Helmut Klaere

 

Die Entstehung der Schwurgerichte im 19. Jahrhundert

 

Seit dem 17. Jahrhundert war die Entwicklung in Deutschland immer mehr in die Richtung des „geheimen schriftlichen Inquisitionsprozesses gemeinen Rechts“ gegangen, der schließlich zur Reformbewegung des 19. Jahrhunderts führte. 1635 faßte Benedikt Carpzows die Spruchpraxis des Leipziger Schöffenstuhles und der Leipziger Rechtsfakultät, deren langjähriges Mitglied er war, so zusammen, daß dieses Werk rund hundert Jahre lang gesetzliches Ansehen genoß. Das akkusatorische Prinzip hatte jede Bedeutung verloren; statt dessen wurde das Verfahren in zwei Abschnitte zerlegt, die Generalinquisition, bei der es um Feststellung der Tat und die Ermittlung des Täters ging, und die Spezialinquisition, innerhalb derer Beschuldigte und Zeugen vernommen wurden und unter bestimmten Voraussetzungen auch die Folter zulässig war. Beweisregeln wurden zu zwingendem Recht, die Folter wurde zunehmend auf schwerere Taten beschränkt, hier aber an erleichterte Voraussetzungen geknüpft, und für leichtere Taten wurde sogar der alte Reinigungseid wieder eingeführt. Durch diese Entwicklung wurde der  Richter in erster Linie zum Strafverfolgungsorgan.

 

Während des Absolutismus wurden die letzten Prozeßformalien, die dem Schutz hatten dienen sollen, beseitigt. Die Trennung in General- und Spezialinquisition unterblieb. Der Beschuldigte wurde lediglich einmal, und zwar im Vorverfahren, vernommen. Die Folter wurde aufgehoben, doch damit wuchs die Machtfülle des Inquirenten weiter. Da physischer Zwang zur Erlangung eines Geständnisses nur noch in Form von Prügelstrafen und Arrest angewendet werden durfte, entwickelte sich ein Verfahren psychischen Drucks, dem der Beschuldigte immer schutzloser ausgeliefert war.[1] Der Untersuchungsrichter war vom erkennenden Gericht klar getrennt, und die Urteilstätigkeit ging ganz in die Hand staatlicher Spruchbehörden über, doch das hatte folgenschwere Konsequenzen: Der Untersuchungsrichter faßte die Ergebnisse seines „summarischen“ Verhörs entsprechend seinem Selbstverständnis als Strafverfolgungsorgan in schriftlichen Protokollen zusammen und leitete diese dem Justizkollegium zu, das dann ausschließlich nach Lage der Akten entschied. Häufig las sogar nur ein Mitglied des Kollegiums die gesamten Akten und gab dem Rest des Kollegiums. das dann quasi aus dritter Hand urteilte, zusammen mit seinem Vortrag der seiner Meinung nach wesentlichen Punkte einen Urteilsvorschlag. In dieser Form fand sich der Inquisitionsprozeß noch im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts in den Partikulargesetzen.

 

Nachdem die Franzosen das Rheinland besetzt hatten, wurde die französische Jury bereits im Jahre 1798 in den von Preußen an Frankreich abgetretenen[2] linksrheinischen Gebieten eingeführt und entfaltete sich dort zur Zufriedenheit der Juristen und der Öffentlichkeit.[3].

 

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts standen sich dadurch der Inquisitionsprozeß deutscher Prägung und das zur Zeit der französischen Besetzung in der Rheinprovinz eingeführte französische Strafverfahren – seinerseits beeinflußt vom englischen Strafverfahren - gegenüber, für das Begriffe wie Mündlichkeit, Öffentlichkeit, Anklageverfahren, Geschworenengericht und richterliche Unabhängigkeit charakteristisch waren.[4]

 

 

 

Die ausländischen Vorbilder

 

Wie bereits ausgeführt, gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowohl in England als auch in Frankreich Schwurgerichte, bei denen zwölf Laienrichter selbständig über die Schuldfrage entschieden. Neben grundlegenden Gemeinsamkeiten gab es allerdings auch nicht unerhebliche Unterschiede der beiden Systeme.

 

 

 

1. Das englische Strafverfahren

 

Das angelsächsische Strafverfahren hat sich vom Anklageprozeß altdeutschen Vorbildes schon in früher Zeit weitgehend verselbständigt. Von frühesten Anfängen kannte der englische Strafprozeß den Anklagegrundsatz und das Erfordernis einer mündlichen Hauptverhandlung vor einem Geschworenengericht. Zwei Charakteristika haben sein Wesen bis heute entscheidend geprägt, zum einen die Waffengleichheit der Beteiligten, bei der der Richter als eine Art Schiedsrichter zwischen Anklage und Verteidigung fungiert[5], zum anderen die Idee der Geschworenengerichte in Verbindung mit weitestmöglicher Öffentlichkeit der Verfahren.

 

Andererseits ist die englische Gerichtsverfassung bis heute sehr unübersichtlich. Es gibt trotz strengen Akkusationsprinzips kein behördliches Anklagemonopol, die Zahl erstinstanzlicher Spruchkörper ist sehr groß, und die erstinstanzliche Zuständigkeit ist bei den meisten Straftaten nicht genau bestimmt. Um 1800 kannte der englische Strafprozeß grundsätzlich das summarische Verfahren („summary trial“) für die kleine Kriminalität vor Friedens- und Polizeigerichten und das anklageschriftliche Verfahren („trial on indictment“) vor den Geschworenengerichten.[6]

 

Das summarische Verfahren[7] begann mit der Vorlage einer Strafanzeige durch den Ankläger („prosecutor“), der sein Beweismaterial in einem gesetzlich nicht näher geregelten Ermittlungsverfahren gesammelt hatte. Es war zunächst Sache des Anklägers, seine Beweise meist in öffentlicher Verhandlung dem Friedensrichter vorzulegen, der in der Regel keine eigenen Ermittlungen anstellte. Ebenso konnten der Beschuldigte und sein Anwalt entsprechendes Beweismaterial herbeischaffen. Anschließend konnten die Parteien die gegnerischen Zeugen oder Sachverständigen im Kreuzverhör („cross-examination“) befragen. Der Beschuldigte wurde nicht förmlich vernommen, und außergerichtliche Geständnisse aus dem vorangegangenen Ermittlungsverfahren konnten grundsätzlich nicht verwertet worden, doch stand es dem Beschuldigten frei, sich zu jedem Punkt zu äußern. Da das Beweismaterial ausschließlich von den Parteien aufbereitet wurde, hatte der Richter keine Untersuchungsaufgaben, doch konnte er jederzeit klärende Zwischenfragen stellen. Der „clerc“, ein juristisch ausgebildeter Geschäftsstellenbeamter, der den Friedensrichter fachlich beriet, hielt die Ergebnisse der Beweisaufnahme in Protokollen fest, die dem Beschuldigten vorgelesen wurden und vom Richter beglaubigt werden mußten. In Fällen, in denen die Zuständigkeit des Friedens- oder Polizeirichters gegeben war, endete das Verfahren durch deren Urteil. Stellte sich im Laufe des Verfahrens heraus, daß die Einschaltung einer Laienjury erforderlich war – weil die Sache sich wegen der Schwere der Tat oder der zu erwartenden Strafe für das summarische Verfahren nicht eignete -, setzte der Friedensrichter den Beschuldigten außer Verfolgung[8] oder sprach die Verweisung der Sache ins anklageschriftliche Verfahren aus.

 

Dieses Verfahren konnte zum einen durch schriftliche Anklageerhebung, die sogenannte „information“, zustande kommen, indem der Straffall ohne jede Voruntersuchung sogleich vor das erkennende Gericht gebracht wurde[9]. Eine weitere Möglichkeit war das Verfahren zur Aufklärung zweifelhafter Todesursachen, in dem der „coroner“ eine umfassende Ermittlungstätigkeit entfaltete und das aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen vor das erkennende Gericht führte, und schließlich gab es den Regelfall der Anklage, das Indictment-Verfahren, das mit einem Vorverfahren vor dem Friedensrichter – wie bereits geschildert – begann. Es diente nicht primär der Sammlung von Beweismaterial mit dem Ziel der späteren Verwertung in der Hauptverhandlung, sondern hatte in erster Linie die Aufgabe, den Angeklagten mit dem gegen ihn vorgebrachten Belastungsmaterial bekannt zu machen. Es sollte ihm Gelegenheit zu eigenen Entlastungsbeweisen verschaffen, um so möglicherweise den Beschwernissen einer Hauptverhandlung zu entgehen, diente aber auch der Entscheidung über eine mögliche Untersuchungshaft oder eventuell notwendige andere Zwangsmittel. Endete die Sache durch Überweisung an die Anklagejury, so schickte der Friedensrichter die Protokolle an diese, und die Anklagejury entschied, ob sie den Beschuldigten außer Verfolgung setzen oder die ihr schriftlich vorgelegte Anklage mit den Worten „a true bill“ zur Entscheidung an das erkennende Gericht verweisen wollte. Zur damaligen Zeit war das nicht-öffentliche Verfahren vor der Anklagejury meist sehr kurz und oberflächlich.[10] War der Beschuldigte durch die Anklage-Jury formell in den Anklagestand versetzt und plädierte er mit „nicht schuldig“, begann das eigentliche Erkenntnisverfahren. Der Ankläger gab in knappen Worten den Inhalt der Anklage bekannt und erläuterte kurz die beabsichtigte Beweisführung. Die Anklageschrift selbst bekamen die Geschworenen nicht zu sehen. Sie entschieden ausschließlich aufgrund des in der Hauptverhandlung vorgelegten Beweismaterials. Demgegenüber hatte der vorsitzende Richter Aktenkenntnis.[11] Anschließend führte der Ankläger sein Belastungsmaterial vor, bezüglich dessen der Verteidiger die Möglichkeit des Kreuzverhörs hatte, während umgekehrt dem Ankläger dieses Recht gegenüber dem Beweismaterial der Verteidigung zustand. Während eine förmliche Vernehmung des Angeklagten nicht vorgesehen war, stand es ihm frei, sich jederzeit zu jedem Beweismittel zu äußern oder ein gerichtliches Geständnis abzulegen.[12]

 

Die Beweisaufnahme war also grundsätzlich Sache der Parteien. Der Richter entschied über die Zulässigkeit eines Beweismittels und über Zulässigkeit oder Nichtzulässigkeit der einzelnen Fragen des Kreuzverhörs; ansonsten hatte er lediglich die Möglichkeit, klärende Zusatzfragen zu stellen, was er bei Fehlen eines Verteidigers oft zugunsten des Angeklagten tat.[13]

 

Nach beendeter Beweisaufnahme erhielten Verteidiger und Ankläger in dieser Reihenfolge Gelegenheit zu ihren Plädoyers, an die sich der Schlußvortrag des Richters anschloß. Der faßte das Ergebnis der Beweisaufnahme für die Geschworenen noch einmal zusammen, machte dabei auf die seiner Meinung nach entscheidenden Punkte aufmerksam und legte im übrigen großes Gewicht darauf, die Geschworenen über die nach Lage des Falles einschlägigen Beweisregeln zu informieren. Dabei stützte er sich gewöhnlich auf eigene Notizen, die er sich während der Beweisaufnahme als Gedächtnisstützen angefertigt hatte. Dem Schlußvortrag des Richters folgte die geheime Beratung der Geschworenen, die bereits seit Beginn der Verhandlung von der Umwelt strengstens abgeschirmt waren.[14] In ihrem Beratungszimmer standen ihnen weder die amtlichen Verhörprotokolle noch die schriftliche Anklage zur Verfügung, doch durften auch sie sich auf private Gedächtnisnotizen stützen. In öffentlicher Sitzung verkündete der Obmann der Geschworenen dann ohne Angabe von Gründen den Urteilsspruch „Schuldig“ oder „Nicht schuldig“. Lautete er auf schuldig, entschied anschließend der Richter über das entsprechende Strafmaß.[15]

 

Das englische Beweisrecht lag und liegt etwa in der Mitte zwischen einer gesetzlichen Beweistheorie, wie sie für den gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß deutscher Prägung bezeichnend ist, und dem Grundsatz freier richterlicher Beweiswürdigung, wie ihn die deutsche Reichs-Strafprozeßordnung von 1877 vom französischen Recht übernommen hat. Während die gemeinrechtlichen Beweisregeln dem Richter den Wert eines bestimmten Beweismittels bindend vorschreiben und ihm eine differenzierte Abwägung der Beweise im Einzelfall versagen, gibt es im englischen Recht im wesentlichen Beweisausschlußregeln, die die selbstverantwortliche freie Schlußfolgerung nicht behindern und ihm die Möglichkeit freier Beweiswürdigung lassen.[16] Die Beweisregeln disziplinieren nicht den Richter, sondern befassen sich mit den Beweisunterlagen selbst, indem sie das Beweismaterial ausscheiden, das für ein zuverlässiges Urteil erfahrensgemäß unbrauchbar ist oder wegen großer Gefahrenquellen zumindest bedenklich erscheint. Während der Richter also die unabhängigen Geschworenen weder rechtlich noch faktisch zwingen kann, aus einem bestimmten Beweismittel einen ganz bestimmten Schluß zu ziehen oder dies zu unterlassen, kann er es verhindern, daß die Geschworenen sich mit diesem Beweismittel überhaupt befassen. Ohne die Beweisregeln erschöpfend zu behandeln, soll hier die Feststellung ausreichen, daß die wichtigste Grundregel die „best evidence rule“ ist, die besagt, daß das beste Beweismittel, das die Natur des Falles zuläßt, wenn es zu haben ist, beigebracht werden muß. Nur wenn man es nicht haben kann, muß das nächstbeste herangezogen werden.[17] Von grundlegender Bedeutung ist die Unterscheidung von Originalbeweis einerseits und nichtoriginalem, abgeleitetem oder überliefertem Beweis andererseits. Hauptanwendungsgebiet der „best evidence rule“ ist das Verbot abgeleiteter Beweise. Verlangt wird aber nur die im Einzelfall bestmögliche Relevanz. Ist originärer Beweis nach Lage des konkreten Falles erwiesenermaßen nicht möglich, ist der Rückgriff auf abgeleitete Beweise zulässig, hinsichtlich derer das englische Recht keine Gradunterschiede kennt.[18]

 

 

 

2. Das französische Strafverfahren

 

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ähnelte die geschichtliche Entwicklung des französischen Strafprozesses weitgehend der des deutschen Strafverfahrens. Auf dem Hintergrund des römisch-kanonisch-fränkischen Rechts hatte sich auch hier ein an starre Beweisregeln gebundenes, heimliches, schriftliches und nicht-kontradiktorisches Inquisitionsverfahren entwickelt. Der Beschuldigte war bloßes Untersuchungsobjekt und weitgehend der Willkür eines allgewaltigen Gerichts preisgegeben. Gesetzlich verankert wurde dieser Inquisitionsprozeß durch verschiedene königliche Verordnungen.[19]

 

Die Gedanken der Aufklärung führten zur Revolution des Jahres 1789. Mit der absolutistischen Staatsform mußte zugleich die ihr „kongeniale Prozeßform“[20] des Inquisitionsverfahrens fallen. Deutlich von englischen Rechtsformen beeinflußt – allerdings ohne die Grundlage eines in Jahrhunderten gewachsenen Rechts – schuf die Revolution einen völlig neuen Strafprozeß, der unter den Leitideen öffentlicher Verhandlung, des Rechts auf Verteidigung, der Mitwirkung von Laienrichtern, kontradiktorischer und mündlicher Hauptverhandlung sowie der Idee freier Beweiswürdigung stand. Folter und alle Verdachtsstrafen wurden beseitigt.[21]

 

Mit fortschreitender Zeit wurden die Grundsätze allerdings immer mehr verwässert. Die Reaktion des französischen Gesetzgebers gegen die in den ersten Revolutionsjahren überhastet erfolgte Übernahme englischer Rechtseinrichtungen fand ihren gesetzlichen Abschluß in Napoleons „Code d’Instruction Criminelle“ von 1808. Zusammen mit dem materielles Recht betreffenden „Code Pénal“ trat er am 1.1.1811 in Kraft und galt in seinen Grundzügen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts.[22] Er regelte einen Mittelweg zwischen dem Verfahren des „Ancien régime“ und dem englischen Vorbildern entlehnten Prozeß der frühen Revolutionsjahre. In ihm wurde das Vorverfahren weitgehend den Prinzipien des alten Inquisitionsverfahren – also geheim, schriftlich, nicht-kontradiktorisch und ohne besondere Verteidigungsgarantien – angepaßt. Das Hauptverfahren dagegen sollte in stärkerem Maße von den Ideen unmittelbar-mündlicher und kontradiktorischer Hauptverhandlung geprägt sein.

