Jenõ Bangó
Ernst R. Sandvoss: Vom homo
sapiens zum homo spaciens. Eine
Sinnperspektive der Menschheitsentwicklung, Berlin, Logos Verlag, 2002.
Der Verfasser ist
emeritierter Professor für Geschichte der Philosophie an der Universität
Saarbrücken. Seine ersten Buchveröffentlichungen sind philosophische
Monographien über Sokrates, Platon, Aristoteles, Leibniz, Nietzsche,
Augustinus, und Kant. Später ab 1994 schreibt er über Philosophie und Ethik,
Weltbild und Weltmodell im globalen Zeitalter.
Das Buch ist ein
Sachbuch von gehobenen Standards. Es verlangt vom Leser Kenntnisse nicht nur in
klassischen und modernen Philosophie, Geschichte und Anthropologie, sondern
auch in Naturwissenschaften und im allgemeinen in Fragen der Ökologie,
Nachhaltigkeit, Weltpolitik und Raumfahrt. Sein Anliegen ist den Weg zu
zeichnen, den der homo sapiens bis zum homo spaciens beschreitet. Sandvoss
erlaubt sich ein sozusagen eklektisches und enzyklopädisches Verfahren mit
einem deutlichen Akzent auf Ethik und Moral. Letztendlich will er einen Beitrag
in zwölf Kapiteln zur „Raumphilosophie“ leisten. Der Rezensent hat keine leichte
Arbeit den roten Faden zu folgen, zumal die Kapiteltitel verraten oft wenig
über den Inhalt und bieten einige Überraschungen an. Zum Beispiel im Untertitel
„Weltfrieden“ des Kapitels 9. wird einzig und allein über die Abschaffung der
allgemeinen Wehrpflicht geschrieben, das ganze mit einem langen Zitat von dem
Pazifisten Albert Einstein untermauert. Zu wohltuenden Überraschungen gehören
die breite Auswahl der Quellen (130 deutschsprachigen Büchern, beinahe alle in
den letzten fünf Jahren veröffentlicht) die Fülle von Themen und die
Leichtigkeit und Eleganz der Erklärungen von Fachausdrücke. Seine Thesen werden
immer kurz philosophisch und kulturhistorisch zementiert, einige davon hätten
vielleicht eine gründlichere Erklärung benötigt, um eine Auseinandersetzung mit
ihnen zu ermöglichen.
Als Gesamteindruck
fällt dem Leser seine ambivalente Position allgemein zur Religion auf. In den
ersten Kapiteln erkennt er die kulturhistorische Leistung der Religionen zur
Menschheitsentwicklung, später aber anstatt der nüchternen Analyse verwickelt
er sich in oft widersprüchliche Polemik und Kritik der Religionen –
insbesondere bezüglich der katholischen Kirche, die er mit Despotismus,
Unwissenschaftlichkeit brandmarkt und geht sogar an persönlichen Attacken gegen
Päpste ein.
Das Buch
beschäftigt sich zwar hauptsächlich mit futurologischen Themen, aber
gleichzeitig ist es auch eine bissige Zeitdiagnose. Die Lage der heutigen Ethik
und Moral in der Weltgesellschaft wird in vielen Lebensbereichen und
Institutionen durchleuchtet und meist mit vernichtenden Kommentaren versehen.
In der Einleitung
stellt er die rhetorische Frage: Ist der homo sapiens wirklich weise? Er sieht
nämlich einen Widerspruch von Informationsüberflutung und Vernunftdefiziten. Da
der traditionelle Darwinismus – nach seiner Meinung – für die künftige
Evolution keine ausreichende Antwort mehr gibt ist es notwendig dies durch
soziokultureller Theorien zu korrigieren. Die drei Konstanten der
Menschheitsentwicklung wären Politik, Ethik und Geist.
Die fünf Quellen
der Meschheitsentwicklung sind nach Sandvoss Mystik, Religion, Dichtung (?)
Philosophie und Wissenschaft – dabei sollte auch die Soziologie erwähnt werden.
Es gibt eine Entwicklung vom Mythos zu Logos. Die anthropologischen Mythen
waren Sinngebungsversuche. Die Religiösen Menschenbilder bezeugen einen Bund
zwischen Gott und der Menschheit. Die philosophischen Menschenbilder sind mit
dem Adjektiv „homo“ gekennzeichnet in unzähligen Variationen (Sandvoss erwähnt
davon mindestens zwanzig). „Wir leben in einem Zeitalter, in dem nicht ein
bestimmter Typ dominiert, sondern ein reiches Angebot von Idealbildern von
Menschen miteinander konkurrieren. Sie lassen jedem Menschen einen weiten
Spielraum der Selbstverwirklichung in der Informationsgesellschaft. In der
Vielfalt der Attribute, die mit dem Substantiv homo verbunden werden, spiegelt
sich die Mannigfaltigkeit menschlicher Möglichkeiten und Aktivitäten.“ (S. 28)
Schließlich gebe es die wissenschaftlichen Menschenbilder die als hominisation
das Wahrheitsstreben der Menschheit beschreiben.
Die Menschheit braucht einen Weltkalender. Die neue Zeitrechnung wird
beginnen, wenn eine Begegnung eines Menschen mit einem Alien stattfindet. Mit
der räumlichen wuchs auch die zeitlichen Horizonterweiterung; von Zeitraum zu
Raumzeit.
Der „Jetztmensch“ befindet sich in anlaufender Autoevolution – und in
auslaufenden biologischen Evolution. Der freie Wille ist ein
biosoziokulturelles Phänomen, eine Voraussetzung für Moral, Ethik und Recht –
und für ein neues Sozialverhalten.
