Péter Szilágyi
Die ungarische
Rechtsphilosophie nach dem zweiten Weltkrieg. Der sozialistische Normativismus.
In den
ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg in Ungarn ist eine Koalitionsregierung
zustandegekommen. In dieser Regierung nahmen die Kommunisten, die
Sozialdemokraten, die Kleinwirtpartei und die Bauernpartei teil. Diese
demokratische Regierung dauerte bis 1948, dann haben die Kommunisten die Macht
übernommen und das Einparteisystem sowjetischer Art ist zustandegekommen. 1948
war das Jahr der Wende. Diese politische Entwicklung bestimmte in grossem Masse
auch die Lage und der Wandel der ungarischen Rechtsphilosophie. In der
Koalitionszeit erschienen noch die neuen Arbeiten der Rechtsphilosophen der
Vorkriegszeit (Moór, Barna Horváth und István Bibó). Von Moór wurde eine Kleinmonographie
veröffentlicht: Die Probleme der Rechtsphilosophie (1946), und ein Buch mit dem
Titel Zwischen gestern und morgen, das seine in diesen Jahren geschriebene
Abhandlungen beinhaltete; von Horváth erschienen einige Beiträge, darunter der wichtigste war
sein Beitrag Demokratie und Recht. Sie haben schon über die wissenschaftliche
Tätigkeit von Moór und Horváth gehören, so möchte ich jetzt einige Worte nur
über Bibó sagen.
Bibó István (1911-1979) war der Schüler von
Horváth, er begann seine wissenschaftliche Tätigkeit als Rechtsphilosoph und
Völkerrechtler, habilitierte 1940 bei Horváth. Er wurde aber in dieser Zeit
schon Politikwissenschaftler, und als ein solcher wurde er eine berühmte und
hervorragende Figur des ungarischen geistigen Lebens. Seine wissenschaftliche
Tätigkeit hatte in dieser Zeit ihre Glanzperiode. Bibó hatte später für sich
selbst eine Grabinschrift geschrieben, die lautete: Er lebte 1945-1948. Er
beschäftigte sich in dieser Zeit unter anderem mit der
Lage, mit dem Elend der ost-mitteleuropäischen Kleinstaaten, mit der Krise der
ungarischen Demokratie. Sein wichtigstes Werk aus dieser Zeit ist seine
akademische Antrittsvorlesung, Die Gewaltenteilung damals und heute. In diesem
Beitrag entwickelte er das heraus, dass die Gewaltwenteilung als eine
gesellschaftliche – politische Technik auch auf die Bereiche angewandt werden
sollen, wo die Gefahr der Machtkonzentration auftritt. Als solche Bereiche
erwähnte er die staatliche Wirtschaft, die Kultur und Propaganda (die
Massenkommunikation – könnten wir heute sagen) und die Technokratie. Gleich
nach dem Krieg sind natürlich auch solche rechtswissenschaftliche und
rechtsphilosophische (richtiger: rechtstheorethische) Beiträge – vor allem
Übersetzungen – hervorgekommen, die den Marxismus sowjetischer Art, den von
Wyschinski im Geist Stalins interpretierte Marxismus darstellt haben. Diese
rechtstheoretische Auffassung trat zuerst nur die eine der Rechtsphilosophien
auf, aber schon damals leugnete sie nicht, dass sie perspektivisch auf Ausschliessllichkeit
Anspruch erhebt. Die Kritik an die bürgerliche, an die sogenannte bourgeois
Rechtsphilosophie wurde immer gröber, jene Rechtwissenschaftler, die sich dem
neuen Kurs nicht angepasst haben, wurden durch administrativen Massnahmen von
den Universitäten entfernt. So nach dem Jahre der Wende wurde die mit Namen
Wyschinski geprägte stalinistische und vulgarmarxistische Rechtswissenschaft,
der sogenannte sozialistische Normativismus ausschliesslich, noch dazu, fast
bis Ende der fünfziger Jahren in seiner rein und hart stalinistischen Form.
Sozialistischen Normativismus nennt man jene rechtsphilosophische
Auffassung, die sich in der Sowjetunion vor allem infolge der Tätigkeit von A.
J. Wyschinski ausgestaltet ist und er wurde herrschende Theorie zuerst in der
Sowjetunion und später in den staatssozialistischen Ländern sowjetischen Typus.
Der sozialistische
Normativismus ist eigentlich eine positivistische Rechtsauffassung, er is eine
besondere Art des Rechtspositivismus.