 

Dieser „Code d’Instruction Criminelle“ von 1808 wurde zum entscheidenden Vorbild der deutschen Reform des 19. Jahrhunderts. Während in einem ersten Buch Befugnisse und Aufgaben der gerichtlichen Polizei beschrieben werden, befaßt sich ein zweites mit Zuständigkeiten und Funktionen der Gerichte. Das Strafverfahren ließ sich jedoch klar in drei Abschnitte aufteilen[23], ein Vorverfahren, ein Zwischenverfahren und ein Hauptverfahren.

 

Das rein inquisitorisch ausgestattete Ermittlungs- oder Vorverfahren verfolgte vor allem den Zweck, die Entscheidung über die öffentliche Anklage vorzubereiten und für die spätere Hauptverhandlung Beweise zu sammeln. Bei Verbrechen war die Voruntersuchung durch den Untersuchungsrichter zwingend vorgeschrieben, bei Vergehen fakultativ möglich. Der Untersuchungsrichter hatte eine merkwürdige Doppelstellung: in seiner Ermittlungsfunktion war er Mitglied der „police judiciaire“ und stand als echtes Strafverfolgungsorgan unter der Dienstaufsicht der Staatsanwaltschaft; gleichzeitig war er aber Mitglied der Ratskammer, die über die Zulässigkeit der Anklage entschied, und insofern auch unabhängiger Richter. In seinen Initiativen war er von der Staatsanwaltschaft abhängig, doch bei seinen konkreten Ermittlungen an Anträge und Auffassungen der Staatsanwaltschaft nicht gebunden.

 

Nach der gerichtlichen Voruntersuchung kam es zu einer Art Zwischenverfahren, in dem geprüft wurde, ob aufgrund der bisherigen Beweisergebnisse ein Hauptverfahren eröffnet werden sollte und welches Gericht zuständig ist. Auch dieses Verfahren war geheim und schriftlich. Zunächst entschied die Ratskammer bei Verbrechen, ob die Sache an den zuständigen Anklagesenat verwiesen werden sollte, doch da man dieses Verfahren als zu zeitraubend empfand, wurden deren Kompetenzen durch Gesetz vom 17.07.1856 auf den Untersuchungsrichter übertragen.[24] Der Anklagesenat entschied dann darüber, ob der Beschuldigte formell in den Anklagestand versetzt werden sollte und sprach die Verweisung an das zuständige Schwurgericht aus. Aufgrund dieser Verweisung mußte die Staatsanwaltschaft eine Anklageschrift verfassen, bei der sie sachlich an die Erkenntnis des Anklagesenats gebunden war.

 

Im Gegensatz zu dem inquisitorisch ausgestalteten Vor- und Zwischenverfahren wurde das Hauptverfahren des französischen Strafprozesses und sein Mittelpunkt, die Hauptverhandlung, wegen ihrer angeblichen Ähnlichkeit mit dem englischen Verfahren häufig gelobt, doch im Bereich des Beweisrechts blieb er hinter seinem englischen Vorbild entscheidend zurück: Nach Art. 342 Abs. 3 CIC verlangt das Gesetz von den Geschworenen keine Rechenschaft darüber, wie sie zu ihrer Überzeugung gelangt sind und schreibt ihnen keine Regeln vor, von denen sie im Einzelfall abhängig machen sollen, ob ein Beweis ausreicht. Sie sollen sich nur selbst befragen und im Innersten ihres Gewissens erforschen, welchen Eindruck die vorgebrachten Beweise auf sie gemacht haben.[25] Diese Vorschrift richtete sich eindeutig gegen die gesetzlichen Beweistheorien des traditionellen Inquisitionsprozesses, zugleich freilich gegen das englische System der Beweisausschließungsregeln, die mit dem neuen Verständnis volksrichterlicher Unabhängigkeit als nicht vertretbar angesehen wurden.[26] Da das Beweisrecht keiner Regelung unterlag, wurde auch das im englischen Beweisrecht so bedeutungsvolle und bei uns bis heute umstrittene Problem des Zeugens vom Hörensagen mit keinem Wort erwähnt. Hörensagenbeweis ist im französischen Strafprozeß als zwangsläufige Folge bis heute grundsätzlich zulässig.[27]

 

Für die Aburteilung von Verbrechen war das Schwurgericht vorgesehen, ein periodisch zusammentretendes Spruchorgan beim Appellationsgericht, das aus fünf – später drei – Berufsrichtern und 12 Laienrichtern bestand. Noch vor der eigentlichen mündlichen Verhandlung mußte eine nicht-öffentliche Vorverhandlung des Assisenpräsidenten oder des von ihm beauftragten Richters mit dem Angeklagten stattfinden, bei dem sich der Assisenpräsident ergänzend zu den ihm zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig bekannten Vorakten und zur Vorbereitung der Hauptverhandlung einen persönlichen Eindruck vom Angeklagten verschaffen konnte, diesem Gelegenheit geben sollte, auf neue Beweise, Lücken in der vorangegangenen Untersuchung und Mängel des bisherigen Verfahrens aufmerksam zu machen und er über das Recht informiert werden sollte, einen Verteidiger hinzuziehen oder einen Pflichtverteidiger zu erhalten. Unterblieb dies, war Nichtigkeit des ganzen späteren Verfahrens die Folge. Mindestens 24 Stunden vor Beginn der Hauptverhandlung mußten ihm die Zeugen- und Geschworenenlisten zugänglich gemacht werden.

 

Nachdem dann aus der 36 Geschworene umfassenden Sessionsliste die endgültige Urteilsjury der 12 Geschworenen gebildet war, begann die öffentliche Hauptverhandlung. Nach der Vernehmung des Angeklagten zur Person und der Vereidigung der Geschworenen wurden der Verweisungsbeschluß des Anklagesenats und die staatsanwaltschaftliche Anklageschrift verlesen. Dann erläuterte der Assisenpräsident nochmals mündlich die in der Anklageschrift enthaltenen Vorwürfe, und auch der Staatsanwalt erhielt nochmals Gelegenheit, die Anklage und das Beweismaterial zu erörtern. Erst danach mußten die im Sitzungssaal versammelten Zeugen aus dem Verhandlungszimmer hinausgeschickt werden. Daß sie dann später nur getrennt vernommen werden durften, war demnach eine Vorsichtmaßnahme, die weitgehend ins Leere lief.[28]

 

Die dann folgende Beweisaufnahme lag ausschließlich in den Händen des Vorsitzenden. In aller Regel erfolgte nach der Vernehmung des Angeklagten das Verhör der Zeugen. Berufsrichter, Staatsanwalt und Geschworene durften – in dieser Reihenfolge – unmittelbar Fragen an die Zeugen stellen, sofern ihnen vom Vorsitzenden das Wort erteilt wurde; die Beschuldigtenseite durfte Zusatzfragen nur durch den Mund des Vorsitzenden stellen. Darüber hinaus durfte der Vorsitzende im Rahmen der Gesetze, aber dann notfalls auch gegen sein Kollegium, alles tun, was ihm zur Aufdeckung der Wahrheit erforderlich schien, also die Reihenfolge der Beweisaufnahme gestalten, nicht geladene Zeugen hören, verfahrensverzögernde Anträge der Beteiligten zurückweisen usw. Nachdem der Vorsitzende den Abschluß der Beweisaufnahme festgestellt hatte, begann das Debattierungsverfahren. Nacheinander erhielten der Verletzte, der Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger die Möglichkeit ausführlichen Plädierens. Der Angeklagte selbst hatte das letzte Wort. In einem Schlußvortrag faßte der Assisenpräsident die in der Hauptverhandlung vorgebrachten Beweise nochmals übersichtlich und anschaulich zusammen und erteilte den Laienrichtern die nötige Rechtsbelehrung. Diese Darstellung sollte zwar unparteiisch sein und sich jeder persönlichen Stellungnahme enthalten, doch liegt auf der Hand, daß starke Richterpersönlichkeiten hier einen starken Einfluß ausüben konnten. Im übrigen hatte der Präsident den Geschworenen detaillierte schriftliche Fragen vorzulegen, über die die Jury zu beraten und abzustimmen hatte.

 

Die Beratung der Jury war zwar geheim, doch konnte das Beratungszimmer jedermann – mit Ausnahme des Präsidenten selbst, der es nur auf Ersuchen der Geschworenen und nur in Begleitung von Staatsanwalt und Verteidiger betreten durfte – mit schriftlicher Erlaubnis des Präsidenten betreten. Die Jury durfte zwar keine Zeugenprotokolle in ihr Beratungszimmer mitnehmen, wohl aber private Gedächtnisstützen, den Verweisungsbeschluß des Anklagesenats, die staatsanwaltschaftliche Anklageschrift mit ausführlichem Ermittlungsergebnis sowie alle Sachverständigen-, Augenschein- und Geständnisprotokolle. Auch die Jury konnte ihre Entscheidung demnach weitgehend mit dem Inhalt der schriftlichen Vor-Akten abstimmen.[29]

 

Ihr Abstimmungsergebnis gab die Jury in öffentlicher Verhandlung, aber zunächst in Abwesenheit des Angeklagten bekannt. Erst wenn von der Möglichkeit des Berichtigungsverfahrens seitens des Assisenhofes kein Gebrauch gemacht wurde, wurde die Entscheidung der Jury nochmals in Anwesenheit des Angeklagten verlesen. Bei einem Nicht-Schuldig hatte der Präsident ihn freizusprechen und die Freilassung anzuordnen, bei einem Schuldspruch konnte das Richterkollegium die Sache entweder einstimmig zur nochmaligen Verhandlung vor eine neue Jury verweisen oder eine bestimmte Strafe festsetzen.

 

 

 

 

 

 

3. Die Unterschiede der beiden Schwurgerichtssysteme

 

Die Ausgestaltung des englischen und des französischen Jury-Verfahrens wies um die Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem folgenden wesentlichen Unterschied auf: In England faßte der Gerichtsvorsitzende - wie auch noch heute - nach Abschluß der Beweisaufnahme und der Plädoyers in seinem "summing up" den gesamten Prozeßstoff zusammen, würdigte das Beweisergebnis und nahm zu der rechtlichen Seite des Falles Stellung. Nicht selten deutet noch heute der englische Schwurgerichtsvorsitzende auch seine Ansicht über den Inhalt des zu fällenden Urteils an, muß dann jedoch hin zufügen, daß seine Auffassung die Geschworenen nicht bindet[30].

 

Demgegenüber hielt sich das "résumé" des Vorsitzenden im französischen Schwurgerichtsverfahren von jeder Stellungnahme zur Beweis- und Rechtslage frei. Der Vorsitzende gab lediglich erläuternde Hinweise zum Gesetz. Er stellte im Anschluß an sein "résumé" Fragen an die Geschworenen, die in bestimmter Weise auf den in Betracht kommenden Verbrechenstatbestand gerichtet waren. Ob das "summing up" des englischen Rechts oder das "resumé“ mit anschließender Fragestellung des französischen Rechts zweckmäßiger sei, war in der Diskussion von Anfang an umstritten[31].

 

Die Kodifikation des französischen Strafprozesses im code d'instruction criminelle von 1808 wies dem StA (procureur d'état) eine führende Rolle im Strafverfahren zu; die englische Popularklage wurde nicht übernommen, ebensowenig die Anklagejury. Die Entscheidung über die Zulassung der Anklage wurde in die Hand einer besonderen Anklagekammer (eines beschließenden Gerichts) gelegt. Der kennzeichnende Zug des französischen Strafverfahrens war sonach ein Anklageverfahren, bei dem die Anklage von einer besonderen staatlichen Strafverfolgungsbehörde, der Staatsanwaltschaft, erhoben wurde.[32] Ein weiterer Unterschied bestand in dem oben bereits erwähnten Umgang mit Beweisregeln.

Die literarische Reformbewegung

 

Die Reformdiskussion der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde – neben anderen - entscheidend durch die rechtsvergleichenden Arbeiten von Anselm von Feuerbach und Carl Joseph Anton Mittermaier bestimmt, von denen im folgenden noch wiederholt die Rede sein wird.

 

 

 

1.      Anselm von Feuerbach

 

Anselm von Feuerbach hatte sich bereits im Jahre 1813 mit dem Gedanken des Geschworenengerichts befaßt.[33] Damals schrieb er: „Der Begriff eines Geschworenengerichts kann nicht anders als nach politischen Ansichten bestimmt und entwickelt werden; denn nur Ideen der Staatsweisheit sind es, aus welchen sich bei allen Völkern die Einrichtung der Geschworenengerichte entwickelt, wodurch sie sich befestigt, nach welchen sie sich ausgebildet hat.“[34]

 

Feuerbach wandte sich scharf gegen die damals diskutierte Übernahme des Schwurgerichts in die deutschen Rheinbundstaaten. Während er nach dem Zusammenbruch Preußens der Übernahme des Code Napoléon noch bedenkenlos zugestimmt hatte, waren es 1813 liberale Überlegungen, die ihn vor der Einführung des Schwurgerichts in der französischen Form, nicht des Schwurgerichts schlechthin, warnen ließen.[35]  Eindringlich wies er darauf hin, daß die französischen Schwurgerichte genauso wenig vor Richterwillkür und Kabinettsjustiz schützen könnten wie der verrufene deutsche Inquisitionsprozeß.