Um die Weisheit des homo sapiens zu bezweifeln hebt Sandvoss drei
Eigentümlichkeiten dessen vor: Habgier, Ruhmsucht und Machtwille. Diese letzte
Eigenschaft gilt, seit dem Neolithikum, als Ursache der Kriege. In Altsteinzeit
gab es noch keine Kriege – höchstens Kämpfe ( S.87). Kriege gibt es erst seit
der neolithischen Revolution. Krieg ist ein Verbrechen genau wie die Sklaverei.
Die Menschheit muss sein
Überleben durch Selbsttranszendenz sichern, daher die Erforschung und Eroberung
des Alls sei ein Kulturpflich. Sandvoss plädiert für eine Kooperation zwischen Technik und Ethik, die den Weg für
den homo spaciens freimacht. Der homo spaciens kann nur ein homo ethicus sein.
Der homo sapiens wird im All eine neue Art bilden. Die Argumente für die
Möglichkeit der Raumfahrt sind bei Sandvoss technischer und wirtschaftlicher
Natur zuerst. Fliegen ist ungefährlicher als Autofahren, Raumfahrt noch weniger
gefährlicher als Fliegen. Ein US Dollar, investiert schon heute in Raumfahrt
bringt bewiesenermaßen sieben Dollar Gewinn für die Wirtschaft.
Die Menschheit hat
angefangen Signale im All zu senden um mit den dort vermuteten intelligenten
Lebewesen Kontakte aufzunehmen. Eine faszinierende Idee von sci-fi Literatur
wird von Sandvoss ernsthaft in Erwägung gezogen: die Vernetzung von Mensch und
Elektronik (homo silico-sapiens) (Cyborg) die schliesslich die Entwicklung von
homo transcendens vorbereitet.
Um dieses Projekt
zu verwirklichen gibt es technischen Herausforderungen und menschlichen
Hindernisse, wie Trägheit, Dummheit, Bosheit (Bürokratie), die wachsende
Weltbevölkerung, die gewaltbereite Weltpolitik, das unsichere Weltfrieden und
die dogmatistische Weltreligionen.
Es muss ein neues Weltverständnis und Selbsterkenntnis entstehen, die die
Unwissenheit besiegen und die Evolution des Bewusstseins fördern. Sandvoss
zeichnet die Phasen die die Menschheit durchläuft um diese Aufgaben zu
meistern. Vom wahrheitsbesitzenden homo theologus geht über zu
wahrheitssuchende homo philosophus, vom homo orthodoxus zu homo reformans. Der
homo inveniens, der neuzeitliche Forscher und Entdecker wechseln in homo
criticus in der Aufklärung, der homo technicus in der Moderne übergibt seinen
Platz an homo autonomus und emancipatus in der Postmoderne.
Er fordert eine säkulare, demokratischen Wissensgesellschaft statt
Turbokapitalismus und eine moralische Aufrüstung. Wenn der homo sapiens als
homo ethicus sich erweist, dann hat er Chance homo spaciens zu werden. Dieser
neue Menschentyp soll eine kosmische Bewusstsein besitzen. Interessant ist der
Gedankengang von Sandvoss bezüglich seines „Phönix-Modells“. Phönix ist Symbol
der Selbsterneuerung und damit der Ewigkeit, vorstellbar in einem pulsierenden
(String-Theorie) Universum. Wir beobachten hier das Modell der Zirkularität aus
der Systemtheorie und Konstruktivismus in leicht abgeänderter Form. Aber nicht
dasselbe kehrt immer wieder zurück, sondern das Zurückkehrende wird mit neuen
Erkenntnissen und Entwicklungen bereichert. Nur das kosmische Bewusstsein
bleibt ewig dasselbe.
Im letzten Kapitel des Buches stellt der Verfasser die Frage: Was wir zu
tun haben? Dies klingt manchmal als eine kollektive Verhaltenskodex. Die
Menschheit braucht ein kosmopolitisches, statt heliozentrisches Bewusstsein.
Die Theologie sollte die kreative Partnerschaft zwischen Gott und Mensch
betonen, das bedeutet Abschied zu nehmen von monopolistischen Religionen. Nicht
die Theologie und die Philosophie sollten die Menschen bewegen, sondern die
technische Zivilisation. Wenn man das Wort „Technik“ nach dem griechischen
„techne“ interpretiert, - so schreibt Sandvoss - dann dies sowohl Technik als
auch Kunst bedeutet. In der technischen Zivilisation hat die Kunst, die Bildung
und die Kultur also eine wichtige Rolle zu spielen. Die olympische Idee, nicht
nur die Leibeserziehung sonder auch die Erziehung zum Fairness sollte in der
neuen technischen Zivilisation nicht fehlen. Die Medien bilden eine
„unsichtbare Diktatur“ und tragen zur Manipulation durch die Meinungsmacher
bei. Der Verfasser stellt sich eine Gesellschaft ohne Priester, Parteien und
Militär vor. Vernunft und Weisheit machen Recht und Gesetz überflüssig (S.
271). Trotz diese anarchistisch-naiv klingende Äußerung folgt ein Plädoyer für
die Demokratie. Auf das demokratische folgt dann das kosmopolitische Zeitalter
mit der Selbstverwaltung der gesamten Menschheit. Das postdemokratische
Zeitalter ist charakterisiert durch Kommunikation, Kooperation und
Koordination. Das ist aber die Aufgabe des homo ethicus, der mit dem homo
spaciens schon gleichzusetzen ist.