Wie es bekannt ist, die
rechtsphilosophische Richtungen kann man auf zwei grosse Gruppen aufteilen: auf
die naturrechtlichen Auffassungen und auf den Rechtspositivismus. Der
wichtigste Unterschied zwischen den beiden grossen Richtungen wird in dem
sogenannten Trennungsthesis formuliert: die Rechtspositivistischen Auffassungen
trennen zwei Frage, die Frage, was das Recht ist, wie es ist, und die Frage,
welches /wie das richtige, gerechte Recht ist. Die Naturrechtler knüpfen diese
beiden Fragen zusemmen: das Recht ist nur das, was gerecht ist.
Die
Rechtspositivisten erklären also das Sein des Rechts, den rechtlichen Charakter
mit irgendeinen Fakten. Auch innerhalb des Rechtspositivismus gibt es weitere
Unterschiede, darunter zwei besonders sind wichtig. Der eine bezieht sich
darauf, auf welche Fakten sie den Rechtsbegriff, den rechtlichen Charakter
zurückführen. Auf diesem Grund kann man den etatistischen-normativistischen
Rechtspositivismus und den empirischen-soziologischen Rechtspositivismus
unterscheiden. Die etatistischen-normativistischen Positivisten den rechtlichen
Charakter führen darauf zurück, das das Recht von einer Autorität, in der Regel
von der Staat, von einem staatlichen Organ gesetzt ist. Zu dieser Gruppe des
Rechtpositivismus gehören unter anderen Austin, der Gesetzespositivismus des
19. Jahrhunderts, die neukantianische Rechtstheorie, vor allem Kelsen und auch
der sozialistischer Normativismus. Die Vertreter des empirischen Positivismus
führen den rechtlichen Charakter entweder auf irgendwelche menschliche
Verhalten (auf Raum-zeitliche Realitäten, wie sie sagen) zurück, wie die
Verhalten der Richter, die Verhalten der Rechtsgenossen, oder auf psychische
Erscheinungen, auf psychophysische Realitäten, wie Anerkennung, Rechtsgefühl
der Rechtsgenossen, usw. Nach einigen Autoren bilden diese letztgenannte
psychologische Auffassungen eine eigene Gruppe, nach einer anderen Auffassung
kann man auch sie in den empirisch-soziologischen Positivismus einordnen.
Meiner Meinung nach ist diese letztere Meinung treffender, denn kann man die
psychische Erscheinungen, Bewusstseinszustände direkt nicht beobachten,
feststellen, nur mittels der Beobachtung des Verhaltens.
Der zweite
Unterschied innerhalb des rechtspositivistischen Theorielager bezieht sich auf
die Aufgabe der Rechtsphilosophie. Die radikale oder konsequente Positivisten
wie Kelsen meinen so, dass die Frage nach der Richtigkeit, Gerechtigkeit des
Rechts eine solche Frage sei, was man wissenschaftlich nicht behandeln und
beantworten kann, weil die Antworten von Weltanschauung abhängig seien. Die
sogenannten gemässigten Positivisten dagegen meinen so, dass die
Rechtsphilosophie sich auch mit der Frage nach der Richtigkeit des Rechts
beschäftigen soll, weil diese Frage sehr grosse praktische Bedeutung hat und auch
wissenschaftlich behandelt werden kann, auch die Werturteile können rational
begründet werden. Dieser Standpunkt war unter anderen von H.L.A.Hart vertreten.
Der sozialistische Normativismus – wie wir das sehen werden – in seiner reinen Form hat die Frage nach der Richtigkeit des Rechts abgelehnt, aber einige spätere Vertreter dieser Richtung versuchten, den sozialistischen Normativismus mit der Problematik der Bewertung des Rechts, mit der Problematik des richtigen Rechts zu ergänzen. Diese Bestrebungen haben aber zu der Auflösung des sozialistischen Normativismus beitragen.