 

Die Ansicht, daß die Geschworenen über die Tat, die Richter aber über das Recht zu entscheiden hätten, ist eindeutig französischen Ursprungs[36] und darauf zurückzuführen, daß die nach englischem Vorbild an die Geschworenen zu richtende Frage irrig für eine rein faktische gehalten wurde. Dieser Ansicht trat Feuerbach entgegen, indem er betonte, daß die Frage „Schuldig oder Nichtschuldig“ immer zugleich auch Rechtsfrage ist.[37] Hat der Geschworene aber nicht bloß über Tatsachen, sondern auch über Rechtsbegriffe zu entscheiden, fragt sich, ob der Geschworene auch die Befähigung zur Entscheidung solcher Rechtsfragen hat. Dies sei nicht der Fall, meinte Feuerbach, und verwies auf die Erfahrungen, die man in Frankreich mit der Fragestellung gemacht hatte. Während im englischen System die Frage „Schuldig oder Nichtschuldig“ die Probleme nicht so zutage treten ließ,  löste man in Frankreich ursprünglich die Tatfrage in ihre einzelnen Bestandteile auf, was zu zahlreichen Fehlurteilen und krassen Widersprüchen einzelner Antworten führte. Dies erklärte sich nach Feuerbach durch die Unfähigkeit der Geschworenen zur Entscheidung über die Rechtspunkte in der Tatfrage. Die Einflüsse, die auf die Geschworenen durch den Aissenpräsidenten, die Verteidiger und die Ankläger ausgeübt würden, führe im übrigen auch dazu, daß die Geschworenen gar nicht die wahren Richter seien.[38]

 

Das alles heißt aber nicht, daß Feuerbach ein Gegner des Schwurgerichts schlechthin war, doch war in seinem strafprozessualen Hauptwerk über „Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege“ seine Abneigung gegen das französische Schwurgericht noch gestiegen. Er rügte den Mangel wirksamer Rechtsschutzgarantien für den Angeklagten und verwies darauf, daß unter den neuen Formen der Geist des Inquisitionsprozesses ungestört weiterlebe, ja er meinte sogar, die französische Öffentlichkeit sei „als eine sinnreiche Lösung des scheinbar unauflöslichen politischen Problems zu betrachten, wie es möglich gemacht werden könne, die Öffentlichkeit selbst als eine Hülle für dunkle Heimlichkeiten schicklich zu gebrauchen.“[39]

Demgegenüber zeigen zahlreiche Äußerungen eine Sympathie für das englische Schwurgericht. In England, so meint Feuerbach, werde auch die Jury so aufgefaßt, als was sie juristisch aufzufassen sei, nämlich als ein Beweismittel[40], durch das dem Richter der Schuldbeweis durch die subjektive Überzeugung einer Anzahl von Geschworenen vermittelt und dadurch eine große Bürgschaft für Richtigkeit und Wahrheit einer Entscheidung gegeben werde. Diese Gedanken haben auch in der späteren Juryliteratur eine Rolle gespielt.

 

Im Jahre 1821 erschien der erste Band von Feuerbachs „Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege“. Feuerbach unterschied zwei Arten gerichtlicher Öffentlichkeit, und zwar die „partheiliche“ und die „volksthümliche Öffentlichkeit“. Die „partheiliche Öffentlichkeit“, die die persönliche Gegenwart der Parteien oder ihrer Vertreter verlangt, umschrieb er als den „Mittelpunkt, in welchem gemeinsam alle Strahlen einer vernünftigen Vorstellung von der gerichtlichen Öffentlichkeit sich vereinigen und durch welchen alles übrige erst seine volle Kraft und Bedeutung erhält“[41], während die „volksthümliche Öffentlichkeit“ die Beobachtung der Strafverfahren durch Außenstehende meint. Parteiöffentlichkeit fordert er nicht nur für das Vorverfahren, sondern er ist auch der Meinung, daß bei allen zu späteren Beweiszwecken bestimmten Protokollen zwingend die persönliche Gegenwart der Parteien oder ihrer Vertreter erforderlich ist.

 

Darüber hinaus forderte Feuerbach die Mündlichkeit der Rechtsverwaltung. Wie sehr er sie von der damit nicht zu verwechselnden Parteiöffentlichkeit her verstand, beweist die Tatsache, daß er das Mündlichkeitsprinzip immer nur auf das Verhältnis der Parteien zum erkennenden Gericht bezieht. Die Frage, ob Zeugen oder Sachverständige unmittelbar vor dem erkennenden Gericht erscheinen und aussagen, ist für Feuerbach keine Frage der Mündlichkeit, sondern des „lebendig gesprochenen Wortes“.[42]

 

Am schriftlichen Verfahren kritisiert Feuerbach, daß es zwangsläufig zur Berichterstattung aus den Vorakten führe und die Beteiligten dadurch in ein bloß mittelbares Verhältnis zum Gericht träten[43], doch auch die Mängel des mündlichen Verfahrens verschweigt er nicht. So warnt er vor der gefährlichen „Macht der Rednerkünste und der diese begleitenden Äußerlichkeiten über die Sinne, die Einbildungskraft und die Gefühle, wodurch den Richtern das Gesetz und die Wahrheit aus den Augen gerückt, ihr Verstand geblendet, ihre Neigung bestochen“ werde.[44] Eine sorgfältige Aktenkenntnis des vorsitzenden Richters[45] hielt er demgemäß für wichtig, ebenso wie private schriftliche Gedächtnishilfen aller Beteiligten, einschließlich der Zeugen.[46]

 

1825 legte Feuerbach nach einer vom bayerischen König finanzierten Studienreise in die linksrheinischen Gebiete und nach Frankreich im zweiten Band seiner „Betrachtungen“ einen Erfahrungsbericht vor.[47] Um zu verhindern, daß in Deutschland neben Mündlichkeit und Öffentlichkeit auch eine Vielzahl von Mängeln mitübernommen wurden[48], beschrieb Feuerbach die Mißstände im neuen Prozeß des „Code d’Instruction Criminelle“ anhand praktischer Fälle und stellte den französischen Regeln entsprechende des englischen Rechts gegenüber. Das öffentlich-mündliche Verfahren im französischen Strafprozeß bezeichnete er als eine „die treuherzige Einfalt täuschende Maskerade“[49] und bemängelte insbesondere das Gewicht des Vorverfahrens gegenüber der öffentlich-mündlichen Hauptverhandlung.[50] Der Mündlichkeit und Öffentlichkeit des englischen Verfahrens gab er eindeutigen Vorrang.

 

 

 

2.      Carl Joseph Anton Mittermaier

 

Etwa zwanzig Jahre nach Feuerbach veröffentlichte Mittermaier, der sich zuvor schon häufig zu den drängenden Reformfragen geäußert hatte, seine wohl bekannteste Schrift[51], in der er neben einer sorgfältigen Übersicht über den Stand der deutschen partikularen Gesetzgebung und einer ausführlichen rechtsvergleichenden Darstellung auch das öffentlich-mündliche Verfahren des französischen und des englischen Strafverfahrens gegenüberstellte. Entgegen Feuerbach und seinen früheren Schriften war Mittermaier inzwischen zu der Erkenntnis gekommen, daß anstelle einer bloßen Verbesserung des herkömmlichen Inquisitionsverfahrens eine völlige Neustrukturierung nach ausländischem Vorbild erforderlich sei[52], wobei er dem englischen Vorbild deutlich den Vorrang gab. Beim französischen Konzept bewertete er lediglich die Existenz einer hierarchisch gegliederten Anklagebehörde, die Übersichtlichkeit der äußeren Gerichtsorganisation und die Transparenz des Verfahrens ganz allgemein positiv[53], während er als Hauptfehler neben der mißglückten Jury-Verfassung und dem Prinzip freier Beweiswürdigung insbesondere die fehlende Waffengleichheit der Beteiligten beklagte, die übermächtige Stellung des Gerichtsvorsitzenden sowie das die Anklagebehörde einseitig begünstigende geheime Vorverfahren.[54] Im englischen Prozeß rühmte er an erster Stelle die konsequente Waffengleichheit der Beteiligten, die sich vor allem im Vorverfahren und in der Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht außerordentlich bewährt habe[55], ebenso die neutrale Stellung des englischen Gerichtsvorsitzenden, das englische Beweisrecht mit seinen verschiedenartigsten Beweisausschließungsregeln und die Struktur des Vorverfahrens, hier vor allem das Erfordernis strengster Parteiöffentlichkeit und den Zweck des Vorverfahrens, das der Aufklärung des Sachverhalts und der Entscheidung über die Eröffnung der Hauptverhandlung dient.[56]

 

Während Mittermaier sich in seinen rechtspolitischen Forderungen kaum von Feuerbach unterscheidet, sieht er die Mündlichkeit des Verfahrens deutlich unter dem Aspekt der Wahrheitsfindung und der prozeßpsychologischen Seite. Man habe erkannt, so meint er, daß es die Pflicht der Richter sei, „auf das Gewissenhafteste den Grad der Verschuldung des Falles und dadurch die Individualität des Angeklagten zu würdigen. Hierzu aber genügten die Akten des geheimen deutschen Verfahrens nicht. Das Bedürfnis, die Angeklagten und die Zeugen selbst zu sehen, zu hören, sie zu befragen, drängte sich den Richtern als unabweislich auf und die Überzeugung, daß mündliches Verfahren nothwendig sei, wurzelte immer mehr“.[57]

 

Mittermaier plädiert dafür, daß das Vorverfahren nach englischem Vorbild prinzipiell nur der Entscheidung über die Zulässigkeit einer Anklage dienen solle und im Vorverfahren gewonnene Beweise nur ausnahmsweise der späteren Urteilsfindung zugrunde gelegt werden dürfen. Der Verlesung früherer Geständnisprotokolle widersprach er allerdings nur für den Fall, daß der Angeklagte plausible Gründe für seinen Widerruf vorbringen könne.[58]

 

 

 

III. Die klassischen Untersuchungen über den Ursprung der Jury

 

In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden in  Deutschland die ersten Untersuchungen über den Ursprung der Jury veröffentlicht. Damals wurden zwei Haupttheorien vertreten, die Schöffen- oder Urteilsfindertheorie und die Beweismitteltheorie. Seit den Arbeiten von Rogge und Biener wurde die Urteilsfindertheorie aber zunehmend verdrängt.

 

Die Anhänger der Schöffentheorie sahen, weitgehend unter dem Einfluß der französischen Literatur, in der Beteiligung des Volkes an der Rechtsprechung das Wesensmerkmal der Jury und ignorierten die Tatsache, daß die altgermanischen Schöffengerichte eine Unterscheidung von Tat- und Rechtsfrage nicht kannten und es ursprünglich das Amt der Schöffen war, das Recht zu finden und zu weisen. Vertreter dieser Theorie waren auch die rheinischen Gutachter.

 

Rogge[59] war der erste, der die Jury aus einem Institut des germanischen Beweisrechts herzuleiten versuchte. Er verwarf die Schöffentheorie wegen des Fehlens einer Trennung der Aufgaben und wegen der Rechtsfindungsfunktion der Schöffen. Nach seiner Ansicht waren die Geschworenen aus den altgermanischen Eidhelfern hervorgegangen. Die Anklagejury leitete er aus den Eidhelfern des Klägers, die Urteilsjury aus den Eidhelfern der Beklagten her. Seiner Meinung war die Umwandlung der Eidhelfer des Angeklagten zu Geschworenen auf die Abschaffung des Gottesurteils zurückzuführen, und zwar dadurch, daß die Eidhelfer als nunmehr einziges Beweismittel auch in solchen Fällen in Tätigkeit treten mußten, wo früher ein Gottesurteil entschied, z.B. wenn der Angeklagte nicht die erforderliche Zahl Eidhelfer aufbringen konnte. Die Eidhelfer wurden so ein zweiseitiges Beweismittel über Schuld und Unschuld; damit aber war ihre Verwandlung als Richter vollendet. In Deutschland sei diese Entwicklung durch eine Anordnung Karls des Großen unterbunden worden; er habe nämlich richterliche Gehilfen an die Stelle der Eidhelfer treten lassen. Rogge stützte diese Hypothese auf das altdänische Recht, wo es eine Art von Geschworenen gab, die sowohl mit den Eidhelfern wie auch mit den englischen Geschworenen Ähnlichkeit hatten.

 

Gegen diese Herleitung Rogges machte allerdings schon kurz darauf Maurer[60] ein schweres Bedenken geltend. Rogge hatte den Ursprung der Urteilsjury in den Eidhelfern der Beklagten gesucht und dabei nicht berücksichtigt, daß sich diese in einzelnen Fällen neben der Jury, ja sogar im Gegensatz zu dieser bis in die neueste Zeit erhalten hatten. Aufgrund dieser Tatsache stellte Maurer die Hypothese auf, daß der Ursprung der Jury auf englischem Boden liege, wo die Geschworenen aus den Eidhelfern des Klägers hervorgegangen seien. Dieser Erklärung stand die Geschichte nicht entgegen, da die Eidhelfer des Klägers tatsächlich frühzeitig außer Gebrauch gekommen waren.

 

Obwohl Maurers Werk nur wenige Seiten über den Ursprung der Jury enthielt, hatte es in der Folgezeit großen Einfluß auf die Reform des Strafverfahrens. Landsberg[61] schreibt den historischen Abhandlungen Maurers sogar den gleichen Einfluß auf die Reform zu wie Feuerbachs dogmatischen und vergleichenden Studien. Maurer, damals noch rheinischer Praktiker, war ein erklärter Anhänger des Schwurgerichts und als solcher ehrlich genug zuzugeben, daß der Ursprung der Jury auf fremdem, nicht auf deutschem Boden zu suchen sei. Dennoch hatte er keine Bedenken, sich für das Schwurgericht im Sinne einer Heranziehung des Volkes zur Lösung der staatlichen Aufgaben als Gegengewicht gegen die erstarrende Beamtenhierarchie einzusetzen.

