Tilmann
Altwicker – András Jakab
Tagungsbericht JFR (Salzburg, April 2003)
Auch in
diesem Jahr führte das Thema der Jahrestagung des Jungen Forums
Rechtsphilosophie (JFR), “Der juristische Streit. Recht zwischen Rhetorik,
Argumentation und Dogmatik“, direkt ins Zentrum des rechtswissenschaftlichen
Selbstverständnisses. Die Tagung fand am 25.-27. April in Salzburg statt und
wurde von den Kollegen vor Ort, insbesondere von Silvia Augeneder und Günther Kreuzbauer,
hervorragend organisiert.
Das
Junge Forum Rechtsphilosophie, eine Subsektion der Internationalen Vereinigung für
Rechts- und Sozialphilosophie (IVR), besteht aus Nachwuchswissenschaftlern mit
Arbeitsschwerpunkten in Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie.
Es steht aber auch allen interessierten Studenten und Referendaren offen.
Welche
Rolle kommt der juristischen Rhetorik angesichts von Methodenlehre und Dogmatik
im Streit um das Recht zu? Mit dieser Frage intonierten die ersten Vorträge das
Spannungsfeld der Diskussion.
So wies
Götz Schulze (Heidelberg) anhand
der Beobachtung, daß der heutige Gesetzgeber mit der Einführung von
Begründungen und Zielvorgaben in den Gesetzestext immer mehr nicht
subsumierbare Normen schaffe, auf die zunehmende Bedeutung von
Rhetorik-Elementen wie Ethos und Pathos im Recht hin.
Für viel
Kontroverse sorgte der Vortrag von Andreas Lyra
(Hagen), der das Projekt zur juristischen Rhetorik an der Hagener
Fernuniversität vorstellte, in dem gerichtliche Entscheidungen auf
Rhetorikelemente untersucht werden. Dabei lasse sich erkennen, daß juristische
Argumentation häufig implizit und nicht einsträngig deduktiv verlaufe und
insbesondere an schwierigen Stellen Elemente des Ethos und Pathos solche des
Logos ersetzten.
Thilo Tetzlaff (London) setzte mit seinem
Vortrag “The Sound of Law“ einen rechtsästhetischen Kontrapunkt, indem
er vielfältige Verbindungslinien zwischen Recht und Klang aufzeigte.
Grundsätzlicher
unterzog Dora Gmeiner-Jahn (Salzburg)
die gängigen Argumentationstheorien der
Kritik: Diese würden der Tätigkeit der Juristen nicht immer gerecht,
denn sie erfaßten häufig nicht Verbots- und Erlaubnissätze. Ihr Vorschlag für
korrektes juristisches Argumentieren gründet sich auf der Forderung nach
epistemischer Rationalität (d.h. alle Überzeugungen zu Erkenntnissen zu machen)
im Sinne von Christoph Lumers
praktischer Argumentationstheorie.
Patrick Gödicke (Giessen) dagegen beleuchtete
den juristischen Streit mehr aus dogmatischer Perspektive, wobei er zwischen
der Dogmatik als Gegenstand des rechtswissenschaftlichen und als Moderator des
rechtspraktischen Streitgesprächs unterschied.
Was
haben Politik und Wahrheit mit dem juristischen Streit zu tun? Daß diese alte
Frage von andauernder Brisanz ist, zeigte eine zweite Gruppe von Vorträgen auf.
So ging
Christian Hiebaum (Graz) in
seinem Vortrag “Rhetorizität und Validität: Zum politischen Charakter des
Rechts“ dem Politikhaften des Rechts nach.
Aus
philosophischer Sicht gab Nils Franke (Berlin)
Antwort auf die Frage, ob der juristische Streit auf formale Wahrheit oder auf
Bedeutungen ziele. Aufbauend auf Davidsons Wahrheitstheorie sprach er sich für
letzteres aus.
Ausgehend
von der Beobachtung, daß die rechtswissenschaftliche und die
rechtsphilosophische Durchdringung von Tatsachenfragen in der Rechtsanwendung
bisher vernachlässigt wurde, stellte Arne Upmeier
(Hannover) ein spezifisch juristisches Paradigma bei der Behandlung von
Tatsachen heraus. Dieses stehe gleichberechtigt neben den Paradigmen etwa der
Naturwissenschaft oder der Geschichtswissenschaft und liege den Prozeßordnungen
zugrunde.
Den
juristischen Streit konkret zu Wort kommen ließ Elisabeth Holzleitner (Wien), die anhand der vom
OGH (Oberster Gerichtshof, Wien) entschiedenen Fälle zur Homosexuellenehe und
zur Sittenwidrigkeit des Dirnenlohns zeigte, daß insbesondere beim Streit um
kollektive Ziele juristisches Argumentieren am schwersten fällt, weil in diesen
Fällen ganz häufig auf angeblich geteilte Überzeugungen abgestellt wird, die
sich dann aber als von Partikularinteressen getragen erweisen.
Harald Scheu (Prag) beschrieb, daß
Rechtsgutachten im politischen Diskurs einen argumentativen Stellenwert haben
können, auch wenn keine Rechtsfragen im Raum stehen. Seine Beispiele waren das
Gutachten zu den Beneš-Dekreten
und das zu den “Sanktionen“ der “EU- 14“
gegen Österreich.
Wie aber
funktioniert der juristische Streit selbst und gibt es Alternativen? In seinem
Vortrag zeigte Jochen Bung (Frankfurt)
auf, daß der juristische Streit zwei Momente aufweist: Ein agonales Moment des
Wettkampfes um das Rechtbekommen und ein konsensuales Moment, das aus den
gemeinsam geteilten und im Streit nicht in Frage gestellten Überzeugungen
bestehe.
Ausgehend
von der Begrifflichkeit der Diskurstheorie stellte Bertram Keller (München) die verschiedenen
Formen der juristischen Streitbeilegung vor. Insbesondere zeigte er die
Unterschiede zwischen dem gerichtlichen und den alternativen
Konfliktlösungsmechanismen (z.B. Mediation und Schlichtung) auf.
In der abschließenden Podiumsdiskussion unter der Leitung von Michael Anderheiden (Heidelberg/Mannheim) wurde deutlich: Das korrekte juristische Streiten bleibt umstritten.