In dem Prozess, in dem der sozialistische Normativismus herrschend
geworden ist, spielte die erste Unionskonferenz der Rechtswissenschaftler (Wort
für Wort: Arbeiter der Rechtswissenschaft) in 1938 eine entscheidende Rolle. In
dieser Konferenz hielt Wyschinski das Referat. Ich glaube, dass es bekannt ist,
dass Wyschinski nicht nur Theoretiker, sondern auch ein Rechtspraktiker des
Stalinismus war. Er war Generalstaatsanwalt der Sowjetunion unter Stalin,
zwischen 1935-1939, während des grossen Terrors und er war der Staatsanwalt in
den grossen politischen Prozessen wie der Buharin Prozess. Er ist 1954
gestorben. Die genannte Konferenz war in kurzer Zeit nach dem Buharin Prozess:
der Prozes, der sogenannte dritte Moskauer Schauprozess war in März 1938, die
Konferenz in Juli 1938.
Wyschinski in seinem Referat verurteilte die früher anerkannten
sowjetischen Rechtstheoretiker wie Reisner, Stucka und Pasukanis, und er gab
einen Rechtsbegriff, der den sozialistischen Normativismus charakterisierte.
Hier möchte ich
einige Worte sagen über diesen erwähnten Rechtstheoretiker.
Reisner, Stucka, Paschukanis. Sehr vereinfacht: sie waren die
Vertreter des empirischen Positivismus,
Der im Referat von Wyschinski formulierte Rechtsbegriff enthaltete die
wichtigsten, am besten bezeichnenden Eigenarten des sozialistischen
Normativismus verdichtet, und er galt in der institutionalisierten, offiziellen
Rechtstheorie der staatssozialistischen Staaten in zwei Jahrzenhten als Dogma.
[“… Definition
des Rechts vertreten wurde, die heute auch bei uns von allen fortschrittlichen
Juristen als die einzige wissenschaftliche anerkannt wird."]
Dieser
Begriffbestimmung lautete: "Das Recht ist die Gesamtheit der
Verhaltensregeln für das menschliche Verhalten, die von der Staatsgewalt als
der Macht der in der Gesellschaft herrschenden Klasse festgesetzt werden, sowie
der Gewohnheiten und Regeln des Gemeinschaftslebens, die von der Staatsgewalt
sanktioniert werden. Sie werden mit Hilfe des Staatsapparates zwangsweise zum
Schutz, zur Stärkung und Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse und
Zustände, die der herrschenden Klasse genehm und vorteilhaft sind,
verwirklicht." Von dieser allgemeinen Definition des Rechts wird das
Sowjetrecht durch den folgenden Zusatz abgegrenzt: "Das Sowjetrecht dient
dem Schutz, der Stärkung und Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse
und Zustände, die dem werktätigen Volke, den Arbeitern, den Bauern und der werktätigen
Intelligenz des Sowjetlandes genehm und vorteilhaft sind."
Diese Definiton
enthaltet drei Elemente, namentlich
a) Das Recht ist ein
Normensystem;
b) das Recht geht vom
Staat aus, und seine Einhaltung wird letztlich durch dessen Zwangsgewalt
gewährleistet;
c) inhaltlich ist das
Recht Willensausdruck der herrschenden Klasse, der durch die
Produktionsverhältnisse bestimmt wird.
Diese Elementen
können wir in drei Schlagwörter zusammenfassen: Normacharakter, staatliche
Charakter, Klassencharakter. Was diese Ausdrücke bedeuten, dazu werde ich
später zurückkehren.
Die urspüngliche, mit
Namen von Wyschinski bezeichnete Art des sozialistischen Normativismus galt
eindeutig als die Rechtstheorie des Stalinismus. Nach der Destalinisation des
Khrustschow - Kurs haben der aktualpolitische Inhalt und die aktualpolitische
Funktion des sozialistischen Normativismus sich verändert, etwas feiner wurden,
seine theoretische Struktur, theoretische Hauptmerkmale haben sich kaum
verändert. Zu diesen Hauptmerkmalen gehört vor allem seine Normativismus.
Der Gebrauch des
Ausdruckes Normativismus dient (in vorwiegend polemischer Akzentuierung) in der
rechtstheoretischen und rechtsmethodischen Diskussion zur Bezeichnung einer
Richtung des Rechtsdenkens und Rechtswissenschaft, die das Recht allein als
einen gegenüber dem Tatsächlichen abgeschlossenen Komplex geltender Normen (i.
S. erlassener Gesetzesregeln) begreift und die Aufgabe der Rechtswissenschaft
nur darin sieht, diesen Normenkomplex unter Anwendung der Mittel der Logik zu
analysieren, in seinem Aussagegehalt festzustellen, und durch Rückführung auf
allgemeinere rechtslogische Begriffe und Denkfiguren zu systematisieren.