 

Phillips[62] hat die Auffassung vertreten, daß es sich bei den Geschworenen um eine Kombination von Eidhelfern und Schöffen handele. Nach ihm ist das Schwurgericht in England nicht aus den Eidhelfern allein, aber auch nicht aus den Schöffen allein, sondern aus einer allmählichen Vereinigung beider miteinander herzuleiten. Die fast unbegrenzte Ausdehnung der Zuständigkeit der Curia Regis seit der Ankunft der Normannen sowie das wachsende Mißtrauen gegen den Eidhelferbeweis sollen dies hauptsächlich herbeigeführt haben. Allerdings hat Biener[63] mit Erfolg die eine der beiden Prämissen bestritten und Phillips entgegengehalten, daß die angelsächsischen Volksgerichte weder vor noch nach der Eroberung Englands durch die Normannen Schöffen, das heißt ständige Volksrichter, besessen haben.[64]

 

Der erste, der über die Unklarheiten der Eideshelfertheorie hinauskam, war F.A. Biener, vor Brunner der weitaus bedeutendste Historiograph des Schwurgerichts. Er vertrat in seinen „Beiträgen zu der Geschichte des Inquisitionsprozesses und der Geschworenengerichte“ zum ersten Mal die später herrschend gewordene Zeugentheorie, die den Ursprung der Jury in einem Beweismittel mit inquisitorischer Wurzel sieht. Brunner selbst hat darin den Hauptverdienst aller vor ihm liegenden Forschung gesehen.[65]

 

Biener sucht den Ursprung des Schwurgerichts[66] in einem eigentümlichen Zeugnis der Gemeinde durch 12 Repräsentanten, von dem sich Spuren bereits in der angelsächsischen Zeit finden. Zu voller Entfaltung gelangte dieses Gemeindezeugnis aber erst, seit Zweikampf und Gottesurteil ihre herrschende Stellung im Prozeß verloren und dafür ein Ersatz gesucht werden mußte. Zunächst wurde dieser Weg nur im Verfahren vor der Curia Regis und den vom König ausgeschickten Justitiarien gewählt, doch da infolge der Zentralisation der Rechtspflege durch die Normannen die Zuständigkeit der Curia Regis nahezu unbegrenzt wurde, wurde dieses Zeugnis bald das Hauptbeweismittel. Wenn die Reiserichter in den Gerichtssaal kamen, versammelten sie die Angehörigen der Grafschaft um sich, aber nicht als richtendes Volksgericht, sondern um aus jeder Hundertschaft 12 Geschworene als Repäsentanten der Gemeinde zu wählen. Das Urteil sprach der Justitiar als Vertreter der Curia Regis. Dies waren die Anfänge des Schwurgerichts in Zivilsachen. Die Geschworenen sprachen also aus eigenem Wissen, doch dieser Zustand war nur von kurzer Dauer, da der enge Verbund zwischen den Gemeindemitgliedern sich löste und ihre Kenntnis der rechtserheblichen Tatsachen seltener wurde. Dadurch verwandelten sich die Zeugen zu Urteilern, denen später auch Beweise vorgeführt wurden. Seit dem 13. Jahrhundert kam es vor, daß die Parteien in Gegenwart der Geschworenen verhandelten.

 

Ebenso wie die Entstehung der Jury in Zivilsachen hängt auch die Entstehung der Rügejury und aus dieser der Urteilsjury in Strafsachen mit der Erweiterung der Kompetenz der Curia Regis und mit der Einsetzung der „justitiarii itinerantes“ zwischen 1164 und 1176 zusammen. Die altenglische Gesamtbürgschaft, d.h. die Verbindlichkeit der Gemeinden, in ihrem Bezirk die Verbrecher der Gerechtigkeit zu überliefern oder allen Schaden zu ersetzen, wurde unter Heinrich II. mit dem Institut der Reiserichter in Verbindung gebracht. Daraus ging die Rügejury hervor. Wie in Zivilsachen wurde das Kollegium der zu befragenden Personen gebildet. Ursprünglich führte die Rüge zur Reinigung durch die üblichen Beweismittel Eid oder Gottesurteil, da das Verfahren gegen den Gerügten dasselbe wie gegen einen Angeklagten war. Auch hier führte aber die Umgestaltung des Beweisrechts eine Änderung herbei, indem mit Abschaffung des Gottesurteils die entstehende Lücke durch das Zeugnis der Rügegeschworenen nach dem Vorbild des Zivilverfahrens ausgefüllt wurde. Bieners Theorie war nun, daß Rügejury und Urteilsjury, die ursprünglich aus denselben Personen bestanden, dann später getrennt wurden.

 

 

 

IV. Die Diskussion über die Einführung der Schwurgerichte

 

In Frankreich hatten nach der französischen Revolution Auswüchse praktizierter Revolutionsrechtsprechung schon nach wenigen Jahren dazu geführt, daß die Verteidigungsgarantien der Betroffenen nicht unerheblich abgebaut und das Vorverfahren dem traditionellen Vorverfahren so weit angeglichen wurde, daß von unmittelbar-mündlicher Hauptverhandlung kaum noch die Rede sein konnte.[67] Auch in den ehemals französisch besetzten Gebieten der Rheinprovinz, die das aus Frankreich übernommene Schwurgerichtsverfahren nach dem Abzug der Franzosen beibehielten, zeigte sich, daß Urteile von Geschworenengerichten nicht unbedingt eine Garantie für inhaltliche Richtigkeit bedeuteten.

 

Nachdem die Diskussion über das Schwurgericht eröffnet worden war, rückten die Teile Deutschlands, in denen seit 1798 das französische Schwurgerichtssystem eingeführt worden war, zunächst in den Mittelpunkt der literarischen Kontroverse.  Während man in Preußen nach Beendigung der Freiheitskriege selbstverständlich davon ausging, daß das französische Recht dem altpreußischen weichen müsse, wollte das rheinische Bürgertum überwiegend das französische Verfahren, das als wertvolle liberale Errungenschaft betrachtet wurde, beibehalten. Eine königliche Kabinettsordre des preußischen Königs vom 20. Juni 1816 bestimmte, daß der Umänderung eine gründliche Untersuchung und Prüfung des Rechtszustandes in den Rheinlanden vorausgehen solle.

 

 

 

1. Das Gutachten der Rheinischen Kommission

 

Zum Zwecke dieser Prüfung und Untersuchung wurde die Einrichtung einer einer Immediat-Justiz-Commission angeordnet. Die Kommission stand erst unter Hardenberg, wurde dann aber im November 1817 unter die Oberaufsicht des früheren preußischen Großkanzlers von Beyme gestellt, für den ein besonderes “Ministerium für die Revision der Gesetzgebung“ geschaffen wurde. [68]

 

Die Leitung des rheinischen Justizwesens wurde für die Dauer ihrer Tätigkeit der Immediat-Justiz-Commission übertragen, die sogleich an die Justizbehörden und alle Kreise der Bevölkerung die öffentliche Aufforderung ergehen ließ, gutachtliche Äußerungen zu erstatten. In kurzer Zeit entstand eine umfangreiche Literatur über die französisch-rheinische Jury, überwiegend im Sinne einer Beibehaltung des französischen Rechts und – so Schwinge – „auf einem erstaunlich niedrigen Niveau“.[69]  Um ein Organ für die Anhänger des französisch-preußischen Rechts zu schaffen und die Arbeit der Immediat-Justiz-Commission zu unterstützen, wurde 1817 das Niederrheinische Archiv für Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtspflege gegründet, das bis 1824 in fünf Bänden erschien und als offiziöses Organ der Immediat-Justiz-Commission angesprochen werden kann. Diese Zeitschrift wurde das Sammelorgan für Abhandlungen und Petitionen zugunsten des Schwurgerichts und der französischen Verfahrensprinzipien.[70]

 

Die Kommission mußte sich vor allem mit Feuerbach auseinandersetzen. Als die Kommission nach zweijähriger Beratung in sechs Hauptgutachten die Resultate ihrer Beratungen vorlegte, handelte es sich im wesentlichen um Erwiderungen auf die von Feuerbach gegen die Jury geltend gemachten Bedenken, ohne daß allerdings die wesentlichen von Feuerbach aufgedeckten Mängel – Einfluß der Regierung auf die Besetzung des Schwurgerichts, Fehlen einer Beweistheorie, Entscheidung nach Stimmenmehrheit – erwähnt wurden.

 

Als ersten Grund für die Beibehaltung des Schwurgerichts führte die Kommission den Wunsch der Provinz und der meisten Gerichtsbehörden an.[71] Sie verwies auf das größere Vertrauen des Volkes zu Geschworenen statt zu Beamtenrichtern und argwöhnte immer eine wenigstens unwissentliche Voreingenommenheit zugunsten der Regierung und zum Nachteil der Angeklagten.[72] Zudem wirke sich das Schwurgericht günstig auf die staatsbürgerliche Bildung des Volkes aus, verstärke die Achtung vor dem Gesetz und verbreite die Rechtskenntnis unter dem Volke mehr als bisher.  Da die Übertretung eines Gesetzes nur dann bestraft werden dürfe, wenn der Täter das betreffende Gesetz verstanden habe oder hätte verstehen können, sei es eine Forderung der Gerechtigkeit, die Entscheidung über die Tatfrage dem gemeinen Verstande zu überlassen. Darüber hinaus war die Kommission der Meinung, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Beweisführung setzten dank ihrer Anschaulichkeit jeden normalen, mit gesunden Sinnen und natürlichem Verstand begabten Menschen in die Lage, eine Überzeugung von der Schuld oder Nichtschuld des Täters zu gewinnen.[73] Geschworene seien in vielen Fällen sogar mehr als der ständige Richter zur Entscheidung der Tatfrage befähigt; sie seien besser imstande, die Verhältnisse des gewöhnlichen Lebens zu würdigen und das Volk schenke ihnen mehr Vertrauen als ständigen, rechtsgelehrten Richtern. Auch spräche für sie die größere Unbefangenheit, mit der sie ihre Entscheidungen fällen.[74]

 

Als das Gutachten vorlag, wandte sich der Geheime Staatsrat Daniels, der bei der Kommission mitgewirkt hatte[75], mit einem Schreiben an Hardenberg, wobei er das Justizelend in den Rheinlanden beklagte und schleunigste Entscheidung verlangte, ob das französische Recht bis zur Revision der preußischen Gesetzgebung weiter bestehen solle oder nicht. Seine Vorstellungen hatten zur Folge, daß das Schwurgericht bis zur Revision der preußischen Gesetzgebung bestehen bleiben sollte. Die einzige Neuerung war die Gründung des rheinischen Kassations- und Revisionshofes in Berlin.[76]

 

 

 

2. Die Schwurgerichtsdiskussion und der Fall Fonck

 

Der Prozeß Fonck war der erste moderne deutsche Sensationsprozeß, der sechs Jahre lang die Gemüter im In- und Ausland beschäftigte. Die öffentliche Meinung in Köln hatte den Kaufmann Fonck und dessen Küfer Hamacher als Mörder des Krefelder Handlungsbevollmächtigten Coenen bezeichnet, der als Beauftragter von Foncks Sozius Schröder die zwischen diesem und Fonck laufenden Geschäftsbeziehungen liquidieren sollte. Kurz vor Abschluß seiner Aufgabe, am 9. November 1816, verschwand Coenen spurlos. Einige Wochen später wurde seine Leiche im Rhein gefunden.

 

Fonck wurde zweimal verhaftet und auf Beschluß der Anklagekammer zweimal wieder freigelassen. Erst nachdem Hamacher aufgrund eines – später widerrufenen - Geständnisses zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt worden war, wurde das Verfahren gegen Fonck wieder aufgenommen. Nach sechswöchiger Verhandlung verurteilte ihn das Schwurgericht in Trier am 9. Juni 1822 zum Tode. Sein Kassationsgesuch hatte keinen Erfolg.

Ab etwa 1821 entstand eine umfassende Literatur zum Falle Fonck, wobei der Streit auch Bedeutung im Kampf für oder gegen das Schwurgericht fand. Man sah, daß im französischen Verfahren der Angeklagte während der Voruntersuchung nicht mehr gegen Härte und Mißhandlung geschützt war als im verrufenen deutschen Inquisitionsprozeß, und daß dort genauso rücksichtslos mit allen polizeilichen Kniffen auf das Geständnis hingearbeitet wurde wie hier. Etwa die Hälfte der Schriften zum Prozeß Fonck nahm prinzipiell zum Schwurgericht Stellung, in der Regel aber nur beiläufig und ohne tieferes Eingehen auf Vorzüge und Nachteile. Die Anhänger Foncks erklärten sich nur zu einem Teil prinzipiell gegen das Schwurgericht[77], und auch Fonck selbst nahm, nachdem er wider eigenes Erwarten zum Tode verurteilt worden war, das Schwurgericht in Schutz und schob die Schuld der Nichtbeobachtung der Verfahrensvorschriften zu: „Wären die in den Rheinprovinzen geltenden Gesetze in der gegenwärtigen Sache von allen Beamten, die darin wirkten, mit dem Pflichtgefühle geehrt worden, das ihnen, so lange sie bestehen, jeder Bürger ohne Unterschied, um so mehr also jeder beamtete Bürger schuldig ist, so wäre ich unter dem Schutze eben dieser Gesetze gegen alle die Frevel gesichert gewesen, die so viele Jahre an mir verübt wurden; gegen die zügellose Willkür, womit so manche Beamte die bestimmten Verfügungen jener Gesetze in dieser Sache verhöhnten, hätte mich aber das preußische Landrecht und die preußische Criminalordnung ebensowenig als jede andere Gesetzgebung schützen können.“[78]

 

Während das französische Schwurgericht nur von einigen rheinischen Schriftstellern verteidigt wurde, waren gerade die namhaftesten und bedeutendsten Autoren[79], die sich über den Fall Fonck äußerten, der Überzeugung, daß die Grundidee des Schwurgerichts gut sei und der Prozeß Fonck nur gegen die französische Jury spreche. Zachariae meinte, es sei „ein wahres Unglück für die ewig gute Sache einer gesetzmäßigen Freiheit, daß wir die Gewährleistungen, welche die britische Verfassung für die öffentliche Freiheit und für die der Einzelnen enthält, erst durch das Mittel der französischen Verfassung und so mehr oder weniger entstellt näher und lebender kennengelernt haben.“[80] Zu den wesentlichen Forderungen gehörte eine andere Ausgestaltung der Voruntersuchung, die Beseitigung des Resumés durch den Assisenpräsidenten, Einstimmigkeit, Angabe der Entscheidungsgründe und deren Bekanntgabe.[81]

 

Von den rheinischen Schriftstellern erklärte sich nur ein einziger gegen das Schwurgericht.[82] Die anderen – und zwar sowohl Anhänger als auch Gegner Foncks – wollten, daß das Schwurgericht der Rheinprovinz erhalten bliebe. Foncks Anhänger behaupteten, der Fehlspruch sei darauf zurückzuführen, daß die Geschworenen durch die öffentliche Meinung irregeleitet worden seien[83], und Benzenberg forderte als Konsequenz die Einführung des Begründungszwangs für Schwurgerichte. Besonders scharf gegen alle Verbesserungsvorschläge sprach sich der Düsseldorfer Physikprofessor Brewer aus, der in seinem Buch über den Prozeß Fonck eine neue Rechtfertigung des Schwurgerichts gab. Brewer, ein Gegner Foncks, konstatierte 1823, daß „nach langem hartnäckigen Kampfe ... letztlich die Wahrheit über alle Künste der Lüge und Bosheit gesiegt habe“, daß die rheinische Gerichtsverfassung eine schwere Probe bestanden und über alle gegenwärtigen und künftigen Feinde gesiegt habe.[84] Brewer führt aus: „In der höheren Hinsicht nun, die großen Vorzüge der Öffentlichkeit und des Geschworenen-Gerichtes zu zeigen, will ich die Verhandlungen dieses merkwürdigen Rechtsstreites von seinem Ursprunge an nochmals in gedrängter Kürze darstellen. Leider! (oft entfiel bei diesem Gedanken die Feder meiner Hand) werde ich es nicht ausführen können, ohne zugleich die Schuld eines Verbrechers zu beweisen, der als Mensch doch immer unser Mitleid, und dessen tiefgebeugte Familie die Hochachtung und Verehrung aller Rechtschaffenen verdient ... Da aber jene wüthende Partei, deren unsinniges Geschrei schon Jahre lang unsere Ohren betäubt, selbst jetzt ihre Meinung dem wirklich erfolgten Ausspruche der Geschwornen, worauf sie sich früher immer berufen, nicht unterwerfen will; da sie sogar dieses große Institut, welches gerade hier seinen schönsten Triumph gefeiert, ihrem boshaften Eigensinne geopfert zu sehen wünscht, so habe ich, selbst auf die Gefahr eines Vorwurfs von Härte und Unmenschlichkeit hin, den man mir machen könnte, diesen schwierigen und traurigen Theil meiner Arbeit, Fonck’s Schuld zu beweisen, ebenfalls übernommen.“[85]

