marxistische Rechtsphilosophie unannehmbar (doch einige sowjetischen Autoren vertraten etwas solches). Der zweite Weg, der einen bestimmten Mass voraussetzt, bedeutet, dass man das Kriterium der Allgemeinheit der Klassenwille als eine quantitative Frage der Individualwillen in psychologischem Sinne betrachten muss. Diesen Standpunkt vertrat Vilmos Peschka. Dieser Weg führt zu demokratischen Folgerungen, aber theoretisch wirft weitere Problemen auf. In Rahmen der gegebenen Terminologie ist die Bestimmung des Masses problematisch, auf der Ebene der philosophischen Analyse kann man nicht sagen, dass ein irgendwie bestimmter Teil mit dem Ganze gleich ist, dass das den Teil ausdrückende Besondere selbst das Allgemeine ist. Das auszusagen, ist die Allgemeinheit des Willen auch eine psychologische Allgemeinheit, das auszusagen, ist die Allgemeinheit des Willen von Mehrheitsentscheidung abhängig, dazu soll man auf die Ebene des politischen Systems treten, soll man politisch mit der führenden Rolle der Partei brechen, und theoretisch mit der Willenstheorie des Rechts brechen. Dann kommt nämlich die Frage, worin die Allgemeinheit der Interessen und des Willens besteht, worin diese Allgemeinheit sich von der Allgemeinheit der Begriffen, von der Allgemeinheit der Beschreibungen unterscheidet. Diese Frage aber führt dazu, dass die Allgemeinheit der Interessen eine eigene Qualität hat, dass diese Allgemeinheit nicht im vornherein gegeben ist, sondern sie Alternativen hat, also konteingent ist. Auf diesem Weg kommen wir anstatt der Apologie zur theoretischen Grundlegung der Kritik des Systems an.

    Ein dritter Interpretation war die von Szotáczky, der den psychologischen Charakter des Willen konsequent abgelehnt hat. Der Ausdruck Wille ist im diesem Falle nur metaphorisch, das Kriterium seiner Allgemeinheit kann nicht anders sein, als das Entsprechen den gemeinsamen Interessen. Der Klassenwille sei nur inhaltlich allgemein, und es ist indifferent, wieviel individuelle Willen das empirisch wollen. Diese Interpretation ist philosophisch korrekt, aber politisch brauchbar darauf, willkürliche Gesetze zu legitimieren, gesagt, dass sie den allgemeinen Interessen entsprechen.

    Die Funktion der Willentheorie – sie spielt eine wichtige Rolle in der Apologetik. Diese Kategorie des Klassenwillens kann auch die Normativität und die Zwangsanwendung begründen, und zwar unabhängig vom Inhalt der Rechtsnormen: das sozialistische Recht ist Wille, staatliche Wille, deswegens ist es bezwingend; und es ist der Wille der Arbeiterklasse, der Wille der einzigen konsequent fortschrittlicher Klasse oder der Wille des werktätigen Volkes, der Wille der Mehrheit – also legitim.

     Die Kategorie der Klassenwillen vermittelt zwischen den Interessen und den Gesetzen – und diese Konstruktion behindert, direkt danach zu Fragen, ob die Gesetze des sozialistischen Staates den Interessen der empirischen Arbeiterklasse entsprechen.

Deswegens lehnt auch Szabó die Gegenüberstellung des Klassenwillens und der Klasseninteressen ab, und betont er die unbedigte Einheit vom Klassenwillen und Klasseninteressen.


     Nach Szabó sei ein charakteristischer Zug des sozialistischen Rechts seine Progressivität. Diese Progressivität dient dem Deckmantel des Voluntarismus inder Theorie des sozialistischen Normativismus, aber darin steckt auch ein wirkliches Problem: wie man mit Hilfe des Rechts die Gesellschaft gestalten, soziale Reformen durchführen kann.

     Die Gesetzlichkeit: es gäbe keinen allgemeinen Gesetzlichkeitsbegriff, nur bürgerliche und sozialistische Gesetzlichkeit. Szabó ist hier aufrichtig: in der Sozialismus darf man die politische Rechten und Freiheiten nur für den Sozialismus gebrauchen. Der Massstab der sozialistischen Gesetzlichkeit kann die Menschenrechte nicht sein. Szabó lehnt sowohl die bürgerliche Demokratie auch die stalinistische Willkür, den stalinistischen Despotismus ab.

    In den meisten hier nicht behandelten Fragen (Rechtsanwendung, Auslegung, Gesetzgebung, Rechtsverhältnisse, usw.) die Aufassung von Szabó stand dem Gesetszepositivismus des 19. Jahrhundert sehr nahe.

 


 
 

 

2003/2. szám tartalomjegyzéke