Dementsprechend sei die Aufgabe der Rechtswissenschaft nur das, den Stoff des
Rechts, d.h. die positiven Rechtsregeln, vermittels dieser Begriffe, Formen und
Figuren logisch-systematisch zu ordnen, zu entfalten und handhabbar zu machen.
Die Fragen nach der Zusammenhang von Recht und sozialer Wirklichkeit, nach dem
Vorgang der Rechtsbildung und –fortbildung, nach Grund und Legitimation des
Rechts wurden aus der rein normativen rechtswissenschaftlichen Betrachtung
methodisch ausgeschlossen. Gleichwohl wurde eingeräumt, dass jedes Sollen
letzlich nur aus einem Sein (Setzung, Willensakt) hervorgeht und die letzte
Norm, die die Geltung der vorausgehender Normen legitimiert, nicht eine
wirkliche, geltende, sondern nur eine vorausgesetzte, hypothetische Norm sein
kann. Eine wesentliche Grundlage des Normativismus ist die Gleichsetzung von
Recht und Gesetz. Gesetz und gesetzliche Regeln stellen für den Normativismus
nicht den Versuch dar, Recht vollziehbar zu machen, sondern sie sind das Recht.
Die Beziehung von Gesetz und Recht (ebenso von Recht und Gerechtigkeit) ist
damit aus dem Gegenstandsbereich der Rechtswissenschaft ausgesondert und in den
Bereich von Rechtsethik und Rechtspolitik verwiesen: Rechtswissenschaft ist
normative Gesetzeswissenschaft. Ausgeklammert bleibt für den Normativismus
ferner das Problem der Rechtsverwirklichung und der Vorgang der Rechtsbildung
und -fortbildung. Erst und nur die fertige, bereits gesetzte und ‘geltende’ Norm ist der Gegenstand
rechtswissenschaftlicher Bearbeitung, und sie wird in dieser Bearbeitung auf
sich gestellt, rein als Norm betrachtet, aus dem intentionalen Zusammenhang von
Recht und Rechtsverwirklichung und sowie von Recht und sozialer
Lebenswirklichkeit gelöst (wenngleich der Zusammenhang als solcher nicht
geleugnet wird). Der Normativismus reduziert jede konkrete Ordnung auf
Gesetzesregeln: alles Recht und alle Ordnung wird zum Inbegriff von
Rechtsregeln. [Böckenförde nyomán, majdnem szószerinti. In Hist
Wbuch d PhiloBd6.932-933.]
Also: Der Normativismus hat zwei Elemente: Rechtsbegriff und Aufgabe der Rechtsphilosophie. Deer Normativismus setzt einen bestimmten Rechtsbegriff voraus, aber bedeutet mehr. Die reinste Form dieses Normativismus war die Reine Rechtslehre von Hans Kelsen, der sozialistische Normativismus hat sich in einigen Zügen von jener unterscheidet. Der sozialistische Normativismus hat aus den Forderungen der Kelsenschen Reinheit die Ablehnung, die Zurückweisung, die Verneinung des Naturrechts und der Bewertung des Rechts ausdrücklich und entschlossen angenommen, (so gesagt: die Frage nach dem richtigen Recht ist nicht richtig – Szabó), dagegen dürfte und konnte er die theoretische Untersuchung der gesellschaftlichen Zusammenhänge des Rechts wegen seiner marxistischen Anrufen und Berufungen, wegen seiner marxistischen Verpackung erklärt nicht zurückweisen. So präsentiert er eine pseudogesellschaftliche Erklärung, deren zentrale Ausdrücke, Schlüsselbegriffe die Interesse und der Wille der Arbeiterklasse ist. Die Folge dieser pseudogesellschaftliche Erklärung war die Ablehnung der Soziologie und auch die der Rechtssoziologie als “bourgeois Pseudowissenschaften”. Wegen der Unterlassung der wirklichen und inhaltlichen Untersuchung und Analyse der seienden gesellschaftlichen Zusammenhänge und Verhältnisse kann man seinen marxistischen Charakter mit Recht bezweifeln, sogar auch die Meinung entbehrt nicht jeder Grundlage, dass der marxistischer Normativismus contradictio in adiecto ist. Ich möchte mich jetzt nicht mit der Frage beschäftigen, ob dieser Normativismus wie und weit marxistisch oder sozialistisch ist, ich bemerke nur, dass das Gebrauch des Adjektivs “sozialistisch” durch das Engagieren /die Verpflichtung seiner Vertreter für den Staatssozialismus sowjetischen Typus begründet wird.