 

Vor allem ein Brief Feuerbachs[86] hat dann entscheidend für Fonck gewirkt. In dem Prozeß sah Feuerbach „nicht nur eine abscheuliche Ungerechtigkeit an einem rein unschuldigen Menschen, sondern auch die gründlichste Erbärmlichkeit der französischen Geschworenengerichte und der französischen Criminal-Prozedur an das Tageslicht gefördert“.[87] Wenn Fonck schuldig sei, so meinte er, „gibt es auf dieser Welt keine Wahrheit, so ist alle Gewißheit Täuschung und selbst die Erfahrung Betrug.“[88]

 

Im Gebiet des preußischen Landrechts bedurfte jedes Todesurteil der Bestätigung durch den Monarchen; allerdings war die Nichtbestätigung und Freilassung des Angeklagten kein Akt der Begnadigung, sondern eine Niederschlagung des Verfahrens ohne Urteilsspruch.[89] Demgegenüber sah für das Gebiet des rheinischen Rechts das dort nach 1815 fortgeltende französische Strafverfahrensrecht ein Bestätigungsrecht des Monarchen nicht vor, zumal mit den dortigen Geschworenengerichten das königliche Bestätigungsrecht schon dem Grundsatz nach schwer vereinbar war. Bereits am 9. August 1816 stellte der preußische König in einer Kabinettsordre fest, daß auch im Gebiet des rheinischen Rechts „kein Urteil auf Todesstrafe oder lebenswierige Gefangenschaft ohne Allerhöchste unmittelbare Bestätigung vollstreckt werden dürfe“.[90] Daß das Eingreifen nicht nur die Vollstreckung, sondern bereits das Zustandekommen eines Urteils verhindern sollte, zeigte sich im Falle Fonck, bei dem außerhalb des Rheinlands die Auffassung verbreitet war, daß das von der erregten öffentlichen Meinung erzwungene Geschworenenurteil gegen ihn ein Justizirrtum war. Nachdem das Trierer Geschworenengericht den Angeklagten zum Tode verurteilt hatte, erklärte der König in einer Kabinettsordre vom 28. Juli 1823, er habe sich von der Schuld des Verurteilten nicht überzeugen können und könne das Urteil der Geschworenen nicht bestätigen, so daß der Angeklagte freizulassen sei.[91] Erst mit der Aufhebung des Bestätigungsrechts und des Abolitionsrechts gingen die Eingriffsmöglichkeiten dieser Art in Preußen unter.

 

Festzuhalten bleibt, daß der Prozeß Fonck wesentlich für die Verbreitung der Kenntnis von Schwurgerichtsverfahren gewirkt hat. Unter dem Eindruck des Prozesses bestimmte der preußische König, daß am 1.1.1828 das altpreußische Recht in den Rheinlanden eingeführt werden sollte, ohne die Revision der preußischen Gesetzgebung abzuwarten.  Die rheinische Ständeversammlung erklärte sich allerdings entschieden dagegen und erreichte es, daß die Einführung erneut aufgeschoben wurde. Bis Ende der dreißiger Jahre war die Gefahr der Aufhebung der Schwurgerichte so gut wie beseitigt, und ein letzter Vorstoß aus Berlin zu Beginn der vierziger Jahre hatte keinen Erfolg. 1843 lehnten die rheinischen Provinzialstände einstimmig einen Entwurf ab, der unbestreitbare Vorzüge gegenüber dem französischen Recht besaß, allerdings etwa die Hälfte der Wirksamkeit der Schwurgerichte zugunsten von Zuchtpolizeigerichten eingebüßt hätte.[92]

 

 

 

 

 

 

 

3.      Die politische Bedeutung des Schwurgerichts

 

Der Kampf um die Schwurgerichte blieb keine bloß juristische Angelegenheit. Schon die rheinische Bewegung hatte gezeigt, daß das Interesse für das Schwurgericht weit über die unmittelbar beteiligten Fachkreise hinausreichte. Die überraschende Einmütigkeit der Rheinländer im Streit um die Jury erregte in Deutschland allgemein Aufsehen und erweckte bei allen fortschrittlich Gesinnten den Glauben an die große politische Bedeutung des Schwurgerichts. Die Gedanken Montesquieus, Blackstones und Delolmes, die schon Jahrzehnte zuvor das Schwurgericht als unentbehrlichen Bestandteil jeder konstitutionellen Staatsverfassung bezeichnet hatten, fanden zunehmend Eingang und Verbreitung in Deutschland. Nach Beendigung der Freiheitskriege tauchte auch schon in den Ständeversammlungen der Süddeutschen Staaten das Schwurgericht als später ständig wiederholte Forderung auf. Seit 1819 ist es ein Glaubensartikel der liberalen Partei. Daß der Gedanke der Laienbeteiligung an der Rechtspflege so großen Anklang im deutschen Bürgertum finden konnte, ist wesentlich auch eine Folge der politischen Prozesse, die das schon vorher schwer erschütterte Vertrauen in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Beamtenrichter vollends untergruben und das Widerstreben der Zeit gegen die Allgewalt des Beamtentums verschärften.[93]

 

Die rasche Verbreitung des Gedankens der Teilnahme des Volkes an der Rechtsprechung war eine Folge der veränderten Einstellung zum Staat. Die Staatsauffassung der Aufklärung brachte mit der Hervorkehrung des Individuums eine grundlegende Wandlung. Das Individuum wird aus einem bloßen Objekt zum Subjekt der Staatstätigkeit. Der Bevormundung durch die Beamtenkaste und der ausschließlichen Beamtenherrschaft überdrüssig, beansprucht es selbst aktive Teilnahme an den Funktionen der Staatsgewalt, und zwar gleichmäßig an Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als folgerichtige Durchführung des konstitutionellen Prinzips. Die Mitwirkung an der Rechtsprechung dachte man sich nach dem Vorbilde Englands oder Frankreichs in der Form der Schwurgerichte.

 

Die in den zwanziger und dreißiger Jahren entstandenen politischen Untersuchungen trugen wesentlich dazu bei, das Vertrauen zum gelehrten Richtertum zu untergraben, und festigten im Volk die Überzeugung, daß nur dann eine zuverlässige Gewähr gegen Richterwillkür und Kabinettsjustiz gegeben sei, wenn die Richter an die Mitwirkung von Laien gebunden wären. Nachdem durch die Karlsbader Beschlüsse für alle periodischen Schriften und alle Bücher unter 20 Bogen die Pressezensur eingeführt worden war, wurde jede Rüge über die bei den Demagogenverfolgungen vorgekommenen groben Rechtsverletzungen durch die Zensur gestrichen, was dazu führte, daß die Nachricht von den zahlreichen Willkürakten per Mundpropaganda verbreitet wurde, die jedes Opfer, das sich mangels Öffentlichkeit nicht rechtfertigen konnte, als Märtyrer betrachtete. Was von Willkürakten an den Tag kam, beruhte zwar in aller Regel auf Mutmaßungen und Gerüchten, doch in manchen Fällen lieferten aktenmäßige Darstellungen den Beweis für unglaubliche Pflichtverletzungen und Exzesse im Rahmen der Untersuchung.[94]

 

Als sich 1833 zwei süddeutsche liberale Publizisten, Wirth und Siebenpfeiffer, vor den Landauer Geschworenen wegen ihrer Hambacher Reden zu verantworten hatten, die nach der damaligen Rechtslage zweifellos hochverräterischen Inhalt hatten, hielt der Angeklagte Wirth vor der Jury eine so mitreißende Rede, daß Geschworene, Verteidiger und Öffentlichkeit applaudierten und die Angeklagten freigesprochen wurden. Dieses Urteil ließ die großen Vorzüge und die große Bedeutung des Schwurgerichts für politische Prozesse klar hervortreten. Demgegenüber mißtrauten die deutschen Regierungen dem Schwurgericht und wollten es für politische Verbrechen beschränken oder lieber noch ganz beseitigen. Zwangsläufig lenkte dies die Aufmerksamkeit des Volkes auf den Charakter des Schwurgerichts.

 

Durch eine Kabinettsordre vom 6.3.1821 wurde den Schwurgerichten in Rheinpreußen die Zuständigkeit für die politischen Verbrechen genommen; am 25.4.1835 wurden alle Hochverratsprozesse an das Kammergericht als Ausnahmegericht verwiesen. Im geheimen Schlußprotokoll der Wiener Konferenz vom 12.1834 war ein – an der Weigerung Bayerns gescheiterter – Artikel vorgesehen, in dem es hieß: „In denjenigen Ländern, in welchen das Institut der Geschworenengerichte besteht und seine Wirksamkeit auf politische Verhältnisse ausgedehnt ist, verbinden sich die Regierungen auf dessen Zurückführung in unschädliche Grenzen, oder nach Umständen auf dessen Beseitigung hinzuwirken.“[95]

 

 

 

4.      Das Beweisrecht im Streit um die Jury

 

Seit Beginn der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts hing der Kampf um die Schwurgerichte mit dem Streit um die Beibehaltung oder Abschaffung der gesetzlichen Beweistheorien, dem Streit also zwischen Beweistheorie und freier Beweiswürdigung, eng zusammen.

 

Die überlieferten Beweistheorien waren damals bereits stark erschüttert. Nach Artikel 22 der Carolina konnte eine Verurteilung nur aufgrund eines glaubwürdigen Geständnisses oder aufgrund Beweises durch zwei klassische Zeugen erfolgen. Bloße Indizien genügten nicht zur Verurteilung, berechtigten aber zur Folter. Als die Folter abgeschafft wurde, mußte man dem Richter die Möglichkeit geben, schon auf Indizien zu verurteilen. Die unzulängliche gesetzliche Regelung des Indizienbeweises führte dazu, daß der Richter mitunter gegen seine Überzeugung freisprechen mußte, weil die gesetzliche Beweistheorie ihn zwang; man begann daher, die richterliche Überzeugung in den Vordergrund zu stellen und neben ihr ein im voraus bestimmtes Maß an Beweismitteln zu fordern, die einen Schuldspruch rechtfertigen konnten.[96] Der Schritt, auf die in der Beweistheorie liegende Garantie gegen richterliche Willkür zu verzichten und das richterliche Ermessen freizugeben, wurde zunächst nur von den rheinischen Gutachtern gewagt, die sich damit in Gegensatz zur gesamten damaligen deutschen Rechtswissenschaft stellten.

 

Einer der Hauptgründe, aus dem die Kommission die gesetzliche Beweistheorie verwarf[97], war, daß alle Beweisarten immer nur Wahrscheinlichkeit geben und jeder historische Beweis nur eine Kette von Vermutungen ist, deren Beurteilung letzten Endes in das Ermessen des Richters gestellt ist. Auch Beweistheorien verlassen sich letzten Endes auf die individuelle Überzeugung des Richters, etwa bezüglich der Beweiskraft eines Geständnisses, und bieten gar nicht den Schutz, den sie gewähren sollen. Hinzu kommt, daß keine Beweistheorie vollständig diejenigen Voraussetzungen angeben kann, die zur Entscheidung des Einzelfalles erforderlich sind. Sie geht von der irrigen Auffassung aus, es sei möglich und ihre Aufgabe, im voraus für alle Fälle abstrakt zu bestimmen, wer schuldig ist und wer nicht.

 

Das von der rheinischen Kommission proklamierte Prinzip der freien Beweiswürdigung fand in der deutschen Literatur auf lange Zeit nirgendwo Anerkennung; nur unter der Bedingung, daß man die Beamtenrichter durch Geschworene ersetzte, war man bereit, die freie Beweiswürdigung zuzugestehen. Feuerbach wurde zum tonangebenden Vertreter der Ansicht, die davor warnte, Beamtenrichter nach ihrer freien Überzeugung urteilen zu lassen. Er hatte schon 1813 die Juryfrage mit der Streitfrage „gesetzliche Bindung des Richters in der Beweisfrage oder freie Beweiswürdigung“ verbunden und ausgeführt, daß es nur die eine Wahl gäbe: entweder gesetzliche Bindung des Richters durch Beweisvorschriften oder aber Schwurgerichte; sobald man die Beweisfesseln fallen lasse, werde man aus Rechtssicherheitsgründen zum Schwurgericht hingedrängt.[98]

 

Seit den rheinischen Gutachten hatte sich aber allmählich die Erkenntnis durchgesetzt, daß in Wahrheit nicht die Beweisregel, sondern das freie Ermessen des Richters entscheide und die Garantie, die man in der Beweistheorie gegen richterliche Willkür hatte aufstellen wollen, illusorisch war. Mittermaiers Lehre[99], daß eine qualitative Unterscheidung zwischen direktem und indirektem Beweis nicht existiere und im Grunde alles Indizienbeweis sei, zeigte, daß die Bindung des Richters durch die Beweistheorie nur eine scheinbare war. Andererseits war nach der Abschaffung der Folter eine Erweiterung des Kreises der zulässigen Beweismittel unerläßlich. Drei Sensationsprozesse[100] verstärkten dann das Mißtrauen gegen die Indizienbeweise noch und übertrugen es auf die weitesten Bevölkerungskreise. Fast einmütig lehnte man es ab, den Beamtenrichtern zu gestatten, auf Indizien zu verurteilen. Welcker behauptete,  wenn man den abhängigen Beamten erlaube, auf Indizien, „d.h. nach ihrem subjektiven Meinen zu verurteilen, so gebe man ihnen damit die Ermächtigung zu Justizmorden“[101], und v. Woringen meinte sogar, der Indizienbeweis sei „ein Totschlag an der Gerechtigkeit, denn er gibt dem Subjekte das Urteil, dem Menschen Gewalt über den Menschen, er macht die Objektivität, den Staat, zum Werkzeug des Herrn Kriminalrichters oder Kammer- oder Hofgerichtsrats, der möglicher Weise ein Schnurrenpfeifer sein oder auch eine Hahnenfeder tragen und denken kann: ihr alle sollt meinem Gelüste einmal ein Bene tun“.[102]