Die weiteren Eigenschaften des sozialistischen Normativismus
können wir in Schlagwörtern in folgenden zusammenfassen:
Anfangs
der fünfziger
Jahren waren die den sozialistischen Normativismus vertretenen
umfassenden rechtstheoretischen Werke vor allem Übersetzungen aus dem Russischen und Lehrmaterialien
nach dem Muster der sowjetischen Lehrbüchern, deren Autoren György Antalffy,
Pál Halász, Imre Szabó und Tibor Vas waren. Sie waren die bekannten Vertreter
dieser Richtung. Der Umstand, die Lage, dass die Rechtsphilosophie ancilla
politicae, Magd der Politik wurde, begünstigte nicht die grössere Monographien,
wegen der häufigen politischen Veränderungen. Die kürzere Beiträge richteten
sich nach den schnell wechselnden politischen Erwartungen, so haben sie sehr
wenigen theoretischen Wert. Zur Lage der Rechtwissenschaft und auch der
Rechtsphilosophie gehörten die mit politischen Absichten organisierten
Diskussionen, die auch der Dramaturgie von Kritik und Selbstkritik nicht
entbehren. Solche Diskussionen waren unter anderen über das Wirtschaftsrecht
und über die konstanten Elementen des Rechts. Veranschaulicht die Atmospäre der
Zeit, möchte ich das “Ergebnis” der
letzteren Diskussion darstellen. Es lautet so: Nach der Lehre von Stalin als
der Klassencharakter des Überbaus aufhört, hört er Überbau zu sein. Weil das
Recht Überbau ist, hat es Klassencharakter. Was keinen Klassencharakter hat,
kann kein Recht sein. Die konstante Elemente im Recht können keinen
Klassencharakter haben, also sie können nicht Recht sein. So können wir
feststellen, dass im Recht keine konstante Elemente sind.
Imre SZABÓ (1912-1991) war der am
meisten anerkannte Rechtsphilosoph und der berühmteste Representant der
marxistisch-lennistischen sozialistischen Normativismus während der Zeit des
Staatssozialismus in Ungarn. Er unterscheidet sich von vielen seinen, ähnliche
Positionen bekleidenden osteuropäischen Kollegen vorteilhaft durch breite
Bildung und Sprachkenntnisse. Er ist in Beregszasz geboren, in einer Stadt, die
nach dem ersten Weltkrieg zur Tschechoslowakei gehörte, heute zu Ukraine. Er
studierte in Prag, in der einzigen Demokratie des ost-mitteleuropäischen Raums,
dort bekam er seine breite rechtsphilosophische Bildung und so wurde er der
slawischen Sprachen kundig, was ihn fähig machte, sich über die Ereignisse der
sowjetischen Rechtsphilosophie und des Rechstslebens schnell zu unterrichten
und geschickt zu lavieren. Besonders über seine in den sechziger und siebziger
geschriebene Arbeiten kann man sagen, dass diese Werke durch ihre Kultur, durch
ihr geistiges Niveau von den primitiven Beiträge, lieber /besser gesagt
Broschüren der fünfziger Jahren in grossem Masse abwichen und Szabó wurde ab Mitte
der sechsziger Jahren auch für die westlichen Wissenschaftler zu den beachteten
Partnern gerechnet. Diese relative vorteilhafte Züge waren nicht nur seinen
persönlichen Eigenschaften, sondern auch der Änderungen der politischen Lage zu
danken. Doch die Kontinuität mit der Betrachtung der fünfziger Jahren fehlt
nicht in seinen späteren Arbeiten. Vereinfacht können wir sagen, dass seine
Rechtstheorie die eine, im Rahmen des Regimes relative konservative
Rechtsphilosophie des Kadar-Regims war. Szabó war kein Reformer. Wie der
Rechtstheorie von Wyschinski die Rechtsphilosophie des Stalinismus war, so war
die Rechtstheorie von Szabo die des Kadar-Regims, die der konservatveren Seite
des Kadar Regimes. (Die reformistische Seite des Regimes war von den jüngeren
Theoretikern, vor allem von Peschka vertraten.)
Unter den Arbeiten von
Szabó zuerst sollen wir die berühmte und berüchtigte Monographie “Die bourgeois
Rechtsphilosophie in Ungarn”, die in 1955 veröffentlicht wurde. Das Buch zeigt typischerweise die charakteristischen
Züge der Theorie von Szabó. Das Positivum des Werkes, dass es das Thema auf
Grund reichen Materials, korrekt zitiert bearbeitet hat, deswegens kann man es
– mit entsprechender Kritik – auch noch heute benutzen. Doch wichtiger sind die
negativen Eigenschaften: seine Kritik ist vorurteilhaft und äusserlich,
rechenschaftsfordernd und zurückweisend, der Massstab der Kritik ist die
Entfernung, die Distanz vom Marxismus-Leninismus, was durch die Untersuchung
der oft missverstandenen politischen Wirkungen der Theorien – relativ
fortschrittliche oder reaktionäre Rolle – ergänzt wird, und so wird die
theoretische Kritik überpolitisiert. Szabó hat keinen Versuch gemacht, die
eigene Problematik der kritisierten Theorien zu verstehen, er hat den Method
der immanenten Kritik nur vereinzelt verwandt. Die gesellschaftliche
Veränderungen um die Jahrhundertwende hat er nur als Erscheinungen des
Imperialismus verurteilt und er hat auch die neueren theoretischen Antworten
imperialistisch bezeichnet. Die soziologische Rechtstheorie löse die
bürgerliche Gesetzlichkeit auf, die neukantianische Rechtsphilosophie von Somlo
und Moór werde dadurch reaktionär, dass sie die Aufmerksamkeit der
Rechtsphilosophie und auch der Juristen vom seienden Recht auf das spekulativ auffindbare
Recht, vom Sein auf das Sollen, von der Realität auf die Welt der Irrealität,
vom Boden auf den Himmel richten lässt. Szabó selbst hat das Wesen, den
theoretischen Inhalt und die Absicht seiner Kritik so zusammengefasst, die
idealistische Auffassung vom richtigen Recht(e) ganz und gar abzulehnen, auch
die Richtigkeit als philosophische Kategorie zu verwerfen, mit allen
Beziehungen dieser Theorie völlig und endlich abzurechnen, so, dass die Losung
des richtigen Rechts kann auch noch in einer angeblich marxistischen
Interpretation nicht zurückkehren. Diese Absicht von Szabó wurde nicht erfüllt,
in Mitte der sechsziger Jahre erschienen die Publikationen in Ungarn, die die
Problematik des richtigen Rechts in der marxistischen Rechtstheorie behandelten.
Fata sua habet libri /libelli – und so: dieses Buch wurde um 1980 zweitenmal
veröffentlicht, und aus der zweiten Auflage ist nur anderthalb Seiten
ausgeblieben und zwar diese Zeilen.
Ein wichtiges Buch von Szabo war “Die Auslegung der Rechtsregeln”, erschien
in 1960. In diesem Buch hat er seien Auffassung auf reiche Fachliteratur
gestüzt erörtert. Sein Standpunkt rechtstheoretisch war ziemlich konservativ,
stand näher der Theorie von subjektiver Auslegung, mit der Losung der
Gesetzlichkeit, mit der Losung der Gebundenheit des Richters zum Gesetz.
Den
rechtstheoretischen Standpunkt von Szabo können wir aus der systematischen
Monographie “Das sozialistsche Recht” am besten erkennen. In diesem Buch hat er es übernommen, die
Problematik der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie, also nicht nur die
des sozialistischen Rechts in einer kürzeren, zur Universitätsunterricht
geeigneter Form zu erörtern. Abweichend vom Titel, nach einer Einleitung, die
heute etwas lächerlicherweise erklärt, dass auch das sozialistsche Recht Recht
ist, behandelt der Autor jede allgemeine Fragen des Rechts, die nach der
Konzeption des sozialistischen Normativismus den Gegenstand der Rechtstheorie
bilden. So behandelt er den Begriff des Rechts, die Beschaffenheit und die
Rolle der Rechtsprinzipien, die Gesetzlichkeit, das Gruppieren der
Rechtssystemen, die Rechtstypen und die Formen des sozialistischen Rechts, die
Rechtsquellen und die Rechtssetzung, die Fragen der Kodifikation (Er war in der
Koalitionszeit in der Kodifikatiosnabteilung des Justizministeriums tätig, und
so behandelt hier ausführlich auch kodifikationstechnische Fragen), die
Struktur und die Arten der Rechtsnormen, die Rechtsanwendung und die Auslegung
des Rechts, die Lücken und die Analogie im Recht, die Rechtsverhältnisse, die
subjektive Rechte und Rechtspflichten und das System des Rechts, Aufteilung des
Rechtssystems, die Rechtszweige.