 

Die Anhänger der Jury priesen diese als einzig befriedigenden Ausweg. Sie argumentierten damit, daß einerseits die Beweistheorien nicht die erwartete Gewähr gäben, andererseits aber die freie Beweiswürdigung das richterliche Ermessen schrankenlos machen würde. So meinte Mittermaier: „Drehe und wende man sich wie man wolle, - es bleibt nur ein Ausweg: der, Geschworenengerichte einzuführen“.[103] Die Entscheidung für das Schwurgericht war für viele Schriftsteller die Wahl des kleineren Übels; man glaubte, eher die Jury hinnehmen zu können als nach freier Überzeugung entscheidende Beamtenrichter. Daß als Garantie gegen richterliche Willkür möglicherweise auch die Notwendigkeit, Entscheidungsgründe anzugeben, dienen könnte, wurde vor Mitte des 19. Jahrhunderts kaum je erwähnt.[104] Zwar war schon seit der französischen Revolution darüber nachgedacht worden, ob es möglich sei, in einem Verfahren mit freier Beweiswürdigung, wie es für das Schwurgerichtsverfahren üblich sei, ausreichende und sachgemäße Entscheidungsgründe zu geben. Die Überzeugung, daß die Geschworenen durch Gefühl, das der verstandesmäßigen Analyse nicht zugänglich sei, die Richter aber durch den Verstand zur Wahrheit kämen – die Reflexion mithin in der Tätigkeit der Geschworenen überhaupt keinen Platz habe, führte später auch zu dem Vorurteil, daß die Angabe von Urteilsgründen mit der Natur des Schwurgerichts unvereinbar wäre[105], obgleich außer Feuerbach noch eine Reihe anderer Schriftsteller die Auffassung vertraten, der Geschworene müsse sein Urteil ebenso auf dem Wege der Reflexion bilden wie der Richter. Auch Mittermaier vertrat von Anfang an diese Ansicht, und langsam drang die Meinung durch, daß auch die Überzeugung der Geschworenen auf Gründen beruhe und man von ihnen nur deshalb keine Entscheidungsgründe fordere, weil man bei ihnen nicht immer die Bildung voraussetzen könne, die nötig sei, um sich der Gründe klar bewußt zu werden und sie darzulegen. Diese Auffassung war in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts die herrschende.[106]

 

Während also überwiegend die Meinung vertreten wurde, daß im Beamtenrichtertum das Festhalten an der Beweistheorie Garant gegen richterliche Willkür und Kabinettssystem sei – freie Beweiswürdigung mithin die Einführung der Schwurgerichte erforderlich mache –, wurde seit Anfang der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts vereinzelt auch die Auffassung vertreten, man könne Freiheit in der Beweiswürdigung auch ohne das Schwurgericht zulassen. Öffentlichkeit, Mündlichkeit, Entscheidungsgründe und Rechtsmittel seien genügend äußere Bürgschaften gegen Willkür und Unlauterkeit der Richter.[107] Savigny meinte, durch Abschaffung der Beweisregeln werde der Richter nicht von der Verpflichtung entbunden, nach Gründen und Regeln zu urteilen und hiervon Rechenschaft zu geben.[108]

 

 

 

5.      Ansätze eines reformierten Verfahrens vor 1848

 

Als sich Anfang der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts die Zahl der politischen Prozesse häufte, in denen der Mißbrauch inquisitorischer Formen kaum zu übersehen war, wurde in der Bevölkerung der Ruf nach Einführung mündlicher-öffentlicher Verhandlungen immer stärker. In der Folgezeit fanden allmählich erste schüchterne Ansätze des mündlichen Verfahrens noch vor 1848 Eingang in partikulare Reformgesetze.[109]

 

Preußische Entwürfe von 1828, von 1828/29 und der Revidierte Entwurf von 1841 enthielten bereits auf der Basis einer rein inquisitorischen Untersuchung eine mündliche Schlußverhandlung, in der sich die Beteiligten persönlich äußern und Zeugen vernommen werden konnten.[110] Der unter dem seinerzeitigen Justizminister von Kamptz revidierte Entwurf von 1841 war der restriktivste. Er sah lediglich vor, daß „nach dem Schluß der Beratung über den Vortrag des Referenten vor der Abstimmung eine mündliche Verhandlung vor dem erkennenden Gericht stattfinden“ sollte, wenn „entweder demselben die nochmalige Vernehmung des Inquisiten, der Zeugen oder andere Personen notwendig oder zweckmäßig erscheint oder Bedenken über die Schuld oder Unschuld vorhanden sind oder wenn der Inquisit oder sein Verteidiger auf eine solche mündliche Verhandlung angetragen hat“. Auch für den Fall der Mündlichkeit sollte das endgültige Urteil erst nach nochmaligem Vortrag der Referenten gefällt werden.[111]

 

Ausdrücklichen gesetzlichen Niederschlag fand der Vorschlag einer mündlichen Hauptverhandlung erstmals in der preußischen „Verordnung betreffend die Kriminalgerichtsverfassung und das Untersuchungsverfahren in Neu-Vorpommern und Rügen“ vom 18. Mai 1839.[112] Wenngleich auch hier zahlreiche Ausnahmen den Grundsatz teilweise verwässerten, bleibt festzuhalten, daß hier erstmals die Idee einer unmittelbar-mündlichen Hauptverhandlung mit Gesetzeskraft verwirklicht wurde.[113] Das Gesetz vom 17. Juli 1846, das vom preußischen König initiiert und durch den Justizminister v. Savigny deutlich geprägt war[114], bekannte sich dann erstmals zum Prinzip freier Beweiswürdigung und zum Grundsatz mündlicher und öffentlicher Verhandlung.[115] Durch dieses Gesetz wurde auch die Institution der Staatsanwaltschaft eingerichtet. Dem Gesetz waren umfassende Vorarbeiten in dem von Friedrich Carl v. Savigny geleiteten Gesetzgebungsministerium[116] vorausgegangen. In einer amtlichen Denkschrift dieses Ministeriums[117] war zwar die Einführung eines mündlichen und öffentlichen Strafverfahrens mit Staatsanwaltschaft empfohlen, von der Einführung des Schwurgerichts aber - jedenfalls vorerst - abgeraten worden.[118]

 

Auch in Württemberg wurde bereits 1820 der Vorschlag einer mündlichen Schlußverhandlung gemacht, und am 22. Juni 1843 erging ein Gesetz, das in seinen wesentlichen Grundzügen weitgehend dem preußischen Entwurf von 1841 entsprach.[119]

Die Reformbestrebungen in Bayern und Sachsen gingen über die Einführung eines mündlichen Schlußtermins schon früh hinaus. In Bayern hatten Entwürfe von 1828 und 1830 den mündlichen und öffentlichen Anklageprozeß nach französischem Vorbild vorgesehen, doch kam es zu keinem neuen Gesetz, wenngleich die Vordiskussion nach 1848 noch ihre Früchte trug. In Sachsen trug ein Regierungsentwurf von 1842/43 noch deutliche Züge des Inquisitionsprozesses, doch nachdem die Zweite Kammer sich mehrheitlich für die Mündlichkeit der Hauptverhandlung ausgesprochen hatte, zog die Regierung ihren rückschrittlichen Entwurf zurück und versprach die Vorlage eines neuen Entwurfs im Sinne eines mündlichen und öffentlichen Anklageprozesses.[120]

 

Im Großherzogtum Baden wurde der Kommissionsentwurf von 1835, der sich deutlich an das Vorbild des benachbarten Frankreichs anlehnte, in leicht überarbeiteter Form im Jahre 1843 den Ständevertretungen vorgelegt. Mit der Strafprozeßordnung vom 6. März 1845 verwirklichte Baden als erster deutscher Staat den fortschrittlichen Strafprozeß neuer Konzeption. Die Motive zu diesem Gesetz, das den meisten partikularen Strafprozeßordnungen nach 1848 zum Vorbild werden sollte, sahen in der Mündlichkeit der Hauptverhandlung die wichtigste Abweichung vom System des bisherigen Strafverfahrens.

 

Im äußeren Verfahrensgang war das Vorbild des „Code d’Instruction Criminelle“ unverkennbar, doch fand der badische Gesetzgeber beweisrechtlich einen interessanten Kompromiß zwischen der freien richterlichen Beweiswürdigung des französischen Prozesses und den Beweisregeln des Inquisitionsprozesses, indem einige negative Beweisregeln – mit einem Minimum an Beweisanforderungen - formuliert wurden. Allerdings wurde klargestellt, daß auch bei Vorliegen dieser Beweisminima doch wieder die freie richterliche Überzeugung hinzukommen müsse.[121]

6.    Die Diskussion auf den Germanistenversammlungen 1846 und

1847

 

Im Jahre 1846 tagte in Frankfurt eine Germanistenversammlung, deren Zweck die Förderung deutscher Geschichte, deutscher Sprache und deutschen Rechts durch persönliche Fühlungnahme aller für die jeweiligen Gebiete tätigen Gelehrten sein sollte. Eingeladen wurden die namhaftesten und bedeutendsten Gelehrten der Zeit, unter anderem Ernst Moritz Arndt, Beseler, Dahlmann, Falck, Gervinus, die Gebrüder Grimm, Lachmann, Mittermaier, Ranke, Reyscher, Uhland und Wilda. Es war daher kein Wunder, daß die zweitägigen Verhandlungen in ganz Deutschland Aufmerksamkeit erregten und für die Teilnehmer auch deshalb beeindruckend waren, weil sie im prachtvollen Kaisersaal des Römers stattfanden. Bei dieser Versammlung kam das Problem der Jury vermutlich nur deshalb zur Sprache, um den Verdächtigungen derer entgegenzuwirken, die das Schwurgericht aus nationalen Gründen bekämpften. Dahlmann[122] unternahm es, in der Vollversammlung einen Vortrag zu halten, in dem er den nordischen Ursprung des Schwurgerichts aus den alten Volksgerichten Norwegens verfocht, während Michelsen[123] behauptete, den deutschen Ursprung nachweisen zu können. Mittermaier beantragte, zur Untersuchung der Jury-Frage eine Kommission einzusetzen, die auf der nächsten Tagung Bericht erstatten sollte. Ein Jahr später stand das Schwurgericht bei der Lübecker Germanistenversammlung im Mittelpunkt des Geschehens. Mehr als hundert Seiten des Berichts umfassen die Verhandlungen zu diesem Thema. Besondere Aufmerksamkeit fand Mittermaiers Bericht[124] über die Erfahrungen, die man mit dem Schwurgericht in den europäischen Staaten gemacht hatte. Er führte aus, die Erfahrung spreche überall für die Jury, und erklärte, daß Öffentlichkeit und Mündlichkeit notwendig die Einführung der Jury nach sich zögen. Von Einführung der Mündlichkeit ab stehe die Beweistheorie nur noch auf dem Papier, kein Richter gründe seine Entscheidung nur noch auf das in der Beweistheorie angegebene Maß von Beweismitteln. Seine Entscheidung werde nunmehr beeinflußt durch Momente, von denen nichts in der Beweistheorie gesagt sei und die eine Beweistheorie in ihrer Mannigfaltigkeit auch nie erfassen könne, weil „da, wo die Richter auf dem Grund mündlicher Verhandlung urteilen, ihre Überzeugung größtenteils durch Elemente bestimmt wird, die in der Individualität des Angeklagten, der aussagenden Zeugen und in dem Benehmen dieser Personen liegen.“[125]

 

Mit der Einführung des Schwurgerichts werden seiner Meinung nach aber auch die Entscheidungsgründe wertlos. Beim geheimen schriftlichen Verfahren und dessen zersplitternder Beweiswürdigung nach Vorschrift der Beweistheorie lassen sich zwar Entscheidungsgründe geben, die all das enthalten, was im urteilenden Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten hervorgerufen hat. Dieser Totaleindruck ist allerdings ein irrationaler Faktor, der nicht hundertprozentig auf rational aufzählbare Gründe zurückgeführt werden kann. Mittermaier verweist darauf, daß in allen Ländern, in denen die freie Beweiswürdigung mit rechtsgelehrten Richtern eingeführt worden ist, die öffentliche Meinung Schwurgerichte als Garantie für gerechte Urteile verlangt hat, so daß auch er nur den Ausweg: Einführung der Schwurgerichte sieht.[126]

 

Dieser Sinneswandel erregte großes Aufsehen, das noch gesteigert wurde, als sich herausstellte, daß sich alle acht Mitglieder der Kommission für das Schwurgericht entschieden hatten. In der Debatte zeigte sich, daß nicht nur bei Mittermaier, sondern auch bei anderen die Beweisfrage entscheidend für die Zustimmung zum Schwurgericht gewesen war.[127]

 

Bei der Behandlung der beiden anderen Fragen zur Jury, der Qualifikation der Geschworenen zur Entscheidung über die Tatfrage und der „Omnipotence du Jury“ zeigte sich der Einfluß einer damals gerade erst erschienenen Monographie von Leue[128] über die Jury. Unter Hinweis auf Leue trat Jaup dem Haupteinwand der Jurygegner entgegen, die zur Subsumtion der Tat unter das Strafgesetz erforderlichen Rechtskenntnisse könnten nur durch Studium erworben werden.[129] Wie Leue meinte er, alle im Strafrecht vorkommenden Begriffe seien aus bloß faktischen Elementen zusammengesetzt und ließen sich in solche auflösen. Wächter wandte dagegen ein, den Geschworenen fehle nicht nur die erforderliche Einsicht, sondern auch die Unabhängigkeit, die ihnen als Vorzug vor dem Gelehrtenrichterkollegium immer nachgerühmt werde.[130] Jaup meinte demgegenüber, die Geschworenen hätten nichts zu hoffen und nichts zu fürchten.[131]

 

Am deutlichsten zeigte sich der Einfluß Leues in den Verhandlungen über die Allmacht des Schwurgerichts. Helffter[132], der entschiedenste Anhänger dieser Theorie, wies den Geschworenen wie Leue im Gegensatz zu den gelehrten Richtern eine besondere Aufgabe zu. Während die gelehrten Richter nach dem „Buchstaben“ des Gesetzes entscheiden, sollten die Geschworenen ein Urteil über den ganzen Menschen fällen. Die besondere Aufgabe der Jury sei die Repräsentation der „Stimme des Landes“. Helffter meinte, es sei erfolglos, wenn der französische Gesetzgeber die Geschworenen warnt, Rücksicht zu nehmen auf die Strafe, die das Gesetz anordnet. Im Gegenteil habe er der Jury ausdrücklich zu gestatten, „das Gesetz rein menschlich auszulegen und einen Ausspruch zu tun nach den im Volke gewöhnlichen sittlichen Vorstellungen“.[133]

 

Jaup[134] erkannte zwar an, daß im Schwurgericht ein wertvolles Prinzip gesunder Fortbildung des Rechts wirksam sei, doch beanspruchte er mit der Anerkennung dieser Wirksamkeit keine Eigenschaft, die nur dem Schwurgericht eigentümlich wäre. Das Schwurgericht hat für ihn keinen höheren Stand über dem Gesetz, als der ständige Richter seit Jahrhunderten eingenommen hat.[135] Man habe den Gerichtsgebrauch der Gelehrtenrichterkollegien nicht getadelt, wenn sie Gesetzen, die mit Sitte und Denkart des Volkes nicht mehr übereinstimmten, die Gefolgschaft verweigerten, und auch Übergriffe der Geschworenen kämen in der Regel nur dort vor, wo ein Gesetz nicht mehr mit der Zeit übereinstimme; sie seien eine Art Gerichtsgebrauch der Schwurgerichte. Wächter stellte dagegen mit Entschiedenheit fest, das Gesetz müsse gewissenhaft angewendet werden, auch wenn es noch so hart sei. Sonst käme es dahin, daß einzelne zwölf Geschworene sich der Gesamtheit entgegenstellen und das Gesetz nach Willkür brauchen könnten.[136]

 

 

 

7.      Die Entscheidung in der Frankfurter Nationalversammlung

 

Nachdem die Lübecker Germanistenversammlung einen großen Teil der deutschen Rechtswissenschaft in das Lager der Schwurgerichtsanhänger geführt hatte, wurde der Kampf endgültig auf politischem Gebiet entschieden. Der entscheidende Anstoß zur Einführung der Schwurgerichte kam von politischer Seite, und als Verwirklichung einer programmatischen Forderung des deutschen Liberalismus hielt es seinen Einzug in Deutschland.