Das Recht nach Szabó
ist Summe von Verhaltensregeln, die den durch die Produktionsverhältnisse
objektiv bestimmten Wille der herrschenden Klasse ausdrücken, deren wirkliche
Geltung durch den staatlichne Zwang gesichert wird. Der Rechtsbegriff hat nach
ihm zwei Wesenselemente: die ökonomische Bestimmtheit und den Willenscharakter.
Dieser Rechtsbegriff ist ähnlich dem von Wyschinski, auch dieser
Rechtsbegriff drückt den Voluntarismus der sozialistischen Normativismus aus.
Dieser Voluntarismus hat zwei Dimensionen, eine theoretische und eine
politische.
Was den theoretischen
Voluntarismus anbelangt, führt das zur Kommunistischen Manifest zurück, wo auch
Marx und Engels sagten, dass das bürgerliche Recht der zum Gestsz erhoben Wille
der Bourgeoisie sei, dessen Inhalt gegeben ist in den materiellen
Lebensbedingungen dieser Klasse. Diese Formulierung war eine solche politische Losung,
die die Terminologie der Rechtsphilosophie des 19. Jahrhunderts – das Recht sei
allgemeiner Wille, Volkswille, der Wille der Nation, usw. – gebrauchte, was in
einem politischen Dokument noch annehmbar war, aber in der Theorie schon damals
problematisch war, und später noch problematischer wurde. Diese Bestimmungen
gaben den theoretischen Untersuchungen ein, das Recht als eine psychologische
Erscheinung heranzukommen und führten zu unergiebigen Diskussionen darüber, was
bedeutet näher dieser Wille. Die Rechtsphilosophie des 20. Jahrhundert,
besonders die kritische Analyse von Kelsen hat diese Auffassung, die
Willenstheorie des Rechts eindeutig überholt gemacht, aber der sozialistischer
Normativismus beharrte dogmatisch noch weiter auf diesem Standpunkt. Sein
Dogmatismus war politisch apologetisch und konservativ (im sozialistischen
Sinne), was sich besonders bei der Analyse der Allgemeinheit des Klassenwillen
ausdrückte.
Szabó betonte, dass
der Klassenwille keine Summe von Individualwillen sei, so er gründe sich nicht
auf die Individualwillen in psychologischem Sinne, sondern er sei ein solcher
Wille, der die gemeinsamen Interessen der herrschenden Klasse in allgemeiner
Form ausdrückt. Die Ausführungen von Szabó entbehren der Eindeutigkeit, er sagte
auch nicht, dass es dabei keinen Wille in psychologischem Sinne geht, und er
sagte auch nicht, dass es darum geht. Nach Szabó finden den Klassenwille die
dazu von der Partei berufene physische Personen auf und drücken ihn aus, der
Klassenwille also in diesem Sinne auch psychologisch sei, aber nicht einfach –
so Szabó. Er fügte dem noch hinzu, dass dieser Wille nicht willkürlich, sondern
allgemein sei, aber er schwieg darüber, was diese Allgemeinheit bedeutet.