 

Das Schwurgericht war eine der großen Forderungen der 1848er Revolution, die in allen Sturmpetitionen als eine Selbstverständlichkeit wiederkehrte, und auch in allen Verfassungsentwürfen enthalten war. Schwurgerichte sollten entscheiden in den schweren Strafsachen sowie bei allen politischen und Pressevergehen. In den Motiven zum Entwurf der Grundrechte heißt es ausdrücklich zu dem das Schwurgericht enthaltenen Artikel VIII (§ 38):[137] „Zur Erklärung dieses Artikels werden wenige Bemerkungen genügen; die Notwendigkeit einer Reform unseres Gerichtswesens in der hier eingehaltenen Richtung ist allgemein anerkannt.“ Auch im Verfassungsausschuß sind über § 38 nur wenige Worte gefallen. Die endgültige Fassung des § 38 Abs. 2 im 1. Entwurf der Grundrechte[138] lautete: „Schwurgerichte sollen jedenfalls in schwereren Straftaten und bei allen politischen Vergehen urteilen“; die endgültige Fassung des § 10 Abs. 2 Satz 2 lautete: „Über Preßvergehen wird durch Schwurgerichte geurteilt.“ Da dem Plenum der Frankfurter Nationalversammlung die hervorragendsten Vertreter des deutschen Liberalismus angehörten, war davon auszugehen, daß diese Bestimmungen im Plenum keinen Widerstand finden würden.

 

Erst am 12. Oktober 1848 stand im Plenum die Beratung des Artikels VIII an. Anträge, die Schwurgerichte in allen Strafsachen entscheiden zu lassen, wurden ebenso abgelehnt wie Anträge auf Einführung der Anklagejury nach französischem Vorbild. Der Entwurf der Vorlage für die zweite Lesung der Grundrechte des deutschen Volkes enthielt die Bestimmungen des ersten Entwurfs unverändert, nur war an die Stelle des § 10 Abs. 2 Satz 2 der § 13 Abs. 3 und an die Stelle des § 38 Abs. 2 der § 46 Abs. 3 getreten. Nachdem die Mehrheit für den Kommissionsantrag gestimmt hatte, wurden die Vorschriften mit den Grundrechten am 28. Juli 1848 veröffentlicht. Diese Bestimmungen waren schließlich auch in der Reichsverfassung vom 28.03.1849 enthalten.

 

Die Einführung des Schwurgerichts in den meisten deutschen Ländern ließ nicht lange auf sich warten, und da die Zeit drängte, war das Ergebnis die Übernahme des französischen Vorbildes. Da man keine Zeit zu ruhiger Abwägung und Vergleichung hatte, griff man nach dem nächstliegenden.[139]

 

 

 

Der Rechtszustand nach 1848

 

Die politische Wende des Jahres 1848 brachte auch in der Reform des deutschen Strafverfahrens den entscheidenden Durchbruch. Wenngleich das Verfassungswerk der Frankfurter Nationalversammlung scheiterte, verwirklichten die meisten deutschen Einzelstaaten jedenfalls den Programmpunkt, der die Einführung der Schwurgerichte betraf. Einige Staaten verankerten die Institution des Schwurgerichts jetzt auch in ihren Verfassungen[140]. Die Idee mündlicher Hauptverhandlung fand ihren Niederschlag in den von der Frankfurter Nationalversammlung proklamierten „Grundrechten des Deutschen Volkes“ vom 21. Dezember 1848 und von hier aus Eingang in § 178 der Reichsverfassung vom 28. März 1849, da die Errungenschaften des reformierten Strafprozesses nach dem Willen der Frankfurter Nationalversammlung, der maßgeblich von liberalen Gedanken getragen war, auch durch die neu zu schaffende Reichsverfassung gesichert werden sollten. In der Verfassung der Paulskirche nahmen daher Vorschriften über die Gerichtsverfassung und das Strafverfahren[141] einen wichtigen Platz ein[142].

 

In der Folgezeit überstürzten sich in den deutschen Partikularstaaten die Kodifizierung neuer bzw. die Novellierung bereits bestehender Strafverfahren. In Preußen wurde aufgrund der Ereignisse des Jahres 1848 in der sogenannten oktroyierten preußischen Verfassung vom 5. Dezember 1848[143]  festgelegt, daß bei den mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen und bei Pressevergehen die Entscheidung über die Schuld des Angeklagten durch Geschworene erfolgen müsse.[144] In Ausführung dieser Verfassungsbestimmung wurde die "Verordnung über die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen in Untersuchungssachen" vom 3. Januar 1849[145] erlassen, die durch Gesetz vom 3. Mai 1852 ergänzt wurde.

 

Einer ersten Phase des Überschwangs, in der der Strafprozeß des benachbarten Frankreichs oft nahezu wörtlich übernommen wurde, folgte eine Phase der Ernüchterung, doch um das Jahre 1870 hatten sich fast alle deutschen Einzelstaaten ein neues Strafverfahren – den reformierten Strafprozeß – gegeben. Einige deutsche Partikularstaaten – Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Schaumburg-Lippe und Lippe-Detmold – behielten jedoch den herkömmlichen schriftlichen Inquisitionsprozeß, wenngleich mit diversen Verbesserungen, bis zum Inkrafttreten der Reichs-Strafprozeßordnung bei. In Elsaß-Lothringen, im linksrheinischen Preußen, in Bayern und in Hessen galt bis 1879, ebenfalls vielfach novelliert, das Verfahrensrecht des französischen „Code d’Instruction Criminelle.[146]

 

Während die Gesetze von Sachsen-Anhalt und Lübeck keine Geschworenen vorsahen, wurden Schwurgerichte nach französischem Vorbild eingerichtet im Jahre 1848 in Kurhessen[147] und Bayern[148], im Jahre 1849 im gesamten rechtsrheinischen Preußen[149], außerdem in Braunschweig[150], Hannover[151] und in Württemberg[152], im Jahre 1850 in Österreich[153] ,1851 in Baden[154], 1856 in Frankfurt[155], 1857 in Oldenburg[156], und 1868 in Sachsen[157]

 

Die Erfolge, die das Institut des Schwurgerichts in den Jahren nach 1848 in den deutschen Einzelstaaten errang, wurden jedoch während der Zeit der Reaktion durch Maßnahmen der Regierungen teilweise wieder zunichte gemacht. In verschiedenen Ländern wurde die Kompetenz des Schwurgerichts, namentlich für politische Delikte, wieder eingeschränkt.[158] Österreich beseitigte 1852 sogar die Jury wieder.[159]

 



[1]     Glaser, Julius: Handbuch des Strafprozesses, erster Band, Leipzig 1863, S. 97 ff; Westhoff, Ursula: Über die Grundlagen des Strafprozesses mit besonderer Berücksichtigung des Beweisrechts, Berlin 1953, S. 90 ff.

[2]     Im Friedensschluß zu Basel, 1795.

[3]     Vgl. Glaser, Julius: Die geschichtlichen Grundlagen des neuen Deutschen Strafprozeßrechts, in: Holtzendorffs Handbuch des deutschen Strafprozesses, 1. Band, 1879, S. 3 ff., S. 15f.; Motive zur Strafprozeßordnung von 1877, Anlage 5 (Hahn, Materialien zur StPO,  1. Abtl., S. 460).

[4]     Geppert, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im deutschen Strafverfahren, Berlin / New York 1979., S. 69.

[5]     Insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert führte das allerdings teilweise zu einem so starken Wettkampf, daß die Wahrheitsfindung zu leiden drohte; vgl. Radzinowicz, Leon: A History of English Criminal Law and its Administration from 1750, Volume 1 (The Movement for Reform), London 1948, S. 97 ff.

[6]     Geppert, a.a.O., S. 26.

[7]     Mittermaier, Carl Joseph Anton: Das englische, schottische und nordamerikanische Strafverfahren in ihrer Durchführung in den verschiedenen Gesetzgebungen dargestellt und nach den Forderungen des Rechts und der Zweckmäßigkeit mit Rücksicht auf die Erfahrungen der verschiedenen Länder, Stuttgart und Tübingen 1845, S. 90 ff.

[8]     Dadurch ergab sich die Möglichkeit, bei besserem Beweismaterial erneut anzuklagen. Aus diesem Grund zogen es viele Beschuldigte vor, von sich aus Überweisung ins anklageschriftliche Verfahren zu beantragen; vgl. Geppert, a.a.O., S. 27, Fn. 11 mit weiteren Nachweisen.

[9]     Mittermaier, Englisches Strafverfahren, S. 130 ff.

[10]   Mittermaier, Englisches Strafverfahren, S. 268 ff.

[11]   Wimmer, August: Einführung in das englische Strafverfahren, Bonn 1945, S. 30; Stephen-Mühry: Handbuch des englischen Strafrechts und Strafverfahrens, Göttingen 1843, S. 595.

[12]   Geppert, a.a.O., S. 29.

[13]   Mittermaier, Englisches Strafverfahren, S. 313 und 421.

[14]   Glaser, Geschichtliche Grundlagen, S. 139 f.

[15]   Geppert, a.a.O., S. 30.

[16]   So ausdrücklich Mittermaier, Englisches Strafverfahren, S. 325 f.

[17]   Stephen-Mühry, a.a.O., S. 505; Mittermaier, Englisches Strafverfahren, S. 327.

[18]   Best-Marquardsen: W.M. Best’s „Grundzüge des englischen Beweisrechts“, bearbeitet und mit Anmerkungen und Beilagen über den englischen Prozeß herausgegeben von Heinrich Marquardsen, Heidelberg 1851, S. 83 und S. 312.

[19]   Geppert, a.a.O., S. 41.

[20]   Glaser, Geschichtliche Grundlagen, S. 15.

[21]   Geppert, a.a.O., S. 42.

[22]   1959 wurde der „Code d’Instruction Crimelle“ vom « Code de Procédure Pénale » abgelöst, der die Grundstrukturen des alten CIC unverkennbar fortführt; vgl. Schweikert, Heiko: Zur Reform des Strafverfahrensrechts in Frankreich, in: ZStW 69 (1957), S. 684 ff.

[23]   Hoechster, Ernst Hermann: Lehrbuch des französischen Strafverfahrens, Bern 1850, S. 3.

[24]   Geyer, August: Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafproceßrechts, Leipzig 1880, S. 140 f.

[25]   Vgl. die deutsche Übersetzung dieser Vorschrift bei Geppert, a.a.O., Fn. 148 a, S. 58 f.

[26]   Westhoff, a.a.O., S. 114.

[27]   Geppert, a.a.O., S. 61.

[28]   Von Feuerbach, Paul Johann Anselm: Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit in der Gerechtigkeitspflege, Band II, Gießen 1825, S. 487 f.

[29]   Geppert, a.a.O., S. 57.

[30]   Vgl. hierzu Knittel, Der englische Strafprozeß, Bonn 1968, S. 59 ff., insbes. S. 67 f. m. w. Nachw.

[31]   Vgl. dazu Cramer, Doris: Das französische Schwurgericht, Geschichte und Problematik, Marburger Dissertation 1968, S. 63 ff.

[32]   Roxin, Strafverfahrensrecht, 24. Aufl., München 1995, S. 482.

[33]   Von Feuerbach, Paul Johann Anselm: Betrachtungen über das Geschworenengericht, Landshut 1813 (Unveränderter Nachdruck Leipzig 1970).

[34]   Zitiert nach von Gneist, Rudolf: Die Bildung der Geschworenengerichte in Deutschland, Neudruck der Ausgabe Berlin 1849, Aalen 1967, S. 1.

[35]   Schwinge, a.a.O., S. 7.

[36]   Meyer, Hugo: Die Hauptverhandlung vor den Schwurgerichten, in: Holtzendorffs Handbuch des deutschen Strafprozeßrechts, 2. Bd., Berlin 1879, S. 113 ff.

[37]   Feuerbach, Geschworenengericht, S. 167 ff.

[38]   So auch Schwinge, a.a.O., S. 14.

[39]   Feuerbach, Mündlichkeit Bd. 2, S. III.

[40]   Feuerbach Mündlichkeit Bd. 2, S. 402-414.

[41]   Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit in der Gerechtigkeitspflege, Bd. 1, Gießen 1821, S. 96.

[42]   Feuerbach, Mündlichkeit Bd. 1; S. 199.

[43]   Feuerbach, Mündlichkeit Bd. 1, S. 240.

[44]   Feuerbach, Mündlichkeit Bd. 1, S. 263 f.

[45]   Demgegenüber bemängelte er ausdrücklich die umfassende Akteneinsicht aller Richter und insbesondere der Geschworenen sowie die extensive Handhabung des Vorhalts aus den Akten; vgl. Feuerbach, Mündlichkeit Bd. 2, S. 381 ff.

[46]   Feuerbach, Mündlichkeit Bd. 1, S. 197, 259 ff.

[47]   Feuerbach, Mündlichkeit Bd. 2, 1825.

[48]   So Feuerbach, Mündlichkeit Bd. 2, S. IX f.

[49]   Feuerbach, Mündlichkeit Bd. 2, S. 383.

[50]   Feuerbach, Mündlichkeit Bd. 2, S. 349 ff.

[51]   Mittermaier, Carl Joseph Anton: Die Mündlichkeit, das Anklageprinzip, die Öffentlichkeit und das Geschworenengericht in ihrer Durchführung in den verschiedenen Gesetzgebungen dargestellt und nach den Forderungen des Rechts und der Zweckmäßigkeit mit Rücksicht auf die Erfahrungen der verschiedenen Länder, Stuttgart und Tübingen 1845.

[52]   Mittermaier, Mündlichkeit, S. 1 und S. 223.

[53]   Mittermaier, Mündlichkeit, S. 44, 218 f. und 309 ff.

[54]   Mittermaier, Mündlichkeit, S. 212 ff.

[55]   Mittermaier, Mündlichkeit, S. 209 und S. 220 ff.

[56]   Mittermaier, Mündlichkeit, S. 203 ff., 220 ff., 266 ff., 390 ff.,

[57]   Mittermaier, Mündlichkeit, S. 21.

[58]   Mittermaier, Mündlichkeit, S. 276 ff.

[59]   Rogge, K.A.: Über das Gerichtswesen der Germanen, Halle 1820, S. 187, S. 242-254.

[60]   Maurer, G.: Geschichte des altgermanischen und namentlich altbayerischen öffentlich-mündlichen Gerichtsverfahrens, Heidelberg 1824, S. 106-110.

[61]   Landsberg, E.: Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abt., 2. Halbband, 1910.

[62]   Phillips, G.: Englische Reichs- und Rechtsgeschichte seit der Ankunft der Normannen, Berlin 1828, Bd. II, S. 283 ff.

[63]   Biener, F.A.: Beiträge zur Geschichte des Inquisitionsprozesses und der Geschworenengerichte, Leipzig 1827, S. 304.

[64]   Biener, Beiträge, S. 304.

[65]   Brunner, Die Entstehung der Schwurgerichte, Berlin 1872, S. 24.

[66]   Biener, Beiträge, S. 255 ff.

[67]   Geppert, a.a.O., S. 43.

[68]   Schwinge, a.a.O., S. 20.

[69]   Schwinge, a.a.O., S. 21.

[70]   Für das französische Verfahren haben sich auch die Schriften von Bewer, J.W.: Über das öffentliche und mündliche Verfahren in bürgerlichen und peinlichen Rechtssachen, Düsseldorf 1817, und Weber, G.: Nachlese über das öffentliche und mündliche Gerichtsverfahren für und wider dasselbe, Darmstadt 1818, ausgesprochen.

[71]   Gutachten der Immediat-Justiz-Commission über das Geschworenengericht, Belin o.J. (1818), S. 69 f.

[72]   Gutachten der Immediat-Justiz-Commission, S. 370.

[73]   Gutachten der Immediat-Justiz-Commission, S. 65 ff.

[74]   Gutachten der Immediat-Justiz-Commission, S. 95 ff.

[75]   Schwinge, a.a.O., S. 21.

[76]   Schwinge, a.a.O., S. 32.

[77]   Dagegen waren von Kobbe, P.: Erste Stimme aus Norddeutschland über Foncks Unschuld nebst gelegentlichen Bemerkungen über die Geschworenengerichte, Göttingen 1822; Wenck, C.F.C.: Die Criminalprocedur, wie sie nicht sein soll, Leipzig 1823; Hallische allgemeine Literaturzeitung 1822, Nr. 250 ff., Literarisches Conversationsblatt 1822, S. 309.

[78]   Fonck, P.A.: Der Kampf für Recht und Wahrheit in dem fünfjährigen Prozeß gegen P.A. Fonck, Coblenz 1822, Bd. 2, S. 85.

[79]   Benzenberg: Briefe über die Assise in Trier, Cöln 1822, insbesondere S. 436 ff.; Paulus, H.G.K.: Warnung vor möglichen Justizmorden durch rechtliche und allgemein verständliche Beleuchtung der Fonckisch-Hamacherischen Cause célèbre, in: Sophronizon, Bd. 5, Heft 1-4, Heidelberg 1823, insbes. S. 5 ff.; Zachariae, C.S.: Über die wegen Cönens Ermordung gegen P.A. Fonck gerichtete Anklage, abgedruckt aus den Heidelberger Jahrbüchern der Literatur, Ergänzungsheft 1822, inbes. S. 10; Mittermaier, Carl Joseph Anton: „Über den Fonck’schen Prozeß“, Heidelberg 1822, insbes. S. 24, 30.

[80]   Zachariae, a.a.O., S. 6.

[81]   Schwinge, a.a.O.S. 34.

[82]   V.d.Leyen: Über die Ermordung des Wilhelm Cönen, Düsseldorf 1822.

[83]   Z.B. Kreuser, J.: Über P.A. Fonck und das Gerücht von Cönens Ermordung, Cöln 1821, S. 23 f.; 40 f., Benzenberg, a.a.O., S. 436.

[84]   Brewer, Johann Paul: Peter Anton Fonck und seine Vertheidiger, Köln 1823, S. I.

[85]   Brewer, a.a.O., S. VI-IX.

[86]   Feuerbach, L.: Anselm Ritter von Feuerbachs Leben und Wirken, veröffentlicht von seinem Sohn Ludwig Feuerbach, zwei Bände, Leipzig 1852, Bd. 2, S. 201 ff.

[87]   Feuerbach, L., a.a.O., S. 202.

[88]   Feuerbach, L., a.a.O., S. 205.

[89]   Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band III, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1976, S. 18.

[90]   Huber, a.a.O., S. 18.

[91]   Huber, a.a.O., S. 18.

[92]   Schwinge, a.a.O., S. 38.

[93]   Schwinge, a.a.O., S. 43.

[94]   Schwinge, a.a.O., S. 46 f.

[95]   Welcker, C.T.: Wichtige Urkunden für den Rechtszustand der deutschen Nation, mit eigenhändigen Anmerkungen von Joh. Ludw. Klüber. Aus dessen Papieren mitgeteilt und erläutert von C. Welcker, Mannheim 1844, S. 381 ff.

[96]   Diese Theorie hat auch Mittermaier, Mündlichkeit, S. 401 ff. vertreten.

[97]   Gutachten der Immediat-Justiz-Kommission, S. 5 ff.

[98]   Feuerbach, Mündlichkeit Bd. 2, 405, 418.

[99]   Mittermaier, Carl Joseph Anton: Das deutsche Strafverfahren in der Fortbildung durch Gerichtsgebrauch und Landesgesetzgebung, 2. Aufl., Heidelberg 1832/33, § 172.

[100] Es handelte sich um die Prozesse von Qualen, Wendt und Jordan; vgl. dazu im einzelnen Schwinge, a.a.O., S. 81 f.

[101] Welcker, C.T.: Jury, Schwur- oder Geschworenengericht als Rechtsinstitut und als politisches Institut, Altona 1840, S. 115 f.

[102] Kritische Jahrbücher 1845, S. 124.

[103] Mittermaier, Carl Joseph Anton: Die gesetzliche Beweistheorie in ihrem Verhältnis zu Geschworenengerichten, in: Neues Archiv,  Bd. 13, S. 120 ff., S. 139.

[104] Schwinge, a.a.O., S. 84.

[105] Vgl. etwa Möhl, A.: Über das Urteilen rechtsgelehrter Richter ohne gesetzliche Beweistheorie, in: Jagemanns Zeitschrift, Zeitschrift für Deutsches Strafverfahren Bd. II, S. 277 ff., S. 285.

[106] Schwinge, a.a.O., S. 88 f. mit weiteren Nachweisen.

[107] Diese Auffassung wurde unter anderem auch von v. Savigny vertreten; vgl. v. Savigny: Die Prinzipien in Beziehung auf eine neue Strafprozeßordnung, in: Goltdammers Archiv, Bd. 6, S. 469 ff.; vgl. auch Schwinge, a.a.O., S. 90 f. mit weiteren Nachweisen.

[108] V. Savigny a.a.O., S. 484-486.

[109] Geppert, a.a.O., S. 76 f.

[110] Mittermaier, Mündlichkeit, S. 114 ff.

[111] Ausführlich hierzu: Von Kamptz: Revidirter Entwurf der Strafprozeß-Ordnung für die Preußischen Staaten, Erster Theil (Entwurf) und Zweiter Theil (Motive), Berlin 1841.

[112] Gesetzessammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1839, S. 207 ff.

[113] Geppert, a.a.O., S. 78.

[114] Kurz vor der Publikation dieses Gesetzes erschien v. Savignys Denkschrift: „Die Principienfrage in Beziehung auf eine neue Strafprozeßordnung“, Berlin 1846.

[115] Vgl. Hepp, F.K.T.: Rückblick auf die Strafprozeßgesetzgebung der letzten fünf Jahre, in: GS 3 (1851/I2), S. 271 ff., S. 285 ff.

[116] Im Jahre 1832 war ein besonderes Ministerium für die Gesetzesrevision geschaffen worden, dem zunächst Minister v. Kamptz, seit 1842 v. Savigny vorstand. Im Jahre 1848 wurde das Ministerium wieder aufgehoben; vgl. Stobbe, G.: Geschichte der deutschen Rechtsquellen, 2. Abteilung, Braunschweig 1864, S. 476.

[117] Denkschrift des Preußischen Gesetzgebungsministeriums „Die Prinzipien in Beziehung auf eine neue Strafprozeßordnung“, Berlin 1846; teilweise abgedruckt in Goltdammers Archiv, 6. Bd. (1858), S. 469 ff.

[118] Vgl. die Denkschrift, a.a.0., S. 469 f. u. 480, sowie Glaser, Die geschichtlichen Grundlagen, S. 17, und Planck, Julius Wilhelm: Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens auf Grundlage der neueren Strafprozeßordnungen seit 1848 Göttingen 1857, 5. XI

[119] Geppert, a.a.O., S. 79.

[120] Schmidt, Eberhard: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl., Göttingen 1965, S. 329 f.

[121] Art. 270 des Gesetzes besagt: „Auch bei dem Dasein der Voraussetzungen der §§ 248 bis 269 (die die vollkommenen und unvollkommenen Beweismittel regeln) sollen die Richter eine Anschuldigungsthatsache nur dann als wahr annehmen, wenn sie nach der Glaubwürdigkeit, welche den unmittelbaren Beweisen nach den Umständen des einzelnen Falles zukommt, und nach der Stärke der ineinandergreifenden, sich gegenseitig unterstützenden, auf keine nur irgend wahrscheinliche Weise anders erklärbaren Anzeigungen die vollkommene Überzeugung von der Wahrheit der Thatsache erlangt haben“; zitiert nach Schwinge, a.a.O.,  97.

[122] Bericht über die Verhandlungen der Germanisten zu Frankfurt a.M. Frankfurt a.M. 1847, S. 90-100.

[123] Bericht über die Verhandlungen der Germanisten, S. 170-175.

[124] Verhandlungen der Germanisten zu Lübeck am 27., 28. und 30. September 1857, Lübeck 1848, S. 68.

[125] Verhandlungen der Germanisten, S. 85.

[126] Verhandlungen der Germanisten, S. 91.

[127] Schwinge, a.a.O., S. 149.

[128] Leue, F.G.: Das deutsche Schöffengericht, Leipzig 1847, S. 56 ff.

[129] Verhandlungen der Germanisten, S. 97 f.

[130] Verhandlungen der Germanisten, S. 120.

[131] Verhandlungen der Germanisten, S. 108.

[132] Verhandlungen der Germanisten, S. 110 ff.

[133] Verhandlungen der Germanisten, S. 112.

[134] Verhandlungen der Germanisten, S. 101-103.

[135] Verhandlungen der Germanisten, S. 145.

[136] Verhandlungen der Germanisten, S. 122 f.

[137] Droysen, J.G.: Die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der deutschen Nationalversammlung, Leipzig 1849, S. 83.

[138] Abgedruckt bei Wigard, Fr.: Stenographische Berichte über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt a.M., 9 Bände, Frankfurt a. M. 1848 f,  Bd. 1, S. 682 f.

[139] Schwinge, a.a.O., S. 155.

[140] Vgl. z. B. Art. 94 der Preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850; Art. 108 u. 109 des  Oldenburgischen Staatsgrundgesetzes von 1849.

[141] Abschnitt V: Art. I §§ 125 ff.; Abschnitt VI: Art. IV § 143 Abs. 3; Art. X §§ 174-183  der Verfassung vom 28. März 1849

[142] Siehe dazu Urban, Gerhard: Die Stellung der Paulskirche zu Gerichtsverfassung und Strafverfahren, Tübinger Dissertation 1946.

[143] Gesetzessammlung für die Königlichen Preußischen Staaten (Pr. GS), S. 375.

[144] Pr. GS, Art. 93.

[145] Pr. GS, S.14

[146] Glaser, Grundlagen, S. 76.

[147] Gesetz vom 31. Oktober 1848 über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten sowie das Gesetz vom selben Tage die Umbildung des Strafverfahrens betreffend.

[148] Gesetze vom 4. Juni und 3. August 1848.

[149] Verordnung vom 3. Januar 1849 über die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen in Untersuchungssachen.

[150] Gesetz über Gerichtsorganisation vom 21. August 1849; Strafprozeßordnung vom 22. August 1849.

[151] Gesetz vom 24. Dezember 1849 über die Bildung der Schwurgerichte.

[152] Gesetz vom 14. August 1849 über das Verfahren in Strafsachen, welche vor die Schwurgerichtshöfe gehören.

[153] Strafprozeßordnung vom 17. Januar 1850.

[154] Gesetz vom 5. Februar 1851 die Einführung des Strafgesetzbuchs, des neuen Strafverfahrens der Schwurgerichte betreffend.

[155] Gesetz vom 15. Mai 1856 betreffend das Verfahren in Strafsachen.

[156] Gerichtsverfassungsgesetz vom 29. August 1857. Erster Entwurf 1849 Strafprozeßordnung vom 2. November 1857. Erster Entwurf 1851.

[157] Revidierte Strafprozeßordnung vom 1. Oktober 1868 mit Ausführungsverordnung vom 12. Dezember 1868. Gesetz vom 14. September 1868 über Bildung der Geschworenenliste .Gesetz vom 1. Oktober 1868 betreffend das Verfahren in den vor die Geschworenengerichte gewiesenen Untersuchungssachen.

[158] Vgl. z. B. das Großherzogliche Hessische Gesetz vom 27. März 1852 über die den Schwurgerichten entzogenen Verbrechen und Vergehen.

[159] Verordnung vom 11. Januar 1852. Mit Gesetz vom 23. Mai 1973 wurde dann das Geschworenengericht jedoch erneuert geführt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                                              Literatur

 

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Materialien und Verhandlungsprotokolle

 

Bericht über die Verhandlungen der Germanisten zu Frankfurt a.M., Frankfurt a.M. 1847.

Denkschrift des Preußischen Gesetzgebungsministeriums „Die Prinzipien in Beziehung auf eine neue Strafprozeßordnung“, Berlin 1846; abgedruckt in: Goltdammers Archiv, 6. Bd., S. 469 ff.

Immediat-Justiz-Kommission. Gutachten der Immediat-Justiz-Commission über das Geschworenengericht, Berlin o.J. (1818).

Verhandlungen der Germanisten zu Lübeck am 27., 28. und 30. September 1847, Lübeck 1848.

Wigard, Fr: Stenographische Berichte über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt a.M., 9. Bände, Frankfurt a.M. 1848 f.

 

 


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