Die Unergiebigkeit
dieser Willensaufassung und ihr besonderes Dilemma zeigt die Diskussion, die in
der sechsziger Jahren zwischen den beiden jüngeren Rechtstheoretiker, Vilmos
Peschka (1929- ) und Mihály Szotáczky (1928-1998) verlaufen ist. Interpretiert man
den Klassenwille so, dass er nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Form
allgemein ist, dann dieser Wille setzt entweder ein über den Individuen
stehendes Klassenbewusstsein, die sozialistische Variation des Volksgeistes,
voraus, oder eine bestimmte Quantität als das Mass der Klassenqualität. Der
erstere Weg, der Weg – sagen wir jetzt so – des sozialistischen “Volksgeistes” wäre für eine marxistische
Rechtsphilosophie unannehmbar (doch einige sowjetischen Autoren vertraten etwas
solches). Der zweite Weg, der einen bestimmten Mass voraussetzt, bedeutet, dass
man das Kriterium der Allgemeinheit der Klassenwille als eine quantitative
Frage der Individualwillen in psychologischem Sinne betrachten muss. Diesen
Standpunkt vertrat Vilmos Peschka. Dieser Weg führt zu demokratischen
Folgerungen, aber theoretisch wirft weitere Problemen auf. In Rahmen der
gegebenen Terminologie ist die Bestimmung des Masses problematisch, auf der
Ebene der philosophischen Analyse kann man nicht sagen, dass ein irgendwie
bestimmter Teil mit dem Ganze gleich ist, dass das den Teil ausdrückende
Besondere selbst das Allgemeine ist. Das auszusagen, ist die Allgemeinheit des
Willen auch eine psychologische Allgemeinheit, das auszusagen, ist die
Allgemeinheit des Willen von Mehrheitsentscheidung abhängig, dazu soll man auf
die Ebene des politischen Systems treten, soll man politisch mit der führenden
Rolle der Partei brechen, und theoretisch mit der Willenstheorie des Rechts
brechen. Dann kommt nämlich die Frage, worin die Allgemeinheit der Interessen
und des Willens besteht, worin diese Allgemeinheit sich von der Allgemeinheit
der Begriffen, von der Allgemeinheit der Beschreibungen unterscheidet. Diese
Frage aber führt dazu, dass die Allgemeinheit der Interessen eine eigene
Qualität hat, dass diese Allgemeinheit nicht im vornherein gegeben ist, sondern
sie Alternativen hat, also konteingent ist. Auf diesem Weg kommen wir anstatt
der Apologie zur theoretischen Grundlegung der Kritik des Systems an.
Ein dritter
Interpretation war die von Szotáczky, der den psychologischen Charakter des
Willen konsequent abgelehnt hat. Der Ausdruck Wille ist im diesem Falle nur
metaphorisch, das Kriterium seiner Allgemeinheit kann nicht anders sein, als
das Entsprechen den gemeinsamen Interessen. Der Klassenwille sei nur inhaltlich
allgemein, und es ist indifferent, wieviel individuelle Willen das empirisch
wollen. Diese Interpretation ist philosophisch korrekt, aber politisch
brauchbar darauf, willkürliche Gesetze zu legitimieren, gesagt, dass sie den
allgemeinen Interessen entsprechen.
Die Funktion der
Willentheorie – sie spielt eine wichtige Rolle in der Apologetik. Diese
Kategorie des Klassenwillens kann auch die Normativität und die Zwangsanwendung
begründen, und zwar unabhängig vom Inhalt der Rechtsnormen: das sozialistische
Recht ist Wille, staatliche Wille, deswegens ist es bezwingend;
und es ist der
Wille der Arbeiterklasse, der Wille der einzigen konsequent fortschrittlicher
Klasse oder der Wille des werktätigen Volkes, der Wille der Mehrheit – also
legitim.
Die Kategorie der
Klassenwillen vermittelt zwischen den Interessen und den Gesetzen – und diese
Konstruktion behindert, direkt danach zu Fragen, ob die Gesetze des
sozialistischen Staates den Interessen der empirischen Arbeiterklasse
entsprechen.
Deswegens lehnt auch Szabó die Gegenüberstellung des
Klassenwillens und der Klasseninteressen ab, und betont er die unbedigte
Einheit vom Klassenwillen und Klasseninteressen.
Nach Szabó sei ein
charakteristischer Zug des sozialistischen Rechts seine Progressivität. Diese
Progressivität dient dem Deckmantel des Voluntarismus inder Theorie des
sozialistischen Normativismus, aber darin steckt auch ein wirkliches Problem:
wie man mit Hilfe des Rechts die Gesellschaft gestalten, soziale Reformen
durchführen kann.
Die Gesetzlichkeit: es
gäbe keinen allgemeinen Gesetzlichkeitsbegriff, nur bürgerliche und
sozialistische Gesetzlichkeit. Szabó ist hier aufrichtig: in der Sozialismus
darf man die politische Rechten und Freiheiten nur für den Sozialismus
gebrauchen. Der Massstab der sozialistischen Gesetzlichkeit kann die
Menschenrechte nicht sein. Szabó lehnt sowohl die bürgerliche Demokratie auch
die stalinistische Willkür, den stalinistischen Despotismus ab.
In den meisten hier
nicht behandelten Fragen (Rechtsanwendung, Auslegung, Gesetzgebung,
Rechtsverhältnisse, usw.) die Aufassung von Szabó stand dem
Gesetszepositivismus des 19. Jahrhundert sehr